Serbiens blutige Fahne
27. November 2018Es war wie in einem billigen Krimi: Als Borko Stefanovic zum Gemeindehaus in der zentralserbischen Stadt Krusevac kam, wo er als einer der prominenten Oppositionspolitiker an einer Diskussion teilnehmen sollte, warteten sieben schwarz gekleidete und teilweise maskierte Männer auf ihn. Sie schlugen sofort zu - eine Metallstange traf seinen Kopf. Stefanovic verlor das Bewusstsein, die Angreifer schlugen aber weiter auf ihn ein, genau so wie auf zwei Parteifreunde, die Stefanovic zu Hilfe eilten.
Serbiens Präsident Aleksandar Vucic, der uneingeschränkte Herrscher über das Balkanland, meldete sich wenige Stunden später und zeigte sich zufrieden mit der schnellen Reaktion der Polizei: zwei der Angreifer wurden verhaftet, nach einem dritten wird gesucht. Er bedauere "den Vorfall" und versicherte, Serbien sei ein Rechtsstaat "in dem man niemanden unbestraft schlagen darf".
Kein Einzelfall
Für das "Bündnis für Serbien", ein Oppositionspakt, zu dem auch die Partei "Die Linke Serbiens" gehört, stellt dieser Auftritt des Präsidenten den Gipfel der Unverfrorenheit dar. "Der Angriff ist die Folge einer schmutzigen Hetze, die das Regime von Aleksandar Vucic gegen die politischen Gegner tagtäglich veranstaltet", heißt es in einer Erklärung des Bündnisses, veröffentlicht kurz nach dem Überfall. Vucic hat "fast die komplette Medienlandschaft usurpiert und gleichgeschaltet, so wird jedem, der sich traut anders zu denken, eine Zielscheibe auf den Rücken gehängt", heißt es in der Reaktion. "Von der Hassrede ist man nun auf physische Gewalt und zerschlagene Köpfe übergegangen."
Der Angriff auf Borko Stefanovic ist kein Einzelfall. Im Dezember letzten Jahres gab es während der Kommunalwahlen, insbesondere in kleineren Städten, mehrere Fälle der Einschüchterung von Oppositionskandidaten und Wählern. Die Wahlveranstaltungen wurden durch Schlägertrupps gestört, die mit schwarzen Autos ohne Kennzeichen unterwegs waren. Im Februar wurde eine Infoveranstaltung zwei kleinerer Oppositionsparteien in einem Vorort von Belgrad überfallen, deren Infostand wurde zerstört und die Aktivisten beschimpft und bedroht. Und das Gleiche erlebten oppositionelle Politiker im nordserbischen Novi Sad im September. In allen diesen Fällen blieben die Täter unerkannt.
"Eigenschaften des Faschismus"
"Es ist eine neue Phase der Feindseligkeit in einer Gesellschaft, die das Regime gespalten hat", sagt Stefanovic in einem DW-Interview. "Es ist das Regime von Vucic, das eine Atmosphäre geschaffen hat, in der Lynch-Justiz, Verfolgung und physische Gewalt an der Tagesordnung sind." Er selbst sei gezielt angegriffen worden, sagt Stefanovic. "Wir haben hier eine Stimmung, in der alle Andersdenkende mundtot gemacht werden sollen, und nun werden sie auch physisch angegriffen. Das alles sind die Eigenschaften des Faschismus", sagt der Oppositionspolitiker.
Es ist ein Atmosphäre der Angst und ein verbreitetes Gefühl der Machtlosigkeit, die die heutige Gesellschaft Serbiens kennzeichnen, schreibt der Belgrader Soziologe Dario Hajric in seinem Text für die Deutsche Welle. Gewalt werde dabei allerdings immer sehr gezielt angewandt, es handele sich keinesfalls um spontane und wilde Gewaltausbrüche. "Stefanovic und seine Begleiter hat kein unberechenbarer Mob verprügelt, wie auch immer angestachelt, denn nichts war bei diesem Überfall spontan."
Die permanente Kampagne der gleichgeschalteten Mainstream-Medien gegen die Opposition solle nicht unbedingt die Bedingungen für eine Explosion der Gewalt erzeugen, sondern vielmehr "die Aufmerksamkeit der Öffentlichkeit ablenken, wenn jemand die Schlägertrupps losschickt, um zu zeigen, wer der Herr im Hause ist", sagt Hajric.
Wie die Kakerlaken
Für immer mehr Beobachter der Lage in Serbien zwingt sich dabei ein Vergleich mit der Situation in den 1990er Jahren auf, als Slobodan Milosevic auf ähnliche Weise das Land beherrschte wie heute Vucic. Auch damals wurden Medien geknebelt und politische Gewalt war an der Tagesordnung. Und die Opposition wurde pauschal beschuldigt, verräterisch zu sein und mit den Feinden des Landes und des Volkes gemeinsame Sache zu machen.
"Wir sind jetzt in einer Phase, in der Menschen glauben, es sei ganz legitim die Vertreter der Opposition anzugreifen - auch physisch. Für die durch die Medien vergifteten Menschen sind wir nicht wertvoller als Kakerlaken", sagt Borko Stefanovic. Sein blutiges Hemd sei die wahre Fahne Serbiens, so der Oppositionspolitiker.