Sensationen aus Sand
30. Juni 2003Ganesh, der dickleibige Elefantengott, gilt im Hinduismus als Verkörperung des kosmischen Urlauts "Om". Immer wenn es darum geht, Hindernisse aus dem Weg zu räumen, wird an seine Kraft appelliert. Der Inder Sudasan Pattnaik hat ihn aus 25 Kubikmetern Havelsand geschaffen und für das "1. Internationale Sandskulpturenfestival Berlin" gemeldet. "Ganeesh soll Berlin und dem Festival Glück bringen," erklärt der 26-jährige "Carver" - wie die Sandskulpturen-Bauer genannt werden.
17 Profi-Carver für Berlin
In Indien unterrichtet Pattnaik 50 Schüler in der Kunst, die jetzt erstmals ans Berliner Spreeufer schwappte. Sandcarving ist ursprünglich eine kalifornische Erfindung und hat sich mittlerweile aus den USA in die ganze Welt verbreitet. Echte Profis gibt es jedoch nur wenige: "Etwa 60 Künstler weltweit umfasst die Elite der Sandskulpturenbauer", erklärt Johanna Burmeister, Mitorganisatorin von Sandsation. Umso glücklicher schätze man sich, 17 der heiß umkämpften Stars in Berlin zu empfangen.
Während des Bauens ließen sich die Künstler über die Schulter schauen. Gerade der kommunikative Aspekt ihrer Arbeit fasziniere die Carver, so Burmeister. Außerdem: "Das Schöne an der Arbeit mit Sand ist, dass man sehr große Skulpturen in sehr kurzer Zeit schaffen kann."
Neben Pattnaiks Elefantenkuh kämpft sich eine männliche Figur durch einen meterhohen Buchstabenberg. Erstaunlich wie scharf die Kanten der Lettern gearbeitet sind und wie fein die Feder ist, mit der die Figur in ein Buch schreibt. Solche Präzision ist in Stein oder Holz nur unter enormen Kraftaufwand zu erreichen.
Körperkräfte erfordert das Sandcarving dafür im Vorfeld. Mit Hilfe schwerer Baumaschinen und vieler freiwilliger Helfer muss der Sand in Holzverschalungen verdichtet werden – eine Wissenschaft für sich. Am Ende entstehen pagodenförmige Blöcke entstanden, aus denen die Künstler von unten nach oben ihre Skulptur herausarbeiteten.
Weltfrieden in Sand
Rücken an Rücken ruhen jetzt Gott und Satan als Verkörperung des Weltfriedens am Berliner Spree-Ufer. In Sand lassen sich Wünsche, Begehren und Hoffungen gestalten. Nicht immer sind die Sand gewordenen Ideen eindeutig greifbar. Nils Vegter, ein Software-Entwickler aus Amsterdam setzte harte und weiche Formen gegeneinander und schuf einen abstrakten "Pilger". Von seinen Carver-Kollegen wurde der Mann, der im Sommer Bits and Bytes gegen Sandkörner tauscht, mit der Artist Trophy bedacht.
Unheil in ganz konkreter Form verkörpert dagegen die Sieger-Skulptur des diesjährigen Wettbewerbs. Ein feister kahlköpfiger Riese thront über dem Kopf einer Schönen mit irrem Gesichtsausdruck. "The Butcher" ("Der Metzger"), eine Arbeit des amtierenden Weltweiters Pavel Zadanouk, steht in ihrem Ausdruck ganz im Gegensatz zu Pattnaiks schwergewichtigem Heilsbringer.
Neben dem Pflaster der Strand
Für Berlin und seine Besucher ist der am Spree-Ufer entstandene Skulpturen-Park auf jeden Fall ein Segen. Denn viel bot die "größte Open Air Galerie der Welt", wie sich die Künstlerintiative East Side Gallery anpreist, nicht mehr: Verwitterte Graffities neben vermülltem Gelände und das direkt an einer viel befahrenen Straße. Natürlich sind auch die Sandskulpturen vergänglich. Sollte nicht gerade ein Hagelsturm niedergehen, können die meterhohen Kunstwerke allerdings bis zu drei Monaten erhalten bleiben. Und auch danach verleiht der goldgelbe Havelsand, der in 85 Lastwagen herangekarrt wurde, dem Spree-Ufer einen schöneren Anblick als bislang. Neben dem Pflaster liegt der Strand: Noch bis zum 20. Juli lockt das Festival mit Strandkörben, Liegestühlen, Musik und Sandburgen-Bau.