Großangriff in der Ostukraine
4. Februar 2015Beim Beschuss eines Krankenhauses in der ostukrainischen Separatistenhochburg Donezk sind nach Behördenangaben mindestens fünf Menschen getötet worden. Vier der Opfer seien Passanten, ein Mensch sei in der Klinik ums Leben gekommen, teilte der örtliche Zivilschutz der Agentur Tass zufolge mit. Mehrere Artilleriegeschosse waren nahe der Klinik eingeschlagen, wie ein AFP-Reporter berichtete. Separatistenführer Andrej Purgin warf der ukrainischen Armee vor, ein dicht bewohntes Viertel mit schweren Geschützen beschossen zu haben, in dem sich auch das Krankenhaus befindet. Er forderte eine Untersuchung durch die Organisation für Sicherheit und Zusammenarbeit in Europa (OSZE).
Nach Angaben des ukrainischen Militärs haben die Rebellen im Osten des Landes eine Großoffensive gestartet. Allein in den vergangenen 24 Stunden seien 80 Ortschaften und Stellungen mit Raketen sowie Artillerie angegriffen worden, sagte ein Militärsprecher. Zwei Soldaten seien getötet, 18 weitere verletzt worden.
Besonders umkämpft ist die Ortschaft Debalzewo nordöstlich von Donezk. Die Separatisten wollen diesen Eisenbahnknotenpunkt erobern, der nach Angaben westlicher Beobachter im Minsker Abkommen aber der Kontrolle durch die ukrainische Armee zugeschlagen wurde. Mit der Eroberung der Stadt würden die Separatisten eine logistische Verbindung zwischen den beiden von ihnen kontrollierten Gebieten Luhansk und Donezk erhalten.
Der ukrainische Ministerpräsident Arseni Jazenjuk sprach der Agentur Interfax-Ukraine zufolge von 2500 Zivilisten, die in Sicherheit gebracht worden seien. Die EU-Außenbeauftragte Federica Mogherini nannte den Beschuss von Zivilisten "eine schwerwiegende Verletzung internationalen humanitären Rechts". Sie schloss sich einem Aufruf der Organisation für Sicherheit und Zusammenarbeit in Europa (OSZE) an, umgehend "eine vorübergehende, örtliche Waffenruhe von mindestens drei Tagen" in und um die umkämpfte Stadt Debalzewo auszurufen. "Zivilisten müssen in der Lage sein, das Konfliktgebiet sicher zu verlassen", erklärte Mogherini. Die Kämpfe erzeugten "großes menschliches Leid und untergraben alle Versuche, die auf eine politische Lösung zielen". Die EU-Außenbeauftragte forderte die Konfliktparteien auf, umgehend die Artillerie aus bewohnten Gegenden abzuziehen.
"Diplomatie nicht gescheitert"
Bundeskanzlerin Angela Merkel verlangte eine Fortsetzung der diplomatischen Bemühungen. "Ich halte den Ansatz nicht für gescheitert. Aber er führt auch nicht so schnell zu Resultaten, wie wir uns das wünschen", sagte Merkel. Außenminister Frank-Walter Steinmeier warnte davor, die im September zwischen Russland, der Ukraine und den Separatisten erzielten Vereinbarungen von Minsk nun über Bord zu werfen. "Ich sehe es als unsere Verantwortung, alles in unser Macht stehende zu tun, damit dieser Konflikt nicht vollkommen außer Kontrolle gerät", sagte er den "Nürnberger Nachrichten". Zudem sprach er sich gegen Waffenlieferungen an die Ukraine aus. "Zu hoffen, dass mehr Waffen zur Entschärfung des Konfliktes beitragen, geht weit an der Realität in der Ostukraine vorbei. Im schlimmsten Falle würden sie den ohnehin schon so blutigen Konflikt noch weiter verlängern."
Papst Franziskus rief die Konfliktparteien in der Ukraine und die internationale Gemeinschaft erneut zu Friedensbemühungen auf. Er bete für die Opfer der "brudermörderischen Gewalt". Die bewaffneten Auseinandersetzungen im Osten des Landes nannte Franziskus einen "Krieg unter Christen". Es sei ein Skandal, dass sie gegeneinander kämpften, obwohl sie die gleiche Taufe hätten.
Seit der Vereinbarung einer Waffenruhe im September haben pro-russische Rebellen Militärangaben zufolge etwa 300 ukrainische Soldaten getötet. Am Wochenanfang kündigten die Separatisten eine Massen-Mobilmachung an. Ziel sei eine Streitmacht von 100.000 Mann. Die prorussischen Rebellen haben in den vergangenen Wochen deutliche Gebietsgewinne erzielt und dabei unter anderem den Flughafen von Donezk eingenommen. Die USA hatten sich zuletzt zu möglichen Waffenlieferungen an die ukrainische Armee zurückhaltend geäußert. In dem Konflikt in der Ostukraine starben bisher mehr als 5350 Menschen.
stu/kle (afp, dpa, rtr)