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KulturGlobal

Kate, Furtado, Baerbock: Warum die Shitstorms Sexismus sind

11. September 2025

Ob Prinzessin, Popstar oder Politikerin - Catherine von Wales, Nelly Furtado und Annalena Baerbock werden im Netz wegen ihres Äußeren zerrissen. Expertinnen erklären, warum das kein Zufall ist.

Frau mit langen dunkelblonden Haaren in Jackett und weißer Bluse vor einer Treppe.
Prinzessin Kate bei einem Museumsbesuch Anfang SeptemberBild: Tayfun Salci/ZUMA/dpa/picture alliance

Prinzessin Catherine von Wales färbt sich die Haare blond ‑ und sofort tobt die Kommentarspalte: von "Perücke" über "straßenköterblond" bis zu Spekulationen über graue Haare. Dass Kate erst vor einem Jahr eine Krebserkrankung überstanden hat, geht dabei fast unter.

Auch Annalena Baerbock wird nicht verschont: Die frühere deutsche Außenministerin, die diese Woche ihr Amt als Präsidentin der UN-Vollversammlung angetreten hat, winkt in New York ein Taxi heran, trägt Jeans, Jackett und High Heels ‑ ein kurzes Instagram-Video. Prompt hagelt es Kommentare, sie sei eine "Carrie-Bradshaw-Kopie" (Hauptfigur in der Serie "Sex And the City", Anm. d. Red.) oder "Influencerin light".

Und die Popsängerin Nelly Furtado? Sie hat Gewicht zugelegt, steht dennoch im engen Kleid selbstbewusst auf der Bühne. Doch in den Kommentaren unter ihren jüngsten Konzertvideos geht es nicht um die Songs, sondern um ihren Körper.

Diese drei Fälle zeigen: Egal ob Politik, Pop oder Royals ‑ Frauen in der Öffentlichkeit werden nach wie vor gnadenlos nach Äußerlichkeiten bewertet.

"Wir nennen das Sexismus"

Margreth Lünenborg, Professorin für Medienwissenschaften an der Freien Universität Berlin, sagt im DW-Interview klar: "Wir nennen das Sexismus! Frauen erleben in sozialen Medien weitaus mehr aggressive Anfeindungen, Körperzentrierung und Beschämung als Männer."

Sie sieht darin ein Wechselspiel zwischen einer hochgradigen öffentlichen Aufmerksamkeit auf die Körper von Frauen und der daraus resultierenden Selbstoptimierung - bis hin zu chirurgischen Eingriffen. "Unter digitalen Bedingungen permanent beobachtet zu werden, führt zu massiver visueller Optimierung, zu immer stärkeren Veränderungen und Zurichtungen von Körpern."

Machtstrukturen, die früh greifen

Dr. Maya Götz, Leiterin des Internationalen Zentralinstituts für das Jugend- und Bildungsfernsehen, betont im DW-Gespräch: "Egal, in welcher Position Frauen sind, man verweist sie immer zuerst auf ihr Aussehen und das immer mit dem Subtext: 'Eine starke Frau sieht super aus'. Das lernen Mädchen schon im Kindergarten, wenn man sie für ein hübsches Kleid lobt, während Jungen nicht auf ihre Kleidung angesprochen werden." Hinter dieser Fixierung stehe eine Machtstruktur: "Das macht jungen Mädchen und Frauen große Probleme ‑ und eröffnet anderen die Möglichkeit, Macht über sie auszuüben."

Medien als Verstärker

Auch die Rolle der Medien und Plattformen wird kritisch gesehen. Lünenborg erklärt: "Algorithmen ranken bestimmte Körperbilder nach oben, andere verschwinden in der Peripherie. Medien intensivieren, was als attraktiv gilt ‑ und markieren andere als Freaks oder hässlich, damit die Schönheit dagegen umso mehr strahlt."

