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Politik

Serbiens Waffen, Serbiens Schaukelpolitik

Ivica Petrovic | Keno Verseck
22. Juli 2022

Der Absturz eines mit serbischen Waffen beladenen Flugzeugs in Griechenland wirft viele Fragen zu Korruptionspraktiken in Serbiens Rüstungsindustrie und zu den undurchsichtigen Rüstungsexporten des Landes auf.

Serbien Handfeuerwaffen Aleksandar Vucic
Serbiens Staatspräsident Aleksandar Vucic besichtigt eine Waffenausstellung nahe Belgrad im April 2016Bild: picture alliance /PIXSELL/S. Ilic

Serbische Granaten und Minen, verkauft von einem geheimnisvollen Waffenhändler, bestimmt angeblich für Bangladesch, transportiert von einem ukrainischen Flugzeug, das in Griechenland abstürzt. Es klingt nach dem Plot eines mäßig spannenden Politkrimis. Doch es ist brisante Realität.

Am späten Abend des 16. Juli 2022 stürzte im Nordosten Griechenlands nahe der Stadt Kavala ein ukrainisches Transportflugzeug vom Typ Antonow An-12 ab. Alle acht ukrainischen Besatzungsmitglieder kamen dabei ums Leben. Das Flugzeug war zuvor in der Stadt Nis in Südserbien gestartet und hatte 11,5 Tonnen Mörsergranaten und Minen aus serbischer Produktion geladen. Hinter dem Geschäft soll Slobodan Tesic stehen, einer der größten Waffenhändler des Balkans, belegt seit langem mit US-Sanktionen. Offizielles Zielland des Waffentransports: Bangladesch.

Griechische Feuerwehrleute neben der Absturzstelle des Flugzeugs mit serbischen Waffen in der Nacht zum 17.07.2022Bild: llias Kotsireas/AP Photo/picture alliance

Bald nach dem Start meldete der Pilot über der nördlichen Ägäis Triebwerksprobleme, eine Notlandung schaffte er allerdings nicht mehr. Der Absturz nahe Kavala war verheerend, noch am nächsten Tag kam es immer wieder zu Explosionen von Munition.

Größter Waffenproduzent der Region

Das Unglück führt derzeit nicht nur zu diplomatischen Verstimmungen zwischen Griechenland einerseits und Serbien und der Ukraine andererseits - weil Athen offenbar nichts von dem heiklen Transport wusste und in beiden Ländern protestierte. Die Katastrophe lenkt die Aufmerksamkeit auch auf einen undurchsichtigen Komplex: die serbische Waffen- und Rüstungsindustrie, die immer wieder Schlagzeilen mit Korruption und illegalen Exporten macht.

Ein serbischer Panzer vom Typ T-72B3Bild: Sergei Fadeichev/TASS/Imago Images

Serbien gehört zu den größten und bedeutendsten Waffenproduzenten in Mittel- und Südosteuropa, eine Tradition, die weit in jugoslawische Zeiten zurückreicht. Die fast ausschließlich staatliche Rüstungsindustrie ist ein wichtiger Wirtschaftszweig für das Westbalkan-Land. Im Angebot hat Serbien dabei nahezu alles - von Handfeuerwaffen und Minen über Artillerie und Panzer bis hin zu Raketensystemen, Drohnen, Jagdflugzeugen und elektronischen Ausrüstungen wie Radare. Das Belgrader Verteidigungsministerium beziffert das Volumen serbischer Rüstungsexporte für 2020 auf rund 600 Millionen Dollar (ca. 530 Millionen Euro). Das wären immerhin rund drei Prozent der serbischen Gesamtexporte für 2020. Verlässliche Zahlen gibt es allerdings nicht.

Lieferungen in Kriegs- und Konfliktgebiete

Die wichtigsten Abnehmerländer serbischer Waffen und Militärausrüstungen sind die Vereinigten Arabischen Emirate, Zypern, die USA, Bulgarien und Saudi-Arabien. Doch die serbische Rüstungsindustrie habe Kunden in der ganzen Welt und sei dabei überhaupt nicht wählerisch, sagt der Politikwissenschaftler Vuk Vuksanovic vom Belgrader Zentrum für Sicherheitspolitik (BCBP) der DW. "Der serbische Staat möchte wirklich jeden möglichen Dinar aus dieser Industrie herausholen. Die rote Linie ist jedoch, dass Exportländer nicht unter UN-Sanktionen stehen dürfen oder dass es in ihnen keinen bewaffneten Konflikt geben darf."

