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PolitikEuropa

Sergej Surowikin: "General Armageddon" ist abgesetzt

Miodrag Soric
23. August 2023

Zuerst verschwand er aus der Öffentlichkeit. Jetzt steht fest: Die Karriere des früheren Oberbefehlshabers der russischen Truppen in der Ukraine, Sergej Surowikin, ist erst einmal zu Ende. Der Grund scheint klar zu sein.

General Sergej Surowikin im Jahr 2020
General Sergej Surowikin im Jahr 2020Bild: Sergei Bobylev/Tass/dpa/picture alliance

Als Sergej Surowikin im Oktober 2022 zum Oberbefehlshaber der russischen Einheiten in der Ukraine ernannt wurde, ging ihm ein Ruf voraus. In den sozialen Medien wurde der 57-Jährige oft "General Armageddon" genannt. Im Krieg in Syrien hatte er 2017 und erneut 2019 die russischen Streitkräfte geführt.

Die Ernennung Surowikins zum Oberbefehlshaber der russischen Invasionsarmee in der Ukraine hatten in Russland all jene lebhaft begrüßt, die sich nach den Rückschlägen im Osten der Ukraine ein härteres Vorgehen wünschten - allen voran der tschetschenische Machthaber Ramsan Kadyrow.

Seit dem russischen Überfall auf die Ukraine im Februar hatte Surowikin bereits die Südgruppe der Truppen befehligt. Seine Ernennung zum Chef der gesamten Invasionsarmee passte zur Eskalationsstrategie des russischen Präsidenten Wladimir Putin, sagte damals Margarete Klein, Expertin für Russlands Sicherheits- und Militärpolitik bei der Stiftung Wissenschaft und Politik, gegenüber der Deutsche Welle. Beabsichtigt war Klein zufolge eine psychologische Wirkung auf die Ukraine: Sie sollte demoralisiert und abgeschreckt werden.

Skrupelloser Einsatz

Unter Surowikin griffen die russischen Aggressoren immer skrupelloser zivile Ziele in der Ukraine an. Allerdings blieben militärische Erfolge weiterhin aus. Im Herbst 2022 organisierte er den Rückzug der russischen Angreifer aus der südukrainischen Stadt Cherson. Surowikin vermied so eine noch größere militärische Niederlage.

Stadt unter Beschuss: Sjewjerodonezk vor der Eroberung durch russische Truppen im Juni 2022Bild: Aris Messinis/AFP

Der russischen Generalität wurde spätestens im Winter 2022/2023 immer deutlicher: Militärische Erfolge würde es in der Ukraine nicht geben. Im Gegenteil: Den ukrainischen Verteidigern gelangen - und gelingen bis heute - an gleich mehreren Frontabschnitten Gegenangriffe. Der Frust darüber wuchs auf russischer Seite auch unter dem Oberbefehlshaber Surowikin. An einen schnellen Sieg über die Ukraine, so wie ihn Präsident Putin erwartete, war nicht zu denken. Die Enttäuschung formulierte am deutlichsten der Chef der "Wagner-Söldner",  Jewgeni Prigoschin  -  was ihn unter vielen Russen und russischen Offizieren populär machte. Für die ausbleibenden militärischen Erfolge machte Prigoschin den russischen Verteidigungsminister Sergej Schoigu und Generalstabschef Waleri Gerassimow verantwortlich. Als auch das nichts half, wagte Prigoschin im vergangenen Juni  mit den Söldner-Truppen den Aufstand, marschierte gen Moskau, gab aber am Ende auf. Im Gegenzug durfte er sich mit seinen Söldnern unbehelligt in Belarus niederlassen.

Halbherzige Distanzierung

Russischen Militärbloggern zufolge soll Sergej Surowikin von den Plänen Prigoschins gewusst haben. Zuerst schwieg Sorowikin zum Aufstand des Söldnerchefs, so wie viele russische Generäle. Dann verurteilte Surowikin den Aufstand öffentlich. Doch die Distanzierung kam offenbar zu spät, war halbherzig. Für viele Beobachter in Moskau steht fest: Surowikins Nähe zu Prigoschin wurde ihm zum Verhängnis.

Tod und Zerstörung: Bewohner von Aleppo nach einem Luftangriff im September 2016Bild: Ameer Alhalbi/Getty Images/AFP

Nach dem Ende des Prigoschin-Aufstands wurde Surowikin verhaftet und verhört. Er verschwand lange aus der Öffentlichkeit. Sogar seine Familie hatte keinen Kontakt zu ihm. Medienberichten zufolge soll er nunmehr seines Amtes enthoben worden sein, bleibe aber unter der "Verfügungsgewalt des Verteidigungsministeriums".

Das unehrenhafte Ende von Surowikins Karriere passt zu seinem Aufstieg. Der aus Nowosibirsk stammende, bullig auftretende Sergej Surowikin besuchte 1987 die höhere Militärschule in Omsk und kämpfte im Afghanistan-Krieg. 1991 war er bei dem gescheiterten Augustputsch gegen Präsident Michail Gorbatschow eingesetzt. Dabei befahl er als Schützenkommandant seinen Soldaten, drei Demonstranten mit Panzern zu überrollen, die Straßenbarrikaden errichtet hatten. Das brachte ihn ein halbes Jahr hinter Gitter. Die Verantwortung dafür wies er von sich: Er habe nur Befehle ausgeführt, sagte er der Staatsanwaltschaft.

Vorwurf der Kriegsverbrechen

Menschenrechtsorganisationen werfen Surowikin vor, in Syrien für zahlreiche Kriegsverbrechen verantwortlich zu sein und die Zivilbevölkerung terrorisiert zu haben. Laut Human Rights Watch ließ er in der Provinz Idlib Krankenhäuser bombardieren, obwohl bekannt war, dass sich dort zahlreiche Kinder aufhielten. Angeblich hat er auch Chemiegasangriffe auf Zivilisten in Syrien zumindest gebilligt, wenn nicht gar befohlen. Verantwortlich sein soll er ebenfalls für die Bombardierung der Stadt Aleppo, die die russische Luftwaffe 2016 in Schutt und Asche legte. Putin verlieh ihm 2017 den Orden "Held Russlands" für den Militäreinsatz in Syrien.

Wo immer in den letzten Jahrzehnten das russische Militär das Blut von Zivilisten vergoss – Surowikin war fast stets daran beteiligt. Unter anderem war er 2004 und 2005 im Zweiten Tschetschenienkrieg eingesetzt, im Oktober 2017 wurde er Oberbefehlshaber der russischen Luftwaffe.

Ob er sich als Offizier auch persönlich bereichert hat? "Wir haben keine Beweise dafür", sagt die Wissenschaftlerin Margarete Klein. Bekannt sei aber, dass die Korruption in Russlands Armee endemisch sei.

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