1. Zum Inhalt springen
  2. Zur Hauptnavigation springen
  3. Zu weiteren Angeboten der DW springen

Serbien: Setzt Vucic auf Gewalt gegen die Proteste?

Ivica Petrovic (Belgrad)
15. August 2025

Protestierende und Opposition sehen Belege für aktive Zusammenarbeit zwischen Polizei und gewaltbereiten Anhängern des serbischen Präsidenten. Wird der Präsident die Eskalation nutzen und den Ausnahmezustand verhängen?

Polizisten mit Schlagstöcken stehen vor Demonstranten, von denen einige etwas rufen oder schreien, manche halten ihre Arme in die Höhe
Belgrad, Serbien, am 13.08.2025: Polizisten bedrohen regierungskritische Demonstranten mit Schlagstöcken Bild: Darko Vojinovic/AP Photo/picture alliance

Die Massenproteste gegen die Regierung von Präsident Aleksandar Vucic in Serbien dauern an. Auch bei den Aktionen, zu denen Studentinnen und Studenten aus dem ganzen Land für den 14. August aufgerufen hatten, kam es erneut zu heftigen Zusammenstößen.

In der Hauptstadt Belgrad spielte sich rund um den Sitz der serbischen Regierung gewalttätige Szenen ab. Anfangs trennte eine Polizeikette protestierende Bürgerinnen und Bürger von einer Geschäftsstelle von Vucics regierender Serbischen Fortschrittspartei (SNS). Später jedoch zogen sich die Sicherheitskräfte zurück - und maskierte Männer, die sich als SNS-Aktivisten zu erkennen gaben, griffen die Demonstranten mit Pyrotechnik an.

Damit bestätigte sich erneut, was Protestierende und Oppositionsparteien den serbischen Behörden schon länger vorwerfen: Dass die Polizei des Landes auf dem Westbalkan aktiv mit gewaltbereiten Vucic-Anhängern zusammenarbeite.

Die Proteste in Serbien halten seit mittlerweile neun Monaten an. Neben Demonstrationen, an denen zwischen 300.000 und 500.000 Bürgerinnen und Bürger teilnahmen, haben Studierende Universitäten in ganz Serbien besetzt. Hunderte vor allem junge Protestierende organisierten Märsche durch das ganze Land, Delegationen reisten ins Ausland und warben um Unterstützung, auch bei der Europäischen Union in Straßburg.

Büros der Vucic-Partei demoliert

Der Auslöser: Am Freitag, 1. November 2024 um 11:52 Uhr, war das Vordach des eigentlich frisch renovierten Hauptbahnhofs der nordserbischen Stadt Novi Sad eingestürzt und hatte 15 Menschen erschlagen. Nach Ansicht von Experten war durch Korruption verursachter Pfusch am Bau die Ursache für die Katastrophe.

Ein Vermummter verwüstet am 14.08.2025 den Sitz der Serbischen Regierungspartei SNS in Novi SadBild: AFP

In Novi Sad selbst war am Abend des 14.08.2025 lange keinerlei Polizei zu sehen - obwohl Demonstranten zwei örtliche SNS-Büros komplett demolierten. In anderen Städten Serbiens kam es vereinzelt zu Zusammenstößen mit den Ordnungskräften. Die setzte Tränengas ein, um die Demonstranten zu zerstreuen.

Gewalt gegen Protestierende

Am 12. August war es im Norden Serbiens zu gewaltsamen Zusammenstößen gekommen. Maskierte SNS-Aktivisten griffen protestierende Bürgerinnen und Bürger an. Die Polizei trennte zwar zuerst beide Seiten mit einer Kette von Beamten - zog sich aber dann zurück und sah passiv zu, wie die Vucic-Anhänger die Demonstrierenden beschimpften und bedrohten.

Aleksandar Vucic ist seit 2017 Präsident Serbiens Bild: Milan Ilic/SIPA/picture alliance

Als Reaktion auf weitere Zusammenstöße in den Städten Vrbas und Backa Palanka, bei denen über 70 Bürger und 16 Polizisten verletzt wurden, fanden einen Tag später (13.08.) in ganz Serbien Protestkundgebungen statt, bei denen es zu noch unangenehmeren Szenen kam. Zu den Demonstrationen hatten die Studierenden aufgerufen.

Angriffe mit der Polizei koordiniert?

