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Shakespeares Geschichten: Die Königsdramen

12. August 2002

Sie wollten die Sonne Englands sein. Aber sie heulten höchstens den Mond an und stolperten durch den ewigen kalten Nebel ihrer unwirtlichen Insel - immer dem eigenen Untergang entgegen:

William Shakespeare

Die englischen Könige zwischen 1377 und 1485, zwischen Richard II und Heinrich VII

O-Ton: (CD 1, Track 1) In diesen Jahren starben 9 Könige, und manche von ihnen stiegen auf den Thron, während ihre Särge schon gezimmert wurden.

William Shakespeare hat diesen verlorenen Haufen adliger und mitnichten edler Männer und Frauen in seinen Königsdramen unsterblich gemacht. Und der Schweizer Schriftsteller und Dramatiker Urs Widmer erzählt uns ihre traurigen Lebensgeschichten auf 3 CDs jetzt so, dass man die Kälte jener düsteren Tage in den eigenen Knochen zu spüren glaubt:

O-Ton: (CD 3, Track 1) Und so war nach kurzer Zeit das Schlachtfeld von Rosen übersät – hauptsächlich von weißen, die sich im Blut ihrer toten Träger rot färbten. Und Margarethe – sie lachte mit blutverschmierten Zähnen – schleifte den Herzog von York an den Haaren hinter sich her und setzte ihn auf einen Leichenhaufen und rief: Das ist jetzt dein Thron, Schöner. Und dies – sie setzte ihm eine Papiermütze auf - deine Krone, du Arschloch. Und der Herzog von York saß auf den Körpern seiner Vasallen und stierte vor sich hin.

Blutig und deftig geht es zu: Onkel meucheln ihre Neffen und zerren ihre Nichten ins Bett. Mütter schlachten anderer Mütter Kinder und verfluchen die eigene Brut. Warlords und Königsmacher zetteln Aufruhr an, um ihn selbst publikumswirksam niederzuschlagen. Große Männer legen ihre Köpfe gottergeben auf den Henkersblock und das niedere Volk mordet, säuft, stiehlt, hurt und hungert sich durch’s Leben, um zum Schluss am Galgen oder auf einem Schlachtfeld zu krepieren.

O-Ton: (CD 1, Track 1) Sie aßen und fickten und soffen und töteten, weil sie wussten, dass sie nicht wußten, wie lange sie sich noch am Schicksalsrad festklammern konnten. Ein zufälliger Speichenschlag eines gedankenlosen Gottes und sie wurden in den schwarzen Himmel hinein geschleudert und waren vergessen.

Das alles erzählt Urs Widmer im knappen schweizerisch gefärbten Ton eines durch und durch realistischen Märchenonkels. Er hält sich an Shakespeare, aber er interpretiert und fügt hinzu, wie es auch Regisseure und Schauspieler auf der Bühne tun. Die urtümlichen, uns so fremden Gestalten aus bloody old England bekommen so eine neue Dimensionen: Widmer zeigt uns, wie aus einem verwöhnten wie verwaisten Kind ein unglücklicher König Heinrich VI wird oder wie ein zunächst ansehnlicher, aber durch und durch gemeiner Mann wie Richard III zum Buckel- und Klumpfußmonster mutiert.

Gute Geschichten habe er schreiben wollen und gute Shakespeare-Inhaltsangaben, sagt Widmer. Das ist ihm gelungen. In dreieinhalb Stunden – so lang also, wie sonst ein einzelnes Shakespeare-Drama dauert – erzählt er zehn Theaterstücke. Aber man muss kein Shakespeare-Fan sein, um Widmer gebannt zuzuhören. Es reicht der Spaß an historischen Schauer- und Metzelgeschichten aus Zeiten, in denen ein Menschenleben nicht viel galt; Zeiten, die nicht so fern sind, wie wir sie gerne hätten.

Shakespeares Geschichten: Die Königsdramen, nacherzählt und gelesen von Urs Widmer, Verlag Kein & Aber, 4 CDs, € 25,00, CD-ISBN 3-0369-1120-0

Rezensentin: Dr. Barbara Garde