Rabea Weihser: "Die Klischees halten sich bis heute"Bild: Fabian Raabe

Die Kulturjournalistin und Buchautorin Rabea Weihser verweist im DW-Gespräch zudem auf historische Muster: "Frauen werden in westlichen Gesellschaften seit Jahrhunderten aufgrund ihres Äußeren bewertet. In der Aufklärung etwa wurde die Frau als Geschöpf der Natur definiert und der Mann als Geschöpf des Geistes. Diese Klischees halten sich bis heute."

Bis ans Lebensende wie 25 aussehen

Attraktivität sei zum Teil noch immer archaisch definiert, so Weihser, die sich in ihrem aktuellen Buch "Wie wir so schön wurden" dem Thema Schönheit kulturhistorisch, naturwissenschaftlich und medial widmet: "Insbesondere bei Frauen ist es wichtig, dass sie einen jungen und fruchtbaren Eindruck machen, egal ob sie noch im fruchtbaren Alter sind oder schon jenseits der 45. Es ist ein großes Paradoxon, dass von Frauen bis zu ihrem Lebensende erwartet wird, auszusehen wie 25."

Kim Kardashian leistet eine Menge "Schönheitsarbeit" und lässt Medien und Internet teilhabenBild: Matteo Chinellato/IPA/ZUMA/picture alliance

Um dies zu erfüllen, leisten viele Frauen, egal ob prominent oder nicht, enorm viel "Schönheitsarbeit". Sie investieren Geld und Zeit in die Herstellung eines gesellschaftlich akzeptablen Äußeren. Und sie messen sich an sozial einflussreichen Vorbildern, die es weltweit und quer durch alle Kulturen gibt: Gruppen oder Einzelpersonen, deren Leben als erstrebenswert gilt.

"In früheren Epochen war es vor allem der Adel", so Weihser, "heute sind es Personen wie etwa Kim Kardashian, die mit ihrer Selbstgestaltung regelmäßig Trends setzt und die entsprechenden Produkte gleich mit vermarktet, die dann suggerieren: 'wenn du das alles kaufst, dann wirst du so schön wie ich, und du hast die Chance auf ein ähnlich erfolgreiches Leben'. Attraktivität ist sehr oft eine falsche Glücksverheißung."

Nelly Furtado als Signal

Ein Gegenbild zum vermeintlichen Schönheitsdiktat und Perfektionismus liefert Popsängerin Nelly Furtado: Trotz Body-Shaming pariert sie all die toxischen Kommentare und steht selbstbewusst in engen Outfits auf der Bühne.

Nelly Furtado im August 2025 bei einem Konzert in MünchenBild: Jens Niering/picture alliance

Rabea Weihser sieht in Furtados Haltung ein wichtiges Signal: "Sich so zu behaupten, ist erstmal sehr gesund. Damit kommt sie zwar den krankhaften Hatern nicht bei. Aber wir brauchen mehr Personen des öffentlichen Lebens, die für Glamour stehen und dennoch zeigen, dass sie echte Menschen sind. Dieser Eindruck geht mitunter verloren angesichts all der künstlich optimierten und polierten Körperoberflächen."

"Für junge Frauen ist es extrem schwierig, sich gegen die Abwertung im Netz zu behaupten. Sie sehen sich selbst als Problem. Deshalb sind Vorbilder wichtig ‑ Frauen, die klar zeigen: Nicht du bist das Problem, sondern die, die dich angreifen", sagt auch Maya Götz.

Unermüdlich zeigen sich Influencerinnen wie Tara-Louise Wittwer als @wastarasagt oder Louisa Dellert auf ihren Instagram-Accounts dem Netzpublikum, begegnen Hatern mit Ironie und Haltung. Täglich machen sie Tausenden Mädchen und Frauen Mut, sich selbst anzuerkennen.

Ob High Heels in Manhattan, eine Haarfarbe oder ein Körper im Wandel: An Frauen wird festgemacht, was bei Männern kaum Thema wäre. Die Forschung ist sich einig ‑ es geht nicht nur um Gossip, sondern um Macht, Strukturen und Bilder, die das Leben von Mädchen und Frauen weltweit prägen.

Silke Wünsch Redakteurin, Autorin und Reporterin bei Culture Online
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