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Gesellschaft

Sexismus in Berlin - Redet endlich darüber!

Gero Schließ
26. November 2017

Unter dem Hashtag #MeToo brechen weltweit immer mehr Frauen das Schweigen über sexuelle Gewalt. Nur in Berlin wird kaum darüber geredet. Das sollte sich ändern, meint Kolumnist Gero Schließ. Auch in der Kulturszene.

Eine Demonstrantin in Berlin hält das Plakat mit der Aufschrift: "We are angry for good reason"
Vereinzelt demonstrieren auch Berliner/innen gegen Sexismus. Doch das ändert noch nichts am Schweigekartell.Bild: Imago/Bildgehege

Berlin schweigt.

Oh, wie geschwätzig kann diese Stadt sein. Kein Thema, zu dem nicht irgendeinem irgendetwas Oberschlaues einfällt: Wie man mit öffentlichen Klos Touristenströme lenkt, warum possierliche Kreuzkröten millionenschwere Bauinvestoren vertreiben, wieso man sich zum Heiraten drei Monate anstellen muss.  

Aber jetzt schweigt Berlin.

Sexismus im Regierungsviertel? Noch bleibt vieles im DunkelnBild: Getty Images/AFP/O. Andersen

Dabei reden alle davon: #MeToo sagen die Frauen in Hollywood und das Film-Imperium zittert. In Washington stellen sie Senatoren in die Ecke. In London tritt ein Minister zurück. Sexuelle Übergriffe, Gewalt, Anzüglichkeiten werden in vielen Ländern thematisiert.

Doch Berlin schweigt weiter.

Die deutschen Medien berichten eifrig über #MeToo. Aber: Je weiter weg, desto lieber. Hollywood, Washington, London. Aber Berlin? Wo sind sie, die investigativen Federn, die sonst im Regierungsviertel kein Stein auf dem anderen lassen?

Weiter dröhnendes Schweigen in Berlin.

Doch dann kommt plötzlich der offene Brief der Kollegin Carolin Würfel auf Zeit-Online: "Wir wissen es – Sexismus in der Kulturszene". Nicht die Berliner Politik, sondern die Berliner Kulturszene ist das Ziel von Würfels Attacke gegen Schweigen und Verdrängen. Sie spricht von Tätern, schreibt über Künstler und Galeristen, die Frauen zum Sex zwingen und Abhängigkeiten schamlos ausnutzen.

Wird Berlin jetzt sein Schweigen brechen?

#MeToo-Demonstration in Los Angeles: Über Hollywood berichten deutsche Medien, aber was ist mit Berlin?Bild: picture-alliance/NurPhoto/R. Tivony

Zumindest die Berliner Kunstwelt, die international gefeiert wird als eine der kreativsten der Welt? Ich sag mal: Besonders kreativ im Wegschauen. Der Artikel von Carolin Würfel rüttelt wach. Mehr als 1000 Kommentare im Internet, nicht wenige müssen gelöscht werden.

Auch ich bin aufgewühlt. Denn manche Kommentare sind hämisch und selbst sexistisch. Selber schuld, sagen noch die harmlosesten. Andere sprechen von Hype, wollen das Thema zu den Akten legen.

Wie ignorant ist das? Da mag das unermüdliche Berliner Antisexismusbündnis noch so umherziehen und den "Feminizid" bekämpfen. Vergeblich. Ich spüre eine stillschweigende Übereinkunft, eine Schweigespirale. Die muss endlich aufgebrochen werden.

Fangen wir damit an! Die Fakten sind zum Fürchten: Mehr als 40 Prozent der Frauen in Deutschland wurden einer jüngeren Studie zufolge sexuell belästigt. Übrigens auch 12 Prozent der Männer.

Sex und Alkohol

Die dunkle Seite der Berliner Kulturszene: Sexuelle Übergriffe gegenüber FrauenBild: DW/G. Schließ

Und wie ist es in der Berliner Kulturszene? Ich will es genau wissen, telefoniere herum, rede mit Leuten. "Wir kennen keine Frau, die nicht schon mal mit Sexismus konfrontiert war", erzählt mir eine leitende Managerin aus dem Berliner Kunstbetrieb. Sie inbegriffen. Ich kenne die Managerin recht gut. Sie ist selbstbewusst, nüchtern, mit beiden Beinen auf dem Boden. Dann erzählt sie von einem Berliner Sammler, der "regelmäßig Frauen abfüllt und missbraucht". Und sich dann mit Schweigegeld loskauft.

Oft fängt es bei Partys und feucht-fröhlichen Ausstellungseröffnungen an. Die Übergänge seien fließend, erfahre ich. Und gemeint ist damit der Fluss des Alkohols.

Aber egal ob Kunstbusiness, Film oder Modebranche: Keiner redet. Zu groß die Angst, zu erdrückend die Abhängigkeiten. Das Schweigekartell funktioniert nahezu perfekt.

Das macht mich wütend. Und ich finde es – sorry – zum Kotzen, dass dies gerade im ach so liberalen Berlin passiert. Das ist nicht cool und schon gar nicht sexy. Sondern ziemlich arm!

Nicht nur in der Kultur

Fordert eine offene Diskussion in Berlin: Unser Kolumnist Gero Schließ

Was kann der Einzelne ändern? Ich nehme mir vor, künftig noch besser zuzuhören, den Betroffenen Mut zu machen und diejenigen in meinen Berichten zu schützen, die nicht öffentlich reden wollen. So wie jene, mit denen ich vor dieser Kolumne gesprochen habe.

Und ich frage mich: Macht die Berliner Kulturszene nach dem Artikel von Carolin Würfel jetzt Ernst mit einer offenen Diskussion? Und mit Respekt und Unterstützung für Frauen, die sich an die Öffentlichkeit wagen? Und folgen dann andere?

Dunkle Stellen gibt es genug - überall in Berlin. Denn glauben Sie, die Universitäten, die Unternehmen oder das Berliner Regierungsviertel seien eine sexismusfreie Zone?

Machen wir uns nichts vor. Deswegen: Schluss mit dem Schweigen! Fangen wir endlich an, zu reden!

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