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Politik

Sexuelle Gewalt gegen Flüchtlinge in Libyen

Nermin Ismail
26. März 2019

In Libyen werden immer mehr Migranten gefoltert und vergewaltigt - aus Geldgier, Sadismus und Machtstreben. Eine neue Studie belegt das Ausmaß. Die Täter finden sich auch bei lokalen Partnern der EU.

Libyen Flüchtlinge Menschenschmuggel Symbolbild
Bild: picture-alliance/AFP/MINDS Global Spotlight/M. Turkia

Ein Kreislauf aus Gefangenschaft und Ausbeutung, Gewalt und Missbrauch, aus dem es scheinbar kein Entkommen gibt: Den belegt die jüngste Studie der internationalen Nichtregierungsorganisation Women's Refugee Commission für Flüchtlinge in Libyen. Rund 670.000 Migranten befinden sich in dem nordafrikanischen Land, schätzt das Flüchtlingshilfswerk der Vereinten Nationen (UNHCR). Rund 5.000 bis 6.000 davon werden vermutlich in Lagern festgehalten.

Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter der Women's Refugee Commission haben in Italien Überlebende befragt und unter anderem mit Helfern von Rettungsschiffen gesprochen. "Auf ihrer Reise durch die Wüste werden viele Geflüchtete von Menschenhändlern und bewaffneten Gruppen entführt oder in offizielle Haftanstalten gebracht", erklärt Studienautorin Sarah Chynoweth im DW-Gespräch. In diesen Lagern seien Gewalt einschließlich sexualisierter Folter üblich. "Das wird gefilmt, um Druck auf die Familien auszuüben, Geld für die Freilassung ihrer Angehörigen zu schicken. Diejenigen, die nicht bezahlen können, werden weiterverkauft oder getötet."

Ein libyscher Soldat bewacht Flüchtlinge, die die Überfahrt nach Italien wagen wolltenBild: picture-alliance/dpa

Die Details der Foltermethoden sind kaum zu ertragen. Die Intensität und Kreativität der sexuellen Gewalt seien auffällig, so Chynoweth. Männer und Frauen werden gezwungen, andere zu vergewaltigen, Penisse werden abgeschnitten, Frauen werden so lange misshandelt und vergewaltigt, bis sie verbluten und sterben. Jungen müssen ihre Schwestern vergewaltigen. "Wenn mir das vorher jemand erzählt hätte, hätte ich das nie geglaubt. Das glaubt man erst, wen man es mit eigenen Augen gesehen hat", berichtet ein Überlebender aus Gambia.

Folter in "EU-finanzierten Lagern"

Der Befund der Studie sei zwar nicht neu, doch das Ausmaß und die Details seien es - und sie seien erschreckend. "Diese schwersten Menschenrechtsverletzungen finden durch Partner der Europäischen Union statt. Das ist das, was jetzt noch einmal verschärft formuliert wird", so Karl Kopp von der Menschenrechtsorganisation Pro Asyl. Die libysche Küstenwache fange die Flüchtlinge ab und bringt sie in die Folterlager zurück. Da der Gewinn der Schlepper gesunken ist, setzen sie Folter ein, um neue Gewinne zu generieren. "Wir haben Ähnliches auf dem Sinai erlebt, wo Familien von Frauen aus Eritrea erpresst wurden." In Libyen seien es aber "unsere Lager, europäisch finanzierte Lager der anerkannten Regierungen, wo schlimmste Menschenrechtsverletzungen geschehen", so Kopp. Dies geschehe im Namen Europas und sei Teil der Abmachungen mit dem Bürgerkriegsstaat Libyen.

Im Dorf Karareem, rund 50 km von Misrata entfernt, sind Tausende Flüchtlinge in einer Haftanstalt eingesperrtBild: picture-alliance/ AP Photo/M. Brabo

Insgesamt ist die Situation in Libyen schwer zu überblicken. Es gebe zwei Lagersysteme, sagt Kopp: Die offiziellen Lager der Einheitsregierung Libyens, wo viele Gräueltaten "in engster Kooperation mit der EU" passierten, sowie informelle Haftlager. Die Küstenwache, die für die offiziellen Lager die Verantwortung trägt, setzt sich aus Dschihadisten, Milizionären, Menschenschmugglern und teilweise auch Menschenhändlern zusammen, wie UN-Berichte bereits dokumentierten. Zumindest ein Teil der Küstenwache kommt aus oder arbeitet weiterhin zeitgleich im Bereich des Menschenhandels.