Zu den heftigsten Zusammenstößen kam es in Novi Sad. Erneut griffen Gruppen von Maskierten protestierende Bürger an. Es kam zu Szenen, die an Schlägereien zwischen Fußball-Hooligans erinnerten: Leuchtraketen, Knallkörper, Kanonenschüsse, Feuerwerkskörper, Metall- und Holzknüppel - das ganze Waffenarsenal der Regierungsanhänger kam zum Einsatz.

Auch in Belgrad wurden Protestierende am 14.08.2025 mit Leuchtraketen, Knallkörpern, Kanonenschüssen und Feuerwerkskörpern beworfenBild: Marko Djokovic/AFP

Eine offizielle Zahl der Verletzten gibt es nicht, aber es wird geschätzt, dass in den vergangenen drei Tagen über 100 Bürgerinnen und Bürger und über 50 Polizeibeamte verletzt wurden. Studenten und Demonstranten behaupten, die Angriffe auf die Proteste seien mit der Polizei koordiniert gewesen. Tatsächlich wurde während der Unruhen kein einziger Regimeaktivist festgenommen - obwohl gut dokumentiert ist, dass die Vucic-Anhänger die meisten Konflikte initiiert und Pyrotechnik in Richtung der protestierenden Bürger abgefeuert hatten.

Erpressung durch Drohung mit Bürgerkrieg

Präsident Vucic habe "seinen Wählern durch die Anheuerung bezahlter Schläger signalisieren wollen, dass er noch immer über Macht verfügt", meint der Chefredakteur des unabhängigen Belgrader Wochenmagazins Vreme, Filip Svarm. Am verheerendsten sei "die faktische Auflösung der Polizei, die nichts anderes getan hat, als die Schläger des Regimes zu schützen", so der Journalist, der die politische Entwicklung Serbiens bereits seit den Kriegen nach dem Zerfall Jugoslawiens in den 1990ern beobachtet, gegenüber der DW.

Der serbische Journalist Filip Svarm (links) bei Dreharbeiten zu einer DokumentationBild: V. Lalić/United Media

"Vucic hat die Mehrheit der Bevölkerung verloren", glaubt der Politikanalyst Dragomir Andjelkovic, "und nun erpresst er Serbien, indem er mit einem Bürgerkrieg droht." Seit Monaten schon wiederholt Vucic immer wieder, ein Krieg im Land sei die einzige Alternative zu seiner Herrschaft. "Der Präsident und seine Anhänger schaffen eine Atmosphäre der Angst, damit die Leute denken: Es ist besser, wenn Vucic weiter regiert, als dass es Krieg gibt", warnt Andjelkovic im Gespräch mit der DW.

Parallel dazu findet eine Schuldumkehr statt: Regierungsvertreter versuchen, alles, was ihre Anhänger tun, den Studierenden und den protestierenden Bürgerinnen und Bürgern in die Schuhe zu schieben. Andjelkovic weist darauf hin, dass diese Strategie "für Vucic nichts Neues ist - aber diesmal lassen sich die Lügen auf Basis der sozialen Medien, die voller Szenen von Protesten in Serbien sind, leicht widerlegen."

Vorspiel zum Ausnahmezustand?

Wird Vucic die Gewalt gegen die Protestierenden und die Festnahmen von Demonstranten nutzen, um den Ausnahmezustand zu verhängen? Analysten zufolge würde das vor allem den Widerstand verstärken - und zudem sicherlich Auswirkungen auf Prestige-Projekte haben, die Präsident Vucic erklärtermaßen sehr am Herzen liegen, wie die EXPO 2027, die in Belgrad stattfinden soll. Auch ausländische Investitionen wären gefährdet, wenn das Image des Landes durch eine offene autoritäre Wende getrübt würde.

Vorerst beschränken sich die Reaktionen der Regierung auf die jüngsten Zusammenstöße auf die Androhung rechtlicher Konsequenzen. Präsident Vucic forderte die Staatsanwaltschaft auf, entsprechende Maßnahmen zu ergreifen. Diese kündigte an, man werde alle Personen identifizieren, die gegen Recht und Ordnung verstoßen haben.

In Vrbas wurden gestern (14.08.2025) weitere fünf Personen festgenommen, die an Protesten teilgenommen hatten. Dragomir Andjelkovic meint: "Jetzt erleben wir den Moment der Wahrheit: Wir werden sehen, ob es in Justiz und Polizei Leute gibt, die nicht bereit sind, alles zu tun, was ihnen das Regime befiehlt."