Serienmörder Fritz Haarmann: "Der Schlächter von Hannover"
14. April 2025
Friedel Rohte ist gerade mal 17 Jahre alt, als er im September 1918 in Hannover verschwindet. Zuvor hat man ihn mit einem feinen Herrn im Café gesehen. Fritz Haarmann heißt der Mann - und ist der Polizei wohlbekannt, weil er als Spitzel in ihren Diensten steht. Als sie ihn in seiner Wohnung befragen wollen, erwischen sie ihn mit einem 13-jährigen Jungen im Bett. Den Gesuchten finden sie nicht. "Hätten sie mal richtig geguckt, denn der Schädel Friedel Rohtes stand wohl in einer Wandnische, versteckt unter Zeitschriften und Büchern", erzählt der pensionierte Kriminalbeamte Jürgen Veith der DW.
In Hannover wandelt Veith bei "Mord(s)-Touren" mit seinen Gästen auf den Spuren des Serienmörders. "Haarmann war im Prinzip der deutsche Jack the Ripper", sagt er. 26 Morde - andere Quellen reden von 24 - an jungen Männern habe er gestanden. "Das waren die Morde, an die er sich erinnern konnte. In Wirklichkeit dürften es mehr als 50 gewesen sein", sagt Veith.
Wer war Fritz Haarmann?
Rückblick: Fritz Haarmann wurde am 25. Oktober 1879 in Hannover geboren, als jüngstes von sechs Kindern. "Er hatte eine sehr schlimme Kindheit. Sein Vater war wohl alkoholkrank, ein Säufer- wie man früher sagte -, er muss ihn auch viel geprügelt haben", erzählt Jürgen Veith. Und Fritz Haarmann hat wohl sexuellen Missbrauch durch einen älteren Bruder über sich ergehen lassen müssen."
Sind das Faktoren, die einen zum Serienmörder werden lassen? "Eine 'schwere Kindheit' ist keine Entschuldigung", sagt die Kriminalpsychologin Lydia Benecke der DW. "Natürlich begehen die allermeisten Menschen, die entsprechend ungünstigen Faktoren in ihrem frühen Leben ausgesetzt waren, keine schweren Straftaten." Doch wissenschaftliche Erkenntnisse, ergänzt sie, würden belegen, dass entsprechende Misshandlungen bei einer kleinen Gruppe von Menschen Auslöser für die Entwicklung hin zur Begehung schwerer Straftaten sein könnten - zu deren Extremform Serienmorde gehören.
"Eine fundamentale Fehlannahme von Menschen besteht darin, zu glauben, es müsste einem Menschen anzumerken sein, wenn er schwere Straftaten begeht", so Benecke. "Dies trifft in den meisten Fällen nicht zu." Auch bei Fritz Haarmann nicht. Im Alltag wirkt er vertrauenerweckend. Er ist stets gut gekleidet, freundlich und unauffällig. Auch bei der Polizei kommt er gut an. Er liefert ihr Informationen aus dem Rotlichtmilieu.
Morden in der Dachkammer
Haarmann begeht seine Morde in einer Zeit, als die Menschen gerade mal ein paar Jahren den Ersten Weltkrieg hinter sich haben. Es gibt viele Arbeitslose, Essen ist Mangelware, der Schwarzmarkt floriert ebenso wie die Prostitution. Fritz Haarmann handelt unter der großen Vorhalle des Hauptbahnhofs Hannover mit gestohlener Kleidung junger Männer, Fleisch und anderen Dingen. Hier schaute er sich nach seinen Opfern um. "Er hatte einen guten Riecher für junge Burschen, die in der damaligen schlimmen wirtschaftlichen Zeit der 1920er-Jahre so mehr oder weniger ziellos und hilflos waren", erzählt Veith. "'Ach komm, du hast bestimmt Hunger. Du siehst so müde aus. Kannst bei mir mal übernachten und kriegst du auch was zu essen' - so hat er vermutlich seine Opfer angelockt."
Die jungen Männer, die Haarmann in seine Dachkammer folgen, sind zwischen zehn und 22 Jahre alt. Haarmann nennt sie seine "Puppenjungs". Sie sollen den Ort nicht mehr lebend verlassen. Die Nachbarn in dem Armenviertel kümmern sich nicht um die seltsamen Geräusche aus seiner Wohnung. Haarmann zerbeißt seinen Opfern die Kehle. Das habe ihn sexuell erregt, wird er später zu Protokoll geben.
Allerdings ist ihm offenbar der Aufwand, der mit der Beseitigung der Leichen verbunden war, lästig: "Ich bin immer mit Grauen an diese Arbeit gegangen und doch war meine Leidenschaft stärker als das Grauen vor der Zerstückelung."
