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Politik

"Es gibt keine gute Prostitution"

Rahel Klein
4. April 2019

Deutschland gilt als das "Bordell Europas" - auch wegen seines liberalen Prostitutionsgesetzes. Bei einem Kongress in Mainz fordern Organisationen ein Sexkaufverbot. Sie sagen: Keine Frau prostituiert sich freiwillig.

Symbolbild Prostitution | Prostituierte in London
Bild: picture-alliance/empics/Y. Mok

Sechs Jahre lang hat Sandra Norak (Name geändert) als Prostituierte gearbeitet. Noch als Minderjährige lernte sie über das Internet einen deutlich älteren Mann kennen, der ihr die große Liebe versprach. Norak hatte Probleme zu Hause, vertraute ihm und er drängte sie in die Prostitution". Sie wurde Opfer der "Loverboy-Methode" - so nennt sich diese weit verbreitete Masche.

Der Mann brachte Norak in ein Flatrate-Bordell. Hier musste die junge Frau in vier Wochen 400-500 Sexkäufer bedienen, wie die heute 29-Jährige berichtet. "Man hört irgendwann auf, sich als fühlenden Menschen wahrzunehmen; es ist vergleichbar mit der Zerstörung der eigenen Identität", sagt sie auf dem Podium beim CAP-Weltkongress gegen sexuelle Ausbeutung von Frauen und Mädchen, der vom 2. bis 5. April in Mainz stattfindet.

Rund 350 Frauen und Männer aus internationalen Organisationen sind zu dem Kongress gekommen. Sie alle haben ein Ziel: ein Sexkaufverbot in Deutschland, langfristig die komplette Abschaffung der Prostitution.

"Männer kaufen Macht"

Auch Norak setzt sich seit ihrem Ausstieg aus der Prostitution beim Verein "Sisters"dafür ein. "Prostitution müsste als das anerkannt werden, was sie ist: Gewalt und eine Verletzung der Menschenwürde", sagt sie im Gespräch mit der DW. Ihrer Forderung schließen sich die Teilnehmer des Kongresses an. Ihre Argumentation: Prostitution entsteht immer aus einer Not heraus und endet im Zwang und der sexuellen Ausbeutung der Frau. "Männer kaufen keine Sexualität, sie kaufen Macht", sagt EMMA-Gründerin Alice Schwarzer, die ebenfalls zum Kongress gekommen ist. "Wir leben in einem Land, in dem Prostitution salonfähig ist", sagt sie.

Alice Schwarzer hielt bei dem Kongress einen EinführungsvortragBild: DW/R. Klein

Während des Kongresses sprechen die Teilnehmerinnen und Teilnehmer über die psychischen und körperlichen Auswirkungen der Prostitution. Aussteigerinnen wie Norak berichten über ihre Erfahrungen. Am Ende des Kongresses wird eine gemeinsame Erklärung verabschiedet. Die Hauptforderung: Deutschland soll das nordische Modell einführen, so wie viele andere Länder dies bereits getan haben. Frankreich führte es 2016 ein, Irland 2017. Seit bereits 20 Jahren gilt es in Schweden. Es enthält ein Sexkaufverbot. Das unterscheidet sich vom Verbot der Prostitution: Der Kauf sexueller Dienste wird kriminalisiert, der Freier macht sich strafbar, nicht die Prostituierte. Inwieweit das schwedische Gesetz die Prostitution eingedämmt hat, lässt sich schwer beantworten. Manche Experten sagen, die Prostitution habe sich verlagert: von der Straße in die Wohnungen oder ins Internet. Es gibt aber auch Studien, die zeigen, dass der Sex-Markt insgesamt geschrumpft ist.

Deutschland: "Bordell Europas"

In Deutschland war Prostitution bis 2002 sittenwidrig. Das dann verabschiedete Prostitutionsgesetz sollte die Rechte von Prostituierten stärken und legalisierte sexuelle Dienstleistungen. Seit 2017 gibt es das Prostitutionsschutzgesetz, das Frauen vor Gewalt und Zwang schützen soll. Bordelle brauchen eine Betriebserlaubnis, Prostituierte sollen registriert werden und bekommen eine Bescheinigung, in der Szene "Hurenpass" genannt. Tatsächlich meldeten sich im ersten Jahr nach Inkrafttreten aber nur rund 7000 Frauen an, bei - je nach Statistik - zwischen 200.000 bis einer Millionen Prostituierten in Deutschland. Nach wie vor hat Deutschland eines der liberalsten Prostitutionsgesetze, gilt als das "Bordell Europas". Zwischen 80 und 90 Prozent der Prostituierten kommen aus dem Ausland, viele arbeiten unter Zwang und menschenunwürdigen Bedingungen, sind über Menschenhändler nach Deutschland gekommen.

