1. Zum Inhalt springen
  2. Zur Hauptnavigation springen
  3. Zu weiteren Angeboten der DW springen

Sergej Tichanowski: "Kampf gegen Lukaschenko geht weiter"

Daria Bernstein
23. Juni 2025

Nach fünf Jahren Haft in Belarus hat der Oppositionelle gemeinsam mit seiner Frau Swetlana eine Pressekonferenz gegeben. Er berichtet von den unmenschlichen Haftbedingungen und spricht über seine Zukunftspläne.

Sergej Tichanowski streht am 22. Juni 2025 nach seiner Freilassung in Litauens Hauptstadt Vilnius vor Mikrofonen von Journalisten
Sergej Tichanowski spricht mit Journalisten am 22. Juni 2025 nach seiner Freilassung in Litauens Hauptstadt VilniusBild: DW

Keine Briefe von Angehörigen in den letzten drei Jahren, keine Möglichkeit, grundlegende Hygieneprodukte zu kaufen und dazu eine unmenschliche Behandlung - so beschreibt der belarussische Oppositionelle Sergej Tichanowski seine Haftbedingungen im Gefängnis in Belarus.

Am 21. Juni kamen er und 13 weitere belarussische politische Gefangene durch Vermittlung der USA frei. Tichanowski kann seine Freilassung kaum fassen, 20 Jahre Gefängnis hätte er nicht ausgehalten, sagt er. Am Tag nach seiner Entlassung sprach er auf einer Pressekonferenz in Vilnius über seine Erfahrungen im Gefängnis und seine Pläne für die Zukunft.

Tichanowskis Haftbedingungen

2021 wurde der Unternehmer und Blogger Sergej Tichanowski bei einem Gerichtsprozess hinter verschlossenen Türen zu 18 Jahren Haft in einer Strafkolonie verurteilt. Die Ermittler warfen dem Aktivisten vor, Straßenproteste in Belarus organisiert zu haben. Tichanowski, bekannt durch seinen Telegram-Kanal "Ein Land zum Leben", hatte im Mai 2020 angekündigt, bei den Wahlen am 9. August für das Präsidentenamt zu kandidieren, doch zugelassen wurde er nicht. Stattdessen trat seine Frau Swetlana Tichanowskaja an. Tichanowski wurde am 29. Mai 2020 in Grodno bei einer Aktion zur Unterstützung der Kandidatur seiner Frau festgenommen.

Tichanowski berichtet, im Gefängnis unter härtesten Bedingungen festgehalten worden zu sein. Weder Anwälte noch Priester seien zu ihm gelassen worden. "Fünf Jahre lang konnte ich kein einziges Mal beichten. Kein einziger Besuch im Knastladen, um sich wenigstens Seife oder eine Zahnbürste kaufen zu können. Andere Gefangene mussten sie mir unter großen Schwierigkeiten besorgen", sagt er.

Wiedersehen von Swetlana und Sergej Tichanowski am 21. Juni 2025 in Vilnius nach fünf Jahren TrennungBild: Office of Sviatlana Tsikhanouskaya

Seine Einzelzelle musste er als politischer Gefangener viermal am Tag putzen. "Was soll man da schrubben? Da ist alles sauber. Aber die Wärter checkten den Staub mit dem Finger - und schickten mich wieder in die Strafzelle", erzählt der Politiker und kann die Tränen nicht zurückhalten. "Die Vergewaltiger und Mörder, die nebenan sitzen, haben Fernseher, sie haben alles, aber wir (politische Gefangene - die Red.) dürfen nichts. Auch für Gefangene gelten Menschenrechte", betont Tichanowski. Ihm zufolge werden die anderen Oppositionellen Viktor Babariko und Maria Kolesnikowa unter ebenso schrecklichen Bedingungen festgehalten. Das habe er von Geheimdienstlern erfahren.

Vorbereitungen auf Freilassung

Im August letzten Jahres, so Tichanowski, habe er verstanden, dass die Freilassung politischer Gefangener, die in belarussischen Gefängnissen mit gelben Namensschildern gekennzeichnet werden, in Vorbereitung sei. Sie alle haben Besuch von der Staatsanwaltschaft bekommen. "Man wollte uns überreden, ein Gnadengesuch einzureichen. Auf mich redeten sie drei Stunden ein, aber ich lehnte ab, da ich die mir vorgeworfenen Verbrechen nicht begangen habe", sagt er.

Am 14. Januar bekam Tichanowski im Gefängnis in Schodino Besuch von Roman Protassewitsch. Der ehemalige Chefredakteur des oppositionellen Telegram-Kanals Nexta, der nach der Präsidentenwahl 2020 zu Protesten gegen den autoritär regierenden Machthaber Alexander Lukashenko aufrief, wurde Anfang Mai 2023 selbst zu acht Jahren Strafkolonie verurteilt. Drei Wochen später wurde er jedoch begnadigt. Nach seiner Freilassung distanzierte sich Protassewitsch von seiner oppositionellen Tätigkeit und wurde mehrfach im belarussischen Staatsfernsehen gezeigt.   

