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"Serbien ist nicht Belgrad"

21. Juli 2004

– Konferenz über den Weg zu Frieden und Demokratie

Bonn, 19.7.2004, DW-RADIO/Serbisch, Ejub Stitkovac

"Der Weg Serbiens zu Frieden und Demokratie" – so lautet die Bezeichnung einer Wissenschaftlerkonferenz, die gestern (18.7.) in Belgrad abgehalten wurde. Auf dieser Konferenz wurden die Voraussetzungen für ein normales Gesellschaftsleben in Serbien analysiert. Die Konferenz wurde von der Zeitung "Republika" und der deutschen Heinrich-Böll-Stiftung veranstaltet. Serbien sucht nur sehr langsam nach einem normalen Gesellschaftsleben. Daher gibt es nur wenig Raum für optimistische Prognosen, bevor nicht die Hauptprobleme im Staat gelöst sind. Und dafür steht nur wenig Kraft und Wille zur Verfügung. Allem voran ist es unerlässlich, sich mit der jüngsten Vergangenheit zu konfrontieren. Auffällig ist indes, dass von Seiten serbischer bewaffneter Kräfte über begangene Kriegsverbrechen in letzter Zeit offener in der Republika Srpska gesprochen wird als in Serbien.

Der Professor an der Belgrader Universität, Djordje Jovanovic, erklärte gegenüber DW-RADIO, solche Treffen wecken die Hoffnung, dass es doch Kräfte gibt, die an der Normalisierung der Gesellschaft arbeiten, allerdings trüge der Schein häufig: "Ich habe häufig die Gelegenheit, durch Serbien zu reisen. Mein Eindruck ist, dass Serbien nicht Belgrad ist. In der Hauptstadt existiert wenigstens mehr oder weniger so etwas wie eine starke rational denkende Elite. In anderen Teilen Serbiens gibt es so etwas nicht, und auch wenn sie vorkommt, tritt sie nicht in Erscheinung. Meiner Meinung nach dominiert in der serbischen Kultur noch immer die traditionalistische, patriarchale Strömung. Ich sehe keine Möglichkeit, wie diese der sogenannten freiheitlichen, europäischen Strömung weichen soll".

Als ein Beispiel für den Verfall des Staates und der Gesellschaft führt die Historikerin, Latinka Perovic, eine neue Erscheinung an, die für sich spricht: "Kürzlich habe ich gelesen, dass in Serbien Straßenräuber in Erscheinung getreten sind beziehungsweise Räuber, die organisiert Menschen überfallen und ausrauben. Dies wurde in Serbien historisch als Hajdukentum bezeichnet. Ich erinnere Sie daran, dass der letzte große Hajduken-Prozess in Serbien in Cacak 1897 stattfand. Dabei werden die Hajduken als eine parallele Welt und eine parallele Gesellschaft bezeichnet".

Professor Jovanovic trug seine Beobachtungen bei ähnlichen Veranstaltungen im Landesinneren Serbiens vor: "Dort werden Sie bei einer öffentlichen Diskussion über Serbien erleben, dass es sogar als politisch nicht korrekt gilt, wenn modernistische Perspektiven für Serbien angesprochen werden. Nicht nur weil die Leute das nicht hören möchten, sondern auch weil diese Sprache in Serbien niemand versteht".

Tiefere Analysen der gesellschaftlichen Realität werden in der Regel in begrenzten Fachkreisen vorgetragen. Sie gelangen selten an diejenigen, an die sie sich richten. Insbesondere bei Analysen der jüngsten Vergangenheit, die Politiker in den meisten Fällen nach ihrer Interessenlage interpretieren. (md)