"Es wurde vermutet, dass Haarmann Fleisch seiner Opfer… auf dem Schwarzmarkt verkaufte. Illegaler Fleischhandel war alltäglich, das Fleisch dort zu verkaufen, könnte also eine sehr pragmatische Methode dargestellt haben, um sowohl Leichenteile zu beseitigen, als auch sich an diesen zu bereichern", so Lydia Benecke zur DW. "Ob er jemals etwas von dem Fleisch tatsächlich verkaufte oder sogar selbst verzehrte, bleibt ungeklärt." Fest steht aber, dass er viele Knochen seiner Opfer im Fluss entsorgt, der Leine.
Das Geständnis
Das wird Fritz Haarmann schließlich zum Verhängnis. Spielende Kinder finden Schädel am Ufer. Zunächst hält man sie für die Überreste von Ertrunkenen, doch als immer mehr Knochen auftauchen, wird die Polizei hellhörig. Nach und nach tauchen rund 500 Leichenteile auf. Die Bürger der Stadt haben Angst, wer mordet da unter ihnen? Der "Schlächter", "Werwolf" und "Vampir von Hannover" macht weltweit Schlagzeilen.
Die Spur führt zu Fritz Haarmann, im Juni 1924 wird er verhaftet. Die Polizei kennt ihn als Kleinkriminellen, hat oft ein Auge zugedrückt, weil er gute Spitzeldienste leistet. Aber ein Serienmörder? Man will es kaum glauben. Doch die Polizisten finden bei der Durchsuchung seiner Wohnung Blutspuren und blutbefleckte Kleidungsstücke.
Zunächst verweigert Haarmann die Aussage, daraufhin erhöht die Polizei den Druck und greift, so Veith, zu unlauteren Methoden. Sie stellt beleuchtete Schädel in die Ecken seiner Gefängniszelle, die Augenhöhlen mit rotem Papier beklebt. Auch ein Sack mit menschlichen Gebeinen steht in der Ecke. Die Verstorbenen würden ihn holen, wenn er nicht gestehen würde, droht man ihm. Und Haarmann gesteht. "Seine Puppenjungen sei doch immer so lieb zu ihm gewesen und hätten gerne mitgemacht", sagt er. Er habe sie im "sexuellen Rausch" getötet.
"Warte, warte nur ein Weilchen, bald kommt Haarmann auch zu dir"
Der Prozess gegen Fritz Haarmann ist das Medienereignis schlechthin. Der Volksmund dichtet einen bekannten Operettenschlager um. Aus "Warte, warte noch ein Weilchen, dann kommt auch das Glück zu dir" wird "Warte, warte nur ein Weilchen, bald kommt Haarmann auch zu dir - mit dem kleinen Hackebeilchen und macht Leberwurst aus dir."
Der Prozess beginnt im Dezember. "In der heutigen Zeit wäre so ein Riesenverfahren in so kurzer Zeit nicht abgeschlossen worden", sagt Veith. Schon damals seien Zweifel an der Rechtmäßigkeit aufgekommen; so kritisierte der zeitgenössische Journalist Theodor Lessing: "Kaum jemals ist ein bedeutender Prozess unfähiger, kleinlicher und törichter geführt worden." Man habe die Zurechnungsfähigkeit Haarmanns nicht richtig überprüft.
Das Todesurteil wird trotzdem vollstreckt. Am 15. April stirbt Fritz Haarmann unter dem Fallbeil. Zuvor hat er sich noch gewünscht, dass man ihm ein Denkmal errichtet. " Das ist eine Sehenswürdigkeit noch in 1000 Jahren. Da kommen sie alle und seh’n sich das noch an“, soll er zu dem Psychiater gesagt haben, der ihn in der Haft befragte.
Zweifelhafter Ruhm nach dem Tod
Die Geschichte des Serienmörders Fritz Haarmann schaffte es mehrfach auf auf Theaterbühnen und die Film-Leinwand, so etwa in "M - eine Stadt sucht ihren Mörder" von Fritz Lang aus dem Jahre 1931 oder dem Oscar-nominiertem Streifen "Der Totmacher" (1995) mit Götz George. Hörspiele, ein Musical, Bücher, eine Graphic Novel und sogar ein mörderisches Brettspiel - das allerdings sehr umstritten war- beschäftigen sich mit Haarmann. Und auch in der Musik hat man Fritz Haarmann verewigt. Zuletzt 2023, da veröffentlichte die japanische Metal-Band "Church of Misery" in Anlehnung an Haarmann den Song "Most Evil". Und ja, es gibt sogar eine Statue, wie er es sich gewünscht hat - von dem bekannten Wiener Bildhauer Alfred Hrdlicka (1928-2009).
Fritz Haarmann wollte berühmt werden, und das ist ihm definitiv gelungen. Auch 100 Jahre nach seinem Tod kennt man seinen Namen. Und das nicht nur in seiner Heimatstadt Hannover.