Die Bundesregierung hält ein Sexkaufverbot aber für den falschen Weg. Es bestehe die Gefahr, dass "die Sexarbeiterinnen in die Illegalität gedrängt werden und den Gefahren und Risiken des Gewerbes schutzlos ausgeliefert sind", erklärte ein Sprecher des Familienministeriums vor wenigen Tagen.

Hilfsorganisationen: Gibt keine freiwillige Prostitution

Die Argumentation finden die Kongressteilnehmer zynisch, genauso wie die weit verbreitete Argumentation, dass sich viele Frauen freiwillig prostituieren würden. "Ich kümmere mich seit 34 Jahren um Frauen, die so ausgebeutet werden", sagt Sr. Lea Ackermann, Gründerin des Vereins "Solidarity With Women in Distress" (SOLWODI) im Gespräch mit DW. "Heute behaupte ich: Keine einzige Frau macht das freiwillig."

Sr. Lea Ackermann hilft Prostituierten seit Jahrzehnten bei ihrem Ausstieg aus der ProstitutionBild: DW/R. Klein

Armut sei ein ganz starkes Motiv für Prostitution, sagt Gerhard Trabert, Gründer des Vereins Armut und Gesundheit in Deutschland. "Wir wissen, dass sich immer häufiger Frauen prostituieren, um einfach überleben zu können, weil die sozialen Transferleistungen nicht mehr wirklich ausreichen, um an dieser Gesellschaft teilhaben zu können." Auch Trabert fordert die Abschaffung der Prostitution - und ein gesellschaftliches Umdenken. "Wir brauchen gerade bei jungen Männern ein anderes Bild der Frau: Dass sie nicht ein Objekt der Begierde ist, sondern dass sie ein Subjekt ist und dass es nichts mit Liebe zu tun hat, eine Frau so zu benutzen und ihr Gewalt anzutun."

Gerhard Trabert ist auch Notfallmediziner und hilft in seinem Arztmobil bedürftigen MenschenBild: DW/R. Klein

Überhaupt sind sich die Teilnehmer des Kongresses sehr einig, immer wieder gibt es lauten Applaus bei der Forderung nach einem Sexkaufverbot, auch die Möglichkeit einer Verfassungsklage findet großen Beifall. Aus ihrer Sicht verhindert die Prostituiertenlobby eine schärfere Gesetzgebung in Deutschland. "Diese Gesetzgebung vermittelt, dass Männer ein Recht auf Sex haben und dass sie jederzeit eine Frau benutzen und dann wegwerfen können wie eine Zigarettenschachtel", sagt Norak.

Vertreter von Prostituiertenverbänden waren bei dem Kongress nicht anwesend. Man sei weder angesprochen noch eingeladen worden, sagt Simone Wiegratz, Leiterin der Beratungsstelle Hydra. Doch selbst bei einer Einladung wäre man wohl nicht hingegangen, sagt Wiegartz, die auch Vorstandmitglied im Bündnis der Fachberatungsstellen für Sexarbeiterinnen und Sexarbeiter (BUFAS) ist - die unterschiedlichen Positionen seien einfach klar.

Widerstand von Prostitutionsverbänden

Hydra und BUFAS setzen sich dafür ein, Sexarbeit mit anderen Erwerbsformen mehr und mehr gleichzustellen. Ein Sexkaufverbot oder ein Verbot von Prostitution lehnen sie strikt ab. Frauen könnten sich nicht mehr richtig wehren, so Wiegratz, weil sie in der Illegalität agierten und sozial geächtet würden. "Wenn man in eine Schmuddelecke gestellt wird und sich gar nicht äußern kann und darf, dann ist man ungeschützt." So kämen die Frauen in noch schwierigere Verhältnisse, sagt Wiegratz. 

Das Pascha in Köln gehört zu Europas größten BordellenBild: picture-alliance/R. Goldmann

Auch der Aussage, Prostitution sei immer Zwang, stimmt sie nicht zu. Manche Frauen würden die Entscheidung allerdings nicht richtig durchdenken, sagt Wiegratz. Daher frage man die Frauen bei der Einstiegsberatung auch immer nach ihren Motiven. Doch dass Prostitution allen Frauen schade, sehe sie nicht. "Manche können das gut verkraften, die haben eine Grenzziehung in sich, die sie gut durchs Leben kommen lässt."

Solchen Aussagen stimmt Sandra Norak nach ihren eigenen Erfahrungen nicht zu. "Was ich in sechs Jahren gesehen habe, ist einfach, dass es keine gute Prostitution gibt", sagt Norak. "Sie macht immer etwas mit Frauen. Sie war nie für eine Frau, die ich gesehen habe, auch nur irgendwie tragbar." Heute studiert Norak Jura, konnte die Zeit als Prostituierte hinter sich lassen. Es gehe ihr heute ganz gut, sagte sie im Gespräch. "Aber vergessen tut man das trotzdem nicht, was da passiert ist."

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