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Politik

Serbiens Zweckgemeinschaft mit der EU

2. März 2017

Die EU-Beitrittsverhandlungen mit Serbien stocken. Aus Belgrad gibt es Selbstlob, die EU ist hingegen zurückhaltend. Jetzt will sich die EU-Außenbeauftragte Mogherini vor Ort ein Bild von der Lage machen.

Serbien Premierminister Aleksandar Vucic
Von der EU hofiert: Serbiens Ministerpräsident Aleksandar VucicBild: picture-alliance/dpa/S. Lecocq

Offiziell ist die Haltung der serbischen Regierung ganz auf der EU-Linie: "Wir sollten die EU als einen seriösen Partner verstehen, nicht als einen Schatzkrug, den wir finden, und dann wird alles gut - bessere Gehälter und Renten, Arbeitsplätze, weniger Arbeitslosigkeit. Das soll uns nicht die EU bringen, das sollen wir leisten", sagt in einem DW-Interview die Ministerin für öffentliche Verwaltung und lokale Selbstverwaltung in der Regierung Serbiens, Ana Brnabić.

In der Realität zeigt sich der Weg in die EU als ein steiniger. Seit Anfang 2014, als die Verhandlungen anfingen, wurden bis heute nur acht von insgesamt 35 Verhandlungskapiteln eröffnet. Nur die beiden Kapitel, die Wissenschaft sowie Kultur regeln, sind abgeschlossen. Bei dem Tempo wird Serbien erst zwischen 2025 und 2030 beitrittsbereit sein, obwohl Belgrad 2020 als Wunschdatum angepeilt hat. Dazu müssen einige der schwierigsten Themen erst noch verhandelt werden - wie etwa Kapitel 35 über die Normalisierung der Beziehungen zum Kosovo.

Kosovo und Russlandliebe

Dabei hat Belgrad immer eine prorussische Gebärde parat. Mal organisiert man eine serbisch-russische Militärparade, mal schenkt Moskau Serbien einige alte Kampfflugzeuge. Dabei bleibt der Ost-West-Spagat essenziell für die Aufrechterhaltung der Belgrader Kosovo-Politik. Diese ehemalige serbische Provinz, in der mehrheitlich Albaner leben, erklärte 2008 seine Unabhängigkeit. Die USA und 23 von 28 EU-Mitgliedstaaten sprachen zügig eine Anerkennung aus. Moskau dagegen verhindert durch sein Vetorecht im UN-Sicherheitsrat bis heute die Aufnahme des Kosovo in die Vereinten Nationen.

Putin ist in Belgrad ein sehr willkommener GastBild: AFP/Getty Images/Andrej Isakovic

Durch die russische Unterstützung wurde die Belgrader Blockadepolitik ein Ärgernis für die Mehrheit in der EU. Zwar verhandeln Prishtina und Belgrad unter der Leitung der EU in Brüssel über eine Normalisierung der Beziehungen, beide Seiten haben dabei aber grundsätzlich gegensätzliche Annahmen. Für Belgrad ist die "selbsternannte Staatlichkeit des Kosovo" nach wie vor einfach nicht existent, während für Prishtina die serbische Anerkennung der Unabhängigkeit zu den Hauptzielen der Verhandlungen gehört. Gleichzeitig weigert sich Serbien, die wegen des Ukraine-Konflikts verhängten Sanktionen gegen Russland mitzutragen.

"Sowohl Brüssel als auch Moskau ist eine Konstante in der außenpolitischen Positionierung des Landes unter dem national-konservativen Ministerpräsidenten Aleksandar Vučić. Doch die unkritische Liebe zum "serbischen Kosovo" und zu Russland bleiben eindeutig ernstzunehmende Hindernisse auf dem Weg Serbiens zur EU. Spätestens bei der Eröffnung des Kapitels 31 (Die Gemeinsame Außen- und Sicherheitspolitik) wird dieses Thema Belgrad auf die Füße fallen.

Verheerende Wirtschaftsentwicklung

Zu alledem kommt ein unerfreulicher Zustand der serbischen Wirtschaft. Dušan Reljić von der Stiftung Wissenschaft und Politik (SWP) warnt seit Langem davor, sechs Westbalkan-Länder (Albanien, Bosnien-Herzegowina, Kosovo, Mazedonien, Montenegro und Serbien) ihrem ökonomischen Schicksal zu überlassen. Sie würden nicht in der Lage sein, ein nennenswertes Wirtschaftswachstum selbständig zu generieren. "Eine Berechnung der Weltbank besagt: Selbst wenn diese Länder ein sechsprozentiges Wachstum im Jahr hätten, würden sie den EU-Durchschnitt erst im Jahre 2035 erreichen - vorausgesetzt, die EU-Länder hätten gar kein Wachstum", so Reljić.

