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Politik

Serbien und Kosovo wie BRD und DDR?

2. August 2017

Der Grundlagenvertrag zwischen BRD und DDR könnte ein Modell für Serbien und den Kosovo sein, sagt der Politologe und Balkan-Experte Werner Weidenfeld. Die Statusfrage des Kosovo sollte man dabei ausklammern.

Symbolbild Verhältnis Kosovo Serbien
"Kosovo ist serbisch" steht auf diesem Gebäude in der serbischen Hauptstadt Belgrad Bild: AP

DW: Der serbische Präsident Aleksandar Vučić hat den "innerserbischen" Dialog zum Thema Kosovo eröffnet. Viele glauben, er versuche damit, die Verantwortung für eine faktische Anerkennung Kosovos mit der ganzen Nation zu teilen. Aber man hört auch andere Vorschläge: So kursiert wieder das Modell des Abkommens zwischen der BRD und der DDR von 1972. Ist das eine gute Vorlage? 

Werner Weidenfeld: Die Ausgangslage ist so, dass wahrscheinlich keiner von den Großbeteiligten an diesem Konflikt einfach komplett nachgeben wird. Das ist ja wie damals bei der Bundesrepublik und der DDR: zwei unterschiedliche Auffassungen, keiner gibt grundsätzlich nach, aber es gibt ein Interesse an einer praktischen Verbesserung der Lage. Alle Seiten behalten ihre Grundsatzposition, aber jenseits der Grundsatzposition kommt eine Verbesserung der praktischen Lage. Wenn sie daran interessiert sind, dass es da einen besseren Kontakt oder beispielsweise keine Behinderungen im Reiseverkehr gibt, dann ist das durchaus ein Modell.

Dieses Modell habe ich zum Beispiel zur Lösung des Nahost-Konflikts nahegelegt. Wenn Sie im Nahost-Konflikt Verhandlungen beginnen, indem Sie direkt den Status von Jerusalem klären wollen, dann werden Sie nie vorankommen. Und so hat man es damals im Ost-West-Konflikt entsprechend anders gemacht - und ist dramatisch vorangekommen.

In diesem Abkommen wurde festgehalten, dass es zwischen Bonn und Berlin unterschiedliche Auffassungen zur nationalen Frage gebe. Wären das Ihrer Meinung nach im Streit zwischen Serbien und Kosovo dann unterschiedliche Auffassungen von Belgrad und Priština zum Status des Kosovo?

Ja. So wie man es im Grundlagenvertrag geschrieben hat, unabhängig von unterschiedlichen Auffassungen zu grundsätzlichen Fragen wie der nationalen, sind wir übereingekommen, Kooperationsverträge abzuschließen. Wenn damals diese Formulierung nicht in der Präambel gewesen wäre, wäre das Ganze gescheitert, weil damals die Opposition fundamental dagegen war, mit der DDR so etwas zu machen.  

Der Grundlagenvertrag wurde schon 2007 von Wolfgang Ischinger als Modell vorgeschlagen, und damals hat Belgrad den Vorschlag entschieden abgelehnt. War das ein Fehler? Kosovo hat bereits 2008 einseitig seine Unabhängigkeit erklärt und heute wird es von einer Mehrheit der Staaten als unabhängiger Staat anerkannt.

Ich will jetzt nicht im Nachhinein jemanden kritisieren, aber hätte man das vermeiden wollen, hätte man das über so eine Regelung machen können. Aber jetzt ist der Status Quo ein anderer - und wir müssen über den jetzigen Status Quo reden. 

Eine der wichtigsten Folgen des Abkommens von 1972 war, dass beide deutsche Staaten UN-Mitglieder geworden sind. Kosovo hingegen wäre auch im Fall eines ähnlichen Abkommens immer noch kein UN-Mitglied ohne eine Anerkennung als Staat - nicht zuletzt durch Russland.

Ich würde es auch nicht mit dieser Art Fracht belasten, wenn ich wirklich einen Fortschritt haben will. Damals in Deutschland war die Frage hoch umstritten, ob man die UNO da erwähnt. Ich hätte damals die Finger davon gelassen. Statusfragen sollte man also nicht unbedingt zu Kernelementen weiterer Gespräche machen, so was macht man erst, wenn man positive Entwicklungserfahrung hat, aber nicht am Anfang.

Werner Weidenfeld war von 1987 bis 1999 Koordinator für deutsch-amerikanische Zusammenarbeit Bild: CAP LMU München

Die Spitzenpolitiker in Brüssel oder Berlin haben noch nie gesagt, dass Serbien Kosovo anerkennen muss, um der EU beizutreten: Es reiche ein umfassendes Normalisierungsabkommen. Glauben Sie, dass das wirklich reicht? 

Aber klar! Wenn sie dieses umfassende Kooperationsabkommen bis dahin haben, wird keiner ein Hindernis aufbauen.

Ist es aus Ihrer Sicht unproblematisch, dass im Fall von Serbien und Kosovo ein Grenzstreit in die EU importiert wird? 

Nein, diese Grenzfrage wird auch bei dieser Art Abkommen ausgehebelt, so wie damals beim Grundlagenvertrag. Der Punkt ist, dass bei all diesen sechs Westbalkanstaaten eine gute Europa-Perspektive besteht. Die wollen irgendwann dabei sein. Aber untereinander bauen sie nur Spannungen auf. Und die würde ich abbauen, wenn ich dort auf irgendeinem Platz sitzen würde und Verantwortung und die EU-Perspektive hätte - in all diesen Ländern. Dann würde ich nicht bei solchen Geschichten pausenlos Spannungen artikulieren. Ich hätte ein anderes Interesse.

Der serbische Außenminister Ivica Dačić hat seine alte Idee von einer Teilung des Kosovo wieder eingebracht: Danach sollte Nordkosovo bei Serbien "bleiben", und man hört auch den Vorschlag, dass Kosovo als Gegenleistung die südserbische Region Preševo bekommen könnte, wo hauptsächlich Albaner leben. Ist so etwas realistisch - eine neue Grenzziehung? 

Ja. Das ist alles Gegenstand von solchen Gesprächen. Ich würde diese Art von Vorschlägen als konstruktive weitere Möglichkeiten, um die Dinge voranzubringen, erwähnen, alles sammeln - und über alles muss dann geredet werden. Allein diese Gesprächsführung, die nicht am ersten Grundsatzproblem scheitert, ist schon der nächste große Fortschritt. Das Tollste wäre natürlich, dass beide Seiten sagen, es hilft am besten, wenn noch ein Dritter als Moderator dabei ist. Da kann die Außenbeauftragte der EU bei den Gesprächen dabei sein oder die Gespräche moderieren.   

Das gibt es bereits, aber es geht nicht richtig voran: Das sind die sogenannten Brüsseler Abkommen.

Dem kann man mehr Schwung geben. Der Europäische Ratspräsident könnte zum Beispiel diese Gespräche moderieren.

18 Jahre nach diesem deutschen Abkommen hat sich die Weltlage, wie wir jetzt wissen, dramatisch verändert, es konnte zu einer Wiedervereinigung kommen. Sind in den nächsten Dekaden so gewaltige Veränderungen möglich, die den Status des Kosovo in die eine oder andere Richtung verschieben könnten?  

Klar. Wenn die europäische Integration unter weltpolitischem Druck weitere große Fortschritte macht, dann wird natürlich eine solche Wucht entwickelt, dass Kosovo ein kleines Thema bleibt, das mitgerissen wird.

Dr. Werner Weidenfeld ist Professor für Politische Systeme und Europäische Einigung an der Universität München und Direktor des Zentrums für angewandte Politikforschung. 

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