Serbien: Die Lügen vom Zeitungskiosk
31. Januar 2019Seit Wochen gehen zehntausende Serben auf die Straßen gegen den allmächtigen Präsidenten Aleksandar Vučić. Eine bunte Mischung demonstriert - neben serbischen und russischen sieht man auch Regenbogenfahnen - gegen die Unterdrückung der Pressefreiheit, Wahlmanipulationen und Vetternwirtschaft. Es ist die bisher größte Herausforderung für Vučić, der seit sieben Jahren das Balkanland mit eiserner Hand regiert.
Der frühere nationalistische Falke will heute sein Land in die EU führen. Viele trauen ihm gar die Beilegung des jahrzehntealten Konflikts mit der einstigen serbischen Südprovinz Kosovo zu, die Belgrad noch nicht als unabhängigen Staat anerkennt. Eine gängige These in Serbien: mit seiner Nachgiebigkeit gegenüber Kosovo erkaufe sich Vučić das Schweigen der EU zur inneren Lage des Landes.
Er eliminierte und zersplitterte die politische Konkurrenz weitgehend auch durch Gleichschaltung der Medienlandschaft. Außer einem Kabelsender und ein paar auflageschwachen Wochenzeitungen umschmeicheln die Mainstream-Medien ihren Präsidenten abwechselnd mit Lob und der Jagd auf Kritiker.
Weniger Klatsch, mehr Hetze
Man wird bei der Suche nach der Berichterstattung über die aktuellen Proteste bei den meisten Belgrader Zeitungen vergeblich suchen - dort wird die massive Unzufriedenheit kaum erwähnt. Die regierungstreuen Boulevardblätter berichten lediglich über "einen Haufen von Chaoten und Hassern", die die Opposition eingekauft habe, um die Aufbruchsstimmung im Lande zu torpedieren.
Neue Statistiken belegen die desolate Lage der serbischen Presselandschaft. Nach Recherchen des unabhängigen Medienblogs "Raskrikavanje" publizierten drei Blätter ("Informer", "Srpski telegraf" und "Alo") stolze 730 Lügen allein im vergangenen Jahr - allein auf den Titelseiten.
265 Mal wurden Kriege oder Konflikte angekündigt. Auch wurde suggeriert, dass der russische Präsident Putin bereit wäre, das Kosovo "zu verteidigen, als ob es russisch ist". Kosovo-Albaner und Kroaten seien auf der Lauer, und nur die Besonnenheit und Tapferkeit des serbischen Präsidenten ermögliche weiterhin den Frieden, so der Tenor. "Das Besondere in Serbien ist, dass die Boulevardzeitungen weniger über Show-Business oder Promis klatschen. Viel eher sind sie Hetzblätter, die im Namen der Regierenden die Opposition oder Kritiker zur Zielscheibe machen", sagt Vesna Radojević, Redakteurin von "Raskrikavanje".
Ein Renner sind die Ankündigungen der angeblich geplanten Attentate auf Vučić, wie die DW im Juli 2018 berichtet hatte. Mal warteten acht Killer vor seinem Haus, mal verschwören sich CIA, MI6, serbische Opposition und Kroaten gegen den Präsidenten. Damit bemüht die Presse den biblischen Archetyp - Vučić sei David im Kampf gegen Goliath, sagte der Soziologe Jovo Bakić von der Belgrader Philosophischen Fakultät. "Vučić wird als objektiv schwächer dargestellt, doch sein Mut sei so groß, dass er alle Verschwörer-Mächte besiege."
Die Treue lohnt sich
Obwohl auch die Justiz unter starkem Einfluss der Regierung steht, müssen die regimenahen Medien gelegentlich Entschädigungen bezahlen. So musste etwa "Informer" dem ehemaligen Vorsitzenden einer Oppositionspartei umgerechnet 1.500 Euro bezahlen - das Blatt hat fälschlich behauptet, der Politiker verschwende Unmengen Geld an exklusiven kroatischen Urlaubsorten.
Doch die Prozesse sind mühsam und die Höhe der Geldstrafen unbedeutend gegenüber dem Profit. Denn Loyalität werde großzügig entlohnt, so die Journalistin Radojević. Dies bedeute nicht nur Projektgelder für Medien aus dem staatlichen Etat, sondern auch reichlich Anzeigen staatlicher Firmen, wie etwa durch die serbische Telekom. "Die Hetze wird also mit Steuergeldern finanziert", betont Radojević im DW-Gespräch.
Heuchelei auf dem internationalen Parkett
Im Dezember kaufte Srđan Milivojević, ein mit der Vučić' Fortschrittspartei verbundener Medienmogul, einen der größten Medienkonzerne des Landes für 180 Millionen Euro. Pikant dabei: ein paar Wochen davor verkaufte Milivojević einen kleinen Telekommunikationsanbieter an die staatliche Telekom für 190 Millionen Euro - das Vierfache des realen Wertes, wie einige Experten schätzten. Die mächtige Fortschrittspartei weist alle Vorwürfe der Manipulation von sich. Es handele sich um Privatwirtschaft und freie Medien, die berichten dürfen, wie sie wollen.
Vučić's Teilnahme an der Diskussion "Medienfreiheit in der Krise" auf dem Weltwirtschaftsforum in Davos sorgte für Erstaunen und Spott seiner Kritiker zuhause. Er sei nicht besonders stolz auf die Lage der Medien in Serbien, tue aber sein Bestens, so Vučić. Man konnte fast den Eindruck gewinnen, es würde sich nicht um denselben Mann handeln, der zuhause die kritischen Journalisten in aller Öffentlichkeit demütigt und als fremde Agenten beschimpft.
Einer der zentralen Forderungen der Demonstranten in Belgrad ist deswegen an den öffentlich-rechtlichen Sender RTS gerichtet: Wenigstens fünf Minuten Berichterstattung über die Proteste. Bisher ignorierte auch RTS die Kundgebungen völlig oder widmete ihnen nur äußerst knappe Berichte. An der Unsichtbarkeit der Demonstranten kann es nicht liegen: Jeden Samstag zieht die Protestkolonne mit Zehntausenden direkt am Sitz des Senders vorbei.