Die Vorschläge des Balkankenners, wie etwa den sofortigen Zugang zu EU-Kohäsionsfonds für diese Länder zu ermöglichen, dürften allerdings heutzutage auf wenig Gegenliebe in Brüssel und Berlin stoßen. Nach dem Brexit geht es in vielen europäischen Hauptstädten ums blanke politische Überleben. Eine intensive finanzielle Unterstützung für die schwächelnden EU-Anwärter ist derzeit nirgends in der EU mehrheitsfähig.

Das Recht des Stärkeren: Zerstörung von Häusern im Stadteil Savamala Bild: imago/Pixsell/SrdjanxIlic

Orbanisierung Serbiens

Im aktuellen Jahresbericht von Amnesty International (AI) wird man einige Hinweise auf weitere vorprogrammierte Verhandlungsschwierigkeiten Belgrads finden. Beispielhaft für staatlich organisierte Willkür und politische Bevormundung der Justiz und der Polizei ist der Fall "Savamala". Eine Schar paramilitärisch organisierter, vermummter Personen griff in einer Aprilnacht des vergangenen Jahres einige Bewohner und Ladenbesitzer in dem Belgrader Stadtviertel Savamala an. Die angegriffenen Bürger und ihre Immobilien standen dem Prestigeprojekt der Regierung - dem Hochglanzgeschäftsviertel "Belgrad am Wasser" - im Weg. Damit die schleierhaften arabischen Investoren nicht den legalen, aber möglicherweise langwierigen und teueren Weg der Räumung oder Enteignung abwarten müssen, wurde die Zerstörungen der Häuser veranlasst. Trotz panischer Hilfeanrufe blieb in dieser Nacht die Polizei auf der Wache.

Eine Journalistin machte für die Passivität der Polizei den Innenminister verantwortlich. Die sonst langsame serbische Justiz reagierte diesmal prompt und verurteilte die Journalistin und ihre Wochenzeitung zu einer Geldstrafe: Sechs Durchschnittsmonatsgehälter (rund 2400 Euro) kostet in Serbien das Aussprechen des Offensichtlichen. Der aktuelle Fortschrittsbericht der Europäischen Kommission zu Serbien rundet das Bild ab. Im Jahre 2016 findet man im Bereich Meinungsfreiheit und Korruption den lapidaren Befund: No progress!

Zweckgemeinschaft

Und trotzdem hört man aus Brüssel hauptsächlich Lob für die Reformbemühungen Serbiens, gepaart höchstens mit einer diplomatisch verhüllten Kritik. Das offizielle Serbien und die EU bilden eine Zweckgemeinschaft. Brüssel braucht die Stabilität auf dem Balkan. Solange Aleksandar Vučić innenpolitisch unangefochten ist, Gesprächsbereitschaft im Zusammenhang mit dem Kosovo zeigt, die Flüchtlingspolitik moderat gestaltet und "nie wieder Krieg" als Mantra wiederholt, sollte man ihn, so glaubt man in Brüssel, nicht als selbstsüchtigen Autokraten entblößen.

Gruppenbild mit Dame: Mogherini und die Vertreter Serbiens und Kosovo bei den Verhandlungen in BrüsselBild: European Union

In Belgrad wiederum braucht man die EU als politisches Ziel, mit dem die Bürger eine vage Hoffnung auf ein besseres Leben verbinden. Die EU als Zuckerbrot, die serbische Regierung als Peitsche: Diese Arbeitsteilung birgt in sich das Risiko, dass die EU in den Augen vieler Bürger Serbiens zum Komplizen von Vučić verkommt.

Diesen Verdacht soll jetzt die EU-Außenbeauftragte Federica Mogherini zerstreuen. Im Rahmen ihrer Balkantournee besucht sie an diesem Freitag Belgrad, wo gerade der Wahlkampf offiziell eröffnet wurde. Der starke Mann Serbiens, Aleksandar Vučić, hat sich entschieden, den Ministerpräsidentenposten gegen das Präsidentenamt auszutauschen - ganz nach dem Modell Putins oder Erdogans. Die Wahl ist für den 2. April angesetzt. Die regierungsfreundlichen Medien stellen Mogherinis Besuch als willkommene Wahlkampfhilfe für Vučić dar. Wenn auch sie ihre Kritik der serbischen Politik nur im Hinterzimmer äußert, wird das dem Land wenig nützen - dem allmächtig erscheinenden Vučić aber umso mehr.

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