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Politik

Streit um ein Grundstück

31. Oktober 2019

Eines Morgens kamen sie mit Motorsägen und fällten 17 Bäume. Die zu einem Haus in Belgrad seit 50 Jahren gehörende öffentliche Grünanlage wurde über Nacht eine Privatbaustelle. Die Bürger wehren sich.

Protest gegen Baustelle und Bauinvestoren in Belgrad
Die umkämpfte Grünfläche: Bürgerprotest gegen undurchsichtige Machenschaften eines Bauinvestors in Belgrad Bild: DW/D. Dedović

In einem 1969 erbauten Mehrfamilienhaus in Belgrad leben 300 Menschen. Die Grünanlage hinter dem Gebäude wurde ein halbes Jahrhundert von der Stadtteilverwaltung gepflegt und von den Anwohnern gerne benutzt. Bis zum 12. Juli 2019. In der Früh kamen die Bauarbeiter mit Motorsägen. Innerhalb kürzester Zeit fällten sie 17 Bäume. Sie umzäunten die Grünanlage und hängten ein Schild auf: "Privatgelände. Baustelle". Saša Simić, der in dem Gebäude wohnt, erinnert sich: "Wir waren perplex. Wir konnten kaum glauben, dass das Ganze tatsächlich geschieht." In den Tagen danach schlug das ungläubige Staunen in Wut, dann in Widerstandswillen um. Die Bewohner organisierten Blockaden, die Bauarbeiter konnten nicht weiterarbeiten. Eine Unterschriftensammlung gegen Baumaßnahmen brachte innerhalb kürzester Zeit 3000 Unterschriften.

Recht im Absurdistan

Der Bauunternehmer Ninoslav Adžić präsentiert ein Dokument, wonach die Grünanlage seit vier Jahren sein Privateigentum sei. "Die wöchentlichen Verluste beziffert unser Gutachter auf 8700 Euro. Die Personen, welche die fingierte Umweltschutzaktion anführen, müssen dafür gerade stehen", sagt er. Seine Anwälte reichten mehrere Klagen ein. Adžić zäunte mit dem eigenen Gründstück auch eine Zwischenfläche ein. Er meint, das sei nur eine technische Frage, die Genehmigung hätte er nicht, aber es gebe auch kein Verbot der Besitzer. Das ist nicht unbedingt ein sensibler Umgang mit  Privateigentum, den er im Falle seines Besitzes fordert.

Protestschild an der Baustelle: "Du kommst hier nicht durch - Ich werde die Kinder rufen!"Bild: DW/D. Dedović

Auch die Bewohner engagierten eine Anwältin. Sie stellte fest: Die zuständige Gemeinde habe durch eine ungewöhnliche, aber formell legale Aktion die Grünanlage den Nachfolgern der vor 60 Jahren enteigneten Person bereits 2014 zurück übertragen. Sie verkaufte das Gelände an Adžić. Jetzt müssen die Gerichte entscheiden, ob die Grünanlage in den städtischen Bauplänen als zum Gebäude gehörende Fläche oder als Freigelände deklariert wurde. Nur im zweiten Fall hätte die Gemeinde daraus Privateigentum und schließlich ein Baugelände machen dürfen. Sonst hätte sie die Nachfolger der Enteigneten einfach auszahlen müssen.

Saša SimićBild: DW/D. Dedović

Der Haken an der Sache: Die Baupläne und entsprechenden Beschlüsse sind im Gemeindearchiv nicht auffindbar. Alle weiteren Dokumente, die vor dem Jahr 2000 datieren, wurden aus den Stadtteilen in das zentrale Stadtarchiv aussortiert. "Ich war da, um einige Dokumente für unsere Anwältin zu besorgen. Dort arbeiten vier überforderte Frauen inmitten von Dokumentenkisten. Nichts ist sortiert. Finde da Mal deinen Wisch, den du brauchst, um dein Recht zu bekommen", so Saša Simić. 