Swetlana Tichanowskaja (links) und politische Gefangene, die am 21. Juni 2025 durch US-Vermittlung freikamenBild: Office of Sviatlana Tsikhanouskaya

Für das Treffen bekam Tichanowski Gefängniskleidung ohne ein gelbes Namensschild und wurde in einen videoüberwachten Raum geführt. "Mir war klar, dass man mich filmen wird. Ich drehte den Kameras den Rücken zu, worauf die Wärter mich anschrien, was ich da mache. Dann kam Protasewitsch herein und sagte, dass er verschiedene Gefängnisse besuche und dass politische Gefangene freigelassen würden", so Tichanowski.

Protasewitsch wollte Tichanowski überreden, ein Gnadengesuch zu stellen oder zumindest einer Ausreise aus dem Land zuzustimmen. Er brachte Kaffee, Tee und Schmalz mit. Es war das einzige Paket, das Tichanowski in den letzten Jahren erhielt. Gleich danach wurde Tichanowski von Sicherheitskräften unter Drohungen dazu gebracht, einer Ausreise aus dem Land schriftlich zuzustimmen. Angesichts gesundheitlicher Probleme stimmte er zu. Tichanowski sagt, im letzten Monat viel zu essen bekommen zu haben - Butter, Käse, Fleisch und doppelte Rationen. Trotzdem bringt er heute nur 79 Kilogramm auf die Waage.

Rückblickend sagt Tichanowski, er habe im Jahr 2020 nicht geglaubt, noch vor den damaligen Präsidentenwahlen im Gefängnis zu landen. Er habe gedacht, man würde ihn als Unternehmer vielleicht unter dem Vorwand von Wirtschaftsverbrechen für einige Jahre ins Gefängnis stecken.

Nun setzt er bei der Freilassung weiterer politischer Gefangener auf die Hilfe von US-Präsident Donald Trump: "Trump kann mit einem Machtwort alle politischen Häftlinge freibekommen. Ich bitte ihn, dies zu tun." Tichanowski betont, dass noch 1100 weitere politische Gefangene in belarussischen Gefängnissen sind. 

Pläne für die nähere Zukunft

Sergej Tichanowski sagt, Lukaschenkos Gegner würden im Gefängnis als Verräter bezeichnet. "Für mich ist jeder, der keinen Widerstand leistet, ein Verräter. Wir müssen weiter gegen Lukaschenko kämpfen, ansonsten wird unser Land zur Wüste, zu einer Region ohne Gerechtigkeit und Mitgefühl, zu einem Land, das materiell und geistig bankrott ist", sagt er und fügt hinzu: " Ich habe mal einen der Wärter gefragt, ob es für ihn normal sei, dass Lukaschenko bald 40 Jahre an der Macht ist. Darauf sagte dieser, Lukaschenko zahle zumindest Gehälter. Worüber kann man mit solchen Leuten reden?"

Swetlana Tichanowskaja bei ihrer gemeinsamen Pressekonferenz mit ihrem Mann SergejBild: DW

Der Regimegegner will nun seinen YouTube-Kanal wieder aktivieren und weitere eröffnen, auch um alle Akten seines Strafverfahrens, das nicht öffentlich war, publik zu machen.

Wer führt die belarussische Opposition an?

Tichanowski sagt, er habe keine Ansprüche auf die Führungsrolle in der belarussischen Opposition im Exil. Er unterstreicht, dass seine Frau Swetlana Tichanowskaja Oppositionsführerin bleibt. Tichanowski betont, nach fünf Jahren Haft werde man nicht gleich zur Führungspersönlichkeit. "Über fünf Jahre war ich allein, ohne Nachrichten, drei Jahre lang bekam ich nicht einmal Briefe von meinen Angehörigen. Ich muss mich noch viel informieren", sagt er.

Tichanowski verbindet die künftigen Veränderungen in Belarus mit der Situation in Russland, dem engen Verbündeten des Lukaschenko-Regimes. "Es wird keine Befreiung von Belarus geben, solange das Putin-Regime nicht zusammenbricht. Wenn Putin nicht wäre, würden wir nicht hier sitzen, alles wäre schon 2020 oder 2021 entschieden worden", glaubt er.

Seine Frau Swetlana Tichanowskaja betont, sie habe versprochen, solange an der Seite der Belarussen zu stehen, bis alle politischen Gefangenen frei sind und demokratische Wahlen abgehalten werden. "Solange ich genug Kraft und Unterstützung habe, werde ich diese Arbeit fortsetzen", versichert sie.

Adaption aus dem Russischen: Markian Ostaptschuk

 

Den nächsten Abschnitt Mehr zum Thema überspringen