Ein Angestellter der serbischen Rüstungsfabrik Zastava in Kragujevac in ZentralserbienBild: Reuters

Vuksanovic betont allerdings, dass Serbien sich "nicht immer an diese Regeln hält". Tatsächlich hat das Westbalkan-Land im Laufe der vergangenen zwei Jahrzehnte immer wieder Waffen in Kriegs- und Konfliktgebiete exportiert oder an Länder geliefert, die unter einem Waffenembargo standen. Im Herbst 2019 kam ans Licht, dass serbische Waffen über Saudi-Arabien in die Hände militanter Islamisten im Jemen gelangt waren. Im Sommer 2020 entdeckte aserbaidschanisches Militär serbische Waffen, die nach Armenien verkauft worden waren, im umkämpften Gebiet Berg-Karabach. Im Februar dieses Jahres deckte ein Netzwerk serbischer Investigativjournalisten auf, dass serbische Waffen an Myanmar noch nach dem Militärputsch vom Februar 2021 geliefert worden waren.

Ein Name, der immer wieder auftaucht

Ein Mann, dessen Name im Zusammenhang mit illegalen serbischen Waffengeschäften immer wieder auftaucht, ist Slobodan Tesic. Der heute 64-jährige ist auf dem Balkan seit Jahrzehnten im Waffenhandel tätig. Von 2003 bis 2013 stand er wegen illegaler Waffenlieferungen nach Liberia auf einer US-Sanktionsliste. Im Dezember 2017 wurden die Sanktionen gegen Tesic wegen zahlreicher illegaler Waffengeschäfte erneuert; sie bestehen bis heute und beinhalten unter anderem ein Reiseverbot sowie Beschlagnahme seiner Vermögenswerte in den USA. Dort wird er offiziell als "größter Waffen- und Munitionshändler des Balkans" bezeichnet.

Serbische Maschinengewehre auf einer Ausstellung in Paris im Juni 2018Bild: Gerard Julien/AFP/Getty Images

Tesic steht auch im Zentrum mehrerer Korruptionsaffären der serbischen Rüstungsindustrie, darunter der so genannten Krusik-Affäre, die im Herbst 2019 ans Licht kam. Demnach sollen Firmen des Waffenhändlers vom staatlichen Rüstungsunternehmen Krusik, das Granaten, Minen und Raketen herstellt, Produkte weit unter Marktwert gekauft und sie teuer ins Ausland verkauft haben - obwohl in Serbien eigentlich das staatliche Unternehmen Jugoimport-SDPR für die Abwicklung internationaler Waffengeschäfte zuständig ist.

Finanzier der Regierungspartei?

Bei diesen Geschäften staatlicher Rüstungsunternehmen mit Privatfirmen soll immer wieder auch Geld an die regierende Serbische Fortschrittspartei (SNS) des Staatspräsidenten Aleksandar Vucic fließen. Tesic gilt dabei als einer der größten SNS-Finanziers, serbischen Medien zufolge besitzt er auch einen Diplomatenpass. Brisant: Auch der inzwischen verstorbene Vater des jetzigen serbischen Verteidigungsministers Nebojsa Stefanovic soll jahrelang in ähnliche Waffengeschäfte verstrickt gewesen sein. Sowohl Vucic als auch Stefanovic bestreiten die Vorwürfe seit Jahren.

Serbiens Verteidigungsminister Nebojsa Stefanovic Bild: picture-alliance/AP Photo/D. Vojinovic

Kaum überraschend, dass Tesics Name nun auch in Zusammenhang mit der jetzigen Waffenlieferung nach Bangladesch und dem Flugzeugabsturz gebracht wird. Er soll hinter der Firma Valir stehen, die das Geschäft offiziell verantwortet. Tesic selbst äußert sich dazu und generell zu den Vorwürfen gegen ihn nicht.

Kippt die Schaukelpolitik?

Spekulationen gibt es auch darüber, ob die Waffen des abgestürzten ukrainischen Flugzeugs womöglich gar nicht für Bangladesch, sondern für die Ukraine bestimmt waren. Sowohl der serbische Verteidigungsminister Stefanovic als auch der Manager der ukrainischen Firma Meridian, die das abgestürzte Flugzeug besaß, dementierten dies. Doch der Politikwissenschafter Vuksanovic glaubt, dass Fragen offen blieben. "Die Öffentlichkeit muss eine Antwort auf die Frage bekommen, warum ein ukrainisches Flugzeug zu einem Zeitpunkt serbische Waffen transportiert, während auf dem Territorium der Ukraine der größte internationale Konflikt tobt", so Vuksanovic.

Ein mobiler serbischer Raketenwerfer bei einer Militärparade in Belgrad im Mai 2017Bild: Darimir Banda/Serbian Defence Ministry/Handout/AA/picture-alliance

Der Politikwissenschaftler sieht die Affäre auch als Ausdruck für die Belgrader Schaukelpolitik zwischen verschiedenen ausländischen Machtzentren. "Das würde einerseits geheime Munition für die Ukraine bedeuten, um dem Westen zu gefallen, andererseits werden Russland in Serbien Zugeständnisse gemacht. All dies ist Teil des Verhaltens der Belgrader Elite, zwischen verschiedenen ausländischen Machtzentren zu balancieren und sich dadurch Gegenleistungen zu erkaufen. Für Serbien stellt sich jedoch die Frage, ob diese Politik nicht an einem gewissen Punkt kippt, weil eines der Machtzentren zu verärgert ist."

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