"Ein Gemeindebeschluss aus dem Jahr 1967, der die Flächennutzung zum Bau des Gebäudekomplexes definiert, kann man auch nicht im Gemeindearchiv finden", sagte die Anwältin der Bewohner Jelena Milenković. Das sei die exemplarische Geschichte von Jugoslawien, ihrem Zerfall, Behördenschlamperei, dem wilden Übergang zur Marktwirtschaft.

Fäuste statt Gerechtigkeit

Die Bewohner geben nicht auf, sammeln indirekte Beweise. Sie schieben 24 Stunden täglich Wache. So war es auch am 14. September, als der Bauherr eine Firma mit Messungen für Wasseranschlüsse beauftragte. Zwei vermeintliche Techniker der Firma wurden nicht zum Gelände gelassen. Der Streit mit den Anwohnern war vorprogrammiert. Ein Mitarbeiter der Messungsfirma verlor die Nerven und schlug zu. Zwei Bewohner trugen schwere Körperverletzungen davon. Einer von denen ist Elvin Kovačić: "Ich sah meinen Nachbar Boban, blutüberströmt auf dem Boden. Wollte ihm helfen und beugte mich über ihn. Der Gewalttäter schlug von oben zu und brach mein Nasenbein."

Die Polizei verhaftete den Schläger. Investor Adžić hat eine ganz andere Deutung der Ereignisse: "Der Mitarbeiter wurde angegriffen. Es hat sich vielleicht herausgestellt, dass er effizienter in seiner Verteidigung ist als die anderen mit ihrem Angriff. Wir sind nicht die Auftraggeber für irgendwelche Schläger, wir haben nichts damit zu tun."

Weitere Absurditäten

Die Gemeinde pflegte in den letzten fünf Jahren die privatisierte Grünfläche weiter, sie pflanzte sogar ein paar Monate vor dem Baubeginn noch eine Birke. Eine städtische Aufsichtsbehörde verordnete ein Bußgeld für den Bauunternehmer, da er 17 Bäume ohne Genehmigung gefällt hatte. Ninoslav Adžić zeigt uns die Antwort der Stadt, auf seine vor dem Bäumefällen eingereichte Anfrage: "Wir sind nicht zuständig für die dortigen Bäume, da es sich um ein Privatgelände handelt." 

Elmin KovačićBild: DW/D. Dedović

Die Bewohner befürchten auch, ihr Gebäude könnte instabil werden, denn es befindet sich in Hanglage. Vor einigen Monaten wurde eine halbe Strasse nach heftigem Starkregen ein paar Hundert Meter weiter einfach weggespült. Adžić meint dazu, die Baugenehmigung beinhalte auch ein Gutachten eines Statikers.

Wären Informationen an die Bewohner rechtzeitig geflossen, hätte man den Konflikt vielleicht im Voraus entschärfen können? Ninoslav Adžić bejaht das: "Sie haben Recht." 

Verhärtung oder Aussöhnung?

Fest steht: die Bewohner wurden nicht über die Privatisierung der Fläche, nicht über die Veränderung der Baupläne und auch nicht über die erteilte Baugenehmigung informiert. Die kommunalen Dienste, welche die Grünfläche weiter pflegten, sowie die Inspektoren des zuständigen Umweltamts, offensichtlich auch nicht. 

Der Bürgermeister des Stadtteils möchte jetzt vermitteln. Politisch ist der Fall inzwischen hochbrisant. In Belgrad und ganz Serbien wird viel illegal gebaut. Dabei wird oft versucht, das Gebaute durchaus auch mit Hilfe von Schmiergeldern zu legalisieren. Dieser Fall ist komplexer. Die Stadt und der Staat haben ihre Hausaufgaben nicht gemacht.

"Er sägt ab, wir pflanzen" und: "Heute bei uns, morgen bei Euch"Bild: DW/D. Dedović

300 Menschen, die ihre Grünanlage verloren haben, fühlen sich im Stich gelassen. Ist ihr ziviler Ungehorsam illegal? Saša Simić, der vor ein paar Monaten noch einfach nur ein Nachbar war und jetzt einer der Wortführer des Widerstands ist, erwidert energisch: "Was heißt hier illegal, wenn dich dein eigener Staat angreift?"

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