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Sexuelle Gewalt gegen Kinder: Behörden am Anschlag

Kay-Alexander Scholz
27. Mai 2021

Beim Kampf gegen Pädophile im Internet wird die schiere Datenmenge immer mehr zum Problem. Nun soll Künstliche Intelligenz helfen.

Deutschland Kriminalität l  Prozess im Fall der kinderpornographische Plattform Elysium
Bild: picture alliance/dpa/A. Dedert

Das "National Center for Missing & Exploited Children" in den USA ist für das Bundeskriminalamt in Deutschland ein wichtiger Kooperationspartner. "Von dieser halbstaatlichen Organisation erhalten wir eine tägliche Datenlieferung mit Hinweisen auf Kinderpornografie über IP-Adressen in Deutschland", berichtete der Präsident der zentralen Polizeibehörde, Holger Münch, bei einer Pressekonferenz in Berlin. Das sei momentan die Hauptquelle für solche Fälle - die immer mehr würden.

Im vergangenen Jahr habe es 18.761 Fälle sogenannter Kinderpornografie gegeben, dokumentiert die neue "Polizeiliche Kriminalstatistik" des Bundeskriminalamts. 53 Prozent mehr Fälle als im Jahr zuvor. Die Herstellung, der Besitz und die Verbreitung von Darstellungen sexueller Gewalt gegen Kinder machte damit den weitaus größten Anstieg aller Gewaltformen gegen Kinder und Jugendliche aus. "Und die Zahlen werden wohl weiter steigen", so Münch.

Why Germany is losing the fight against pedophiles on the internet

06:58

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Ohne Künstliche Intelligenz geht es nicht mehr

Das stellt die Ermittlungsbehörde mittlerweile vor immense Herausforderungen. Justiz und Polizei bekommen nicht nur immer mehr Fälle, sondern auch immer größer Datenmengen auf den Tisch. Bundesweit wird deshalb seit geraumer Zeit an Künstlicher Intelligenz geforscht, mit der das Arbeitspensum besser zu bewältigen ist - so auch in Nordrhein-Westfalen.

Ohne Künstliche Intelligenz sei der schieren Datenflut im Bereich Kinderpornografie und Kindesmissbrauch nicht mehr Herr zu werden, sagte Landes-Justizminister Peter Biesenbach bei Vorstellung eines "hybriden Cloud-Szenarios" in der Landeshauptstadt Düsseldorf. Zusammen mit der Firma Microsoft und Wissenschaftlern wurde eine Software entwickelt, die Bilder, Videos und auch Chatverläufe scannt und mittels Algorithmen eine Liste strafrechtlich relevanten Materials erstellt.

Ohne Ermittler geht es trotzdem nicht

Konkret werden die lokal vorliegenden Daten zunächst - wegen des Datenschutzes - durch einen "Abstraktionslayer" gejagt, um dann in eine zentrale Cloud hochgeladen werden zu können. Dort arbeitet die Künstliche Intelligenz. Das Ergebnis geht zurück an die Ermittler in Form einer Liste. Ganz oben auf der Liste stehen die Bilder oder Videos, bei denen die Wahrscheinlichkeit am höchsten ist, dass es sich um verbotenes Material handelt. Dann sind wieder die Ermittler gefragt.

Das ganze sei als ein Assistenzsystem gedacht. "Die letzte Auswertung obliegt immer einer menschlichen und keiner künstlichen Intelligenz", betonte Jörg Bartholomy von Microsoft Deutschland. Die Genauigkeit soll bei 92 Prozent liegen.

Bislang, so Biesenbach, musste Verdachtsfälle in den Staatsanwaltschaften manchmal monatelang in der Schwebe gehalten werden, weil einfach die Zeit nicht ausreichte. Das Problem: Die Behörden haben nur sechs Monate Zeit, um zu entscheiden, ob es genügend Beweismittel für eine Anklage gibt, sich also der Verdacht auf Kindesmissbrauch erhärtet oder nicht.

Umstrittene Vorratsdatenspeicherung könnte helfen

Das Problem kennt auch Präsident Münch in Berlin. "Die Menge an Material zeitnah auszuwerten, wird immer schwieriger." Dazu käme das Problem, das in beinahe jedem zehnten Fall den Hinweisen nicht näher nachgegangen werden könne, weil schlichtweg die gemeldeten IP-Adressen nicht zuordenbar seien. Das läge auch an der rechtlichen Situation.

In Deutschland ist eine sogenannte Vorratsdatenspeicherung nicht genau geregelt, weil gegen entsprechende Gesetze immer wieder geklagt wird. Aktuell liegt die Sache zur Entscheidung beim Europäischen Gerichtshof. "Manche Provider speichern gar nicht, andere sieben Tage", berichtete Münch über die Ermittlungsarbeit.

Datenmenge wird weiter wachsen

Seit zehn Jahren ist Johannes-Wilhelm Rörig der "Unabhängige Beauftragte für Fragen des sexuellen Kindesmissbrauchs". Bei der Pressekonferenz in Berlin saß er neben Präsident Münch und warnte angesichts des Lageberichts der Polizei vor einem "Kipp-Punkt". Tausenden Hinweisen könne nicht nachgegangen werden. Hunderte Fälle könnten nicht zeitnah strafrechtlich vollzogen werden. "Die polizeiliche Ermittlung darf nicht kollabieren!", warnte Rörig. Die Auswertungskapazität müsse extrem gesteigert und damit der "Flaschenhals aufgebohrt" werden.

Johannes-Wilhelm Rörig (Missbrauchsbeauftragter, links) und Holger Münch (Präsident des Bundeskriminalamtes)Bild: Kay Nietfeld/dpa/picture alliance

Im kommenden Jahr wird in Deutschland ein Gesetz in Kraft treten, mit dem die Plattform-Betreiber verpflichtet werden, strafrechtlich relevantes Material wie die Darstellung sexueller Gewalt gegen Kinder an die Behörden weiterzuleiten, wenn es vorher im Netz beanstandet wurde. Münch rechnet damit, dass dann die Zahl der Verdachtsfälle weiter steigen werde.

Ob dann bereits die Künstliche Intelligenz aus Nordrhein-Westfalen einsatzbereit ist, bleibt allerdings abzuwarten. Dort muss nämlich erst noch die Hardware für das Arbeiten mit der neuen Cloud "ausgeschrieben" werden. Das heißt, für Rechner, Laptops oder Smartphones müssen Angebote von mehreren Anbietern eingeholt werden. Die finanziellen Mittel dafür stünden zwar bereit, versprach Minister Biesenbach, das Startdatum aber sei noch unklar.

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