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Politik

Juristischer Putsch in Pakistan?

28. Juli 2017

Pakistans Oberster Gerichtshof hat Premier Sharif wegen Korruption des Amtes enthoben. Zahlt Sharif den Preis dafür, dass er in der Vergangenheit führende Militärs herausgefordert hat? Ein Gastbeitrag von Raza Rumi.

Pakistan Premierminister Nawaz Sharif
Bild: Reuters/C. Firouz

In einem folgenschweren Urteil hat der Oberste Gerichtshof des Landes Premierminister Nawaz Sharif seines Amtes enthoben. Drei Jahrzehnte lang war Sharif Teil der politischen Elite des Landes. Dem setzt die Entscheidung des Gerichtshofes ein jähes Ende. Denn Sharif wurde nicht nur als Premier abgesetzt. Er darf auf Lebenszeit überhaupt kein öffentliches Amt mehr bekleiden. Gleichzeitig hat der Oberste Gerichtshof auch Sharifs Familienmitglieder inklusive Finanzminister Ishaq Dar abgesetzt. Diese Entscheidung hat aber nicht nur weitreichende Konsequenzen für den Familienclan der Sharifs, sondern auch für Pakistans fragile Demokratie. In der Geschichte Pakistans wechselten sich immer wieder Militärdiktaturen und schwache Zivilregierungen ab. In den 70 Jahren seit Staatsgründung hat fast die Hälfte der Zeit das Militär direkt über das Land geherrscht. Kein einziger ziviler Premierminister hat bislang auch nur eine einzige Amtszeit regulär zu Ende bringen können.

Eine von der Armee gestützte Untersuchung?

Auch Sharifs Tochter Maryam sowie seine Söhne wurden vom Obersten Gerichtshof disqualifiziert Bild: Reuters/F. Mahmood

Das jetzt gefällte Urteil ist der Höhepunkt einer monatelangen Untersuchung gegen Sharif, die maßgeblich von Oppositionsführer Imran Khan initiiert wurde. Die Veröffentlichung der Panama Papers im April 2016 offenbarte, dass die Sharif-Familie zahlreiche Offshore-Holdings betrieb. Unter anderem gönnte sich der Familienclan fünf sündhaft teure Luxusimmobilien in London. Die Enthüllungen führten zu einem politischen Erdbeben und zu landesweiten Protesten gegen Sharif. Im Oktober 2016 setzte der Oberste Gerichtshof eine eigene Untersuchungskommission ein, die die Besitzverhältnisse der Sharifs, Finanzströme und Geldwäschevorwürfe untersuchte. Im April 2017 sprach das Gericht ein erstes Urteil. Doch die fünf Richter waren sich uneins. Zwei von ihnen wollten Sharif schon damals absetzen. Man einigte sich dann aber auf die Einsetzung eines hochrangig besetzen "Joint Investigation Teams" (JIT), dass weitere Informationen sammeln sollte. Das JIT bestand aus Mitgliedern zweier mächtiger Geheimdienste – und von diesem Tag an war klar, dass Pakistans mächtiges Militär ein besonders wachsames Auge auf die Untersuchung hatte. Sharif und seine Verbündeten witterten eine Verschwörung, die schlussendlich zu einem Eingreifen des Militärs hätte führen sollen. Das jetzt gefällte Urteil legt die Vermutung nahe, dass die Richter sich zumindest des Rückhalts der obersten Generäle sicher gewesen sein dürften.