"Der EU hat nicht viel daran gelegen, diese Lager, auf die sie Zugriff hat, zu schließen und die Menschen zu befreien. Die EU finanziert Verbrecher, die sich Küstenwache nennen. Da sagen wir ganz klar: Das ist Teil der europäischen Flüchtlingspolitik", erklärt Menschenrechtsaktivist Kopp.

Gewalt als Unterhaltung

Sexualisierte Gewalt wird aus unterschiedlichen Gründen ausgeübt, so der Bericht der Hilfsorganisation Women's Refugee Commission. Neben Erpressung gelten die Übergriffe auch der Unterhaltung des Wachpersonals, der Bestrafung und der Tötung von Menschen, die als wertlos betrachtet werden. "Wenn ein Mann versucht zu fliehen, werden alle anderen Männer dazu gezwungen, ihn zu vergewaltigen. So werden die Menschen regelmäßig bestraft, zur Unterwerfung gezwungen und kontrolliert", erzählt die Leiterin des Forschungsprojekts Chynoweth.

Als in Europa bekannt wurde, dass Menschen in Libyen als Sklaven versteigert werden, hatten Vertreter der EU-Länder versprochen, sie zu evakuieren und legal nach Europa zu bringen. Pro Asyl kritisiert: "Dieser Prozess läuft schleppend langsam und es gibt so wenige aufnahmebereite Länder, dass das UNHCR sagt, diese Menschen müssen in den Haftlagern bleiben, bis es Plätze für sie gibt. Das Leid der Menschen ist mit der menschenverachtenden europäischen Flüchtlingspolitik verbunden."

Bild: DW/K. Zurutuza

Die sexuelle Gewalt in den libyschen Haftlagern ist nur die Spitze des Eisbergs. Die Lebensbedingungen in den Lagern seien katastrophal. Denn sie seien überfüllt, Menschen würden hungern, beinahe jede Frau wird Opfer sexualisierter Attacken. "Bei Protesten gab es auch Erschießungen. Die EU müsste alles tun, um das zu beenden", fordert Karl Kopp. "In diesem Fall fördert die EU diese Menschenrechtsverletzungen, weil sie nur ein Thema im Blick hat: Es sollen möglichst wenige Menschen über das Mittelmeer nach Europa kommen."

"Tiefpunkt europäischer Flüchtlingspolitik"

Eine Lösung scheint nicht in Sicht. Die Menschen leiden immer mehr auf dieser ohnehin schon gefährlichen Route. Pro Asyl fordert von der EU einen Rettungsplan, der die Menschen aus dieser Situation befreit. "Ein Kontinent, der es mit Asylrecht ernst meint, muss Wege öffnen. Weil es diese nicht gibt, reisen die Menschen überhaupt erst in die Hölle von Libyen." Kopp fasst zusammen: "Das ist der Tiefpunkt der europäischen Flüchtlingspolitik. Schlimmer geht es nicht."

Die Sterblichkeitsrate von Migranten hat sich 2018 im Vergleich zum Vorjahr fast verdreifacht, hält das UNHCR fest. In den vergangenen fünf Jahren sind rund 17.000 Menschen ertrunken. Studienautorin Chynoweth sieht einen mangelnden politischen Willen: "Die EU unterstützt die libysche Küstenwache, der die Sicherheit der Migranten nicht wichtig ist. Sie weigert sich auch, ertrinkende Flüchtlinge zu retten. Ein Ziel der EU ist auch die Zerstörung der Holzboote, damit sie nicht wiederverwendet werden. Aber das führt nur dazu, dass Schmuggler billige Gummiboote nutzen, die nicht sicher sind. All das trägt dazu bei, dass immer mehr Menschen sterben. Die wäre vermeidbar." 

Chynoweth seufzt: "Diese Milizionäre sehen Flüchtlinge nicht als Menschen, sondern als Dollarzeichen, als Ware, die es auszubeuten gilt."

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