Großer öffentlicher Druck

Gegner von Nawaz Sharif bejubeln das Urteil des Obersten GerichtshofesBild: Reuters/C. Firouz

Vordergründig ging es bei dem ganzen Verfahren um Korruptionsvorwürfe, um Dokumentenfälschung und um widersprüchliche Aussagen, in die Sharifs Kinder sich immer tiefer verstrickten. Dem Sharif-Clan gelang es nicht, seine Finanzströme seit den 1990er Jahren zweifelsfrei offenzulegen und das JIT damit zufriedenzustellen. Rechtsexperten zweifeln jedoch daran, dass der Oberste Gerichtshof Sharif einfach absetzen darf, ohne dass dieser sich zuvor selbst in einem ordentlichen Gerichtsverfahren verteidigen konnte. Nawaz Sharif wird in den Panama Papers nicht ein einziges Mal selbst namentlich erwähnt. Die Dynamik, die durch die ganzen Untersuchungen gegen seine Familienmitglieder in Gang gesetzt wurde, machte aber schon früh deutlich, dass er sich aus dieser Geschichte kaum noch würde herauswinden können.

Denn das Gerichtsverfahren fand unter politisch aufgeheizten Umständen statt. Die Medien – vor allem viele pakistanische TV-Sender – bauschten den Fall stark auf, und es ist nicht übertrieben, zu behaupten, dass der öffentliche Druck eine große Rolle bei dessen Ausgang spielte. Die größten Oppositionsparteien einte der Ruf nach einem Rücktritt Sharifs. Sie mahnten den Gerichtshof ein ums andere Mal, "Gerechtigkeit" walten zu lassen.

Zankapfel Indien-Politik

Zwischen Armee und Ex-Premier war das Verhältnis seit langem angespanntBild: ISPR

Hinzu kommt: Sharifs Verhältnis zum Militär war ohnehin nicht gut und wurde vollends ruiniert, als ein Medienbericht 2016 dem Militär vorwarf, nicht genug gegen islamistische Extremisten zu unternehmen. Die Informationen des Reporters stammten angeblich aus dem Umfeld des Premierministers. Über Monate fochten die zivile Regierung und das Militär den Streit in aller Öffentlichkeit aus. Dabei näherten sich die verschiedenen Sharif-Kritiker einander an, sodass die heutige Entscheidung des Obersten Gerichts keine Überraschung ist.

Das tiefe Misstrauen zwischen Sharif und dem Militär entspricht dabei einem wiederkehrenden Muster pakistanischer Gegenwartspolitik. Sharif wurde in den 1990er Jahren bereits zwei Mal durch das militärische Establishment entmachtet. Nach dem Putsch von 1999 durch Pervez Musharraf musste er das Land sogar für fast zehn Jahre verlassen. Hauptstreitpunkt war und ist dabei das Verhältnis zum Nachbar Indien. Die pakistanische Armee sieht in Indien den ewigen Feind. Sharif vertritt eine andere Position und hat mehrfach versucht, einen Friedensprozess zu initiieren.

Eine Herausforderung für das Militär

Der pakistanische Journalist und Politikdozent Raza RumiBild: privat

2013 wurde Sharif ein weiteres Mal gewählt, und zwar mit einer eindeutigen Mehrheit. Er beging den unverzeihlichen "Fehler", seinen Peiniger General Musharraf wegen Verstößen gegen die Verfassung verantwortlich machen zu wollen. Zum ersten Mal wurde ein ehemaliger Armeechef wegen eines derartigen Vergehens belangt. Heute musste Sharif den Preis für seinen Vorstoß bezahlen. Erst kamen die Straßenproteste, die die Regierung für Monate lahmgelegt haben und die von Teilen des Militärs unterstützt wurden. Dann kam die politische Kampagne nach den Panama-Papers von 2016.

Sharif glaubte, auf der sicheren Seite zu sein, da er nicht versuchte, die Kontrolle des Militärs über die Außen- und Sicherheitspolitik zu beenden. Aber der ehemalige Premierminister war – und ist - eine Herausforderung für das Militär, denn er steht für eine politische Alternative: eine Politik des regionalen Friedens und Handels. In den letzten zehn Jahren haben die pakistanischen Gerichte relativ unabhängig und selbstbewusst agiert. Aber die Zeiten, in der die Gerichte sich an die Seite des Militärs gestellt haben, sind nicht vergessen.

Raza Rumi ist politischer Redakteur bei der pakistanischen Tageszeitung Daily Times und Dozent an der Cornell University in Ithaca, USA.

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