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Falke an Japans Spitze

Hans Jürgen Mayer20. September 2006

Japans Regierungspartei hat Shinzo Abe zu ihrem neuen Vorsitzenden gewählt. Damit dürfte er Junichiro Koizumi auch als Ministerpräsident ablösen. Abe gilt als nationalistischer Hardliner.

Shinzo AbeBild: AP

Junichiro KoizumiBild: AP

Fünfeinhalb Jahre lang hat Junichiro Koizumi in Japan seine regierende Liberal-Demokratische Partei (LDP) und das "Land der aufgehenden Sonne" umzukrempeln versucht. "Koizumi hat die Kräftebalance in der LDP erheblich durcheinander gewirbelt. Und es wird spannend sein, zu sehen, was passiert, wenn dieser Wirbelwind abgezogen ist", meint Axel Klein vom Zentrum für gegenwartsbezogene Japanforschung der Universität Bonn über den Mann, der 2001 mit dem Motto: "Verändere die LDP, dann veränderst Du Japan!" den Vorsitz der Dauer-Regierungspartei erobert hatte.

Genug von Hinterzimmerspielen

Junichiro Koizumi drückte als erster direktgewählter LDP-Vorsitzender die mächtigen Fraktionsbosse mit ihren Ränkespielen um die Macht an die Wand. Danach boxte der Premier mit der Postreform, die allerdings immer noch in den Kinderschuhen steckt, das erste große Modernisierungsprojekt durch. Koizumis Ziel: Japan soll mit eingefahrenen und ineffizienten Finanz- und Wirtschaftspraktiken brechen, um seine Position als Nr. 2 der Weltwirtschaft und stärkste Volkswirtschaft in Asien zu verteidigen.

Der Mann mit der grauen Löwenmähne und dem unkonventionellem Auftreten ist beim Wahlvolk immer noch beliebt. Denn die Japaner sind seit langem die Hinterzimmerspiele der greisen LDP-Bosse leid. Und bei der Postreform imponiert den Wählern, dass der Staatskonzern mit 2,4 Billionen Euro an Einlagen und Versichertengeldern in das weltgrößte private Finanzinistitut umgewandelt werden wird, das künftig in die Zukunft Japans investieren soll. Schluss gemacht werden soll mit der jahrzehntelangen Praxis, LDP-Parteigetreue als Postchefs in der Provinz zu installieren, die im Gegenzug teure und sinnlose Großprojekte von Parteiförderern aus den Mitteln der Post finanzieren - eine der Ursachen, weshalb Japans mittlerweile überwundene Krise so lange andauerte.

Biederer Angestellter

Jetzt bekommt Japan mit dem 51-jährigen Shinzo Abe den jüngsten Regierungschef seit 1945. Die LDP wählte Abe am Mittwoch (20.9.) zu ihrem neuen Vorsitzenden; in der kommenden Woche dürfte er Koizumi auch als Ministerpräsident ablösen. Abe wirkt als Anzugträger eher wie ein biederer japanischer Angestellter. Anders als Koizumi stammt er aus der alten Polit-Elite Japans. Die besteht aus Parteibossen, die wie Feudalherren ihre Vasallen um sich scharen und ihre eigenen Interessen oft über das Wohl des Gesamtstaates stellen. Kann Abe es überhaupt wagen, wie sein Vorgänger Reformen gegen den Widerstand der LDP-Barone durchzupauken?

"Abe ist bei weitem nicht so populär wie Koizumi. Es ist deshalb seit einiger Zeit abzusehen, dass er wesentlich stärker von innerparteilichen Seilschaften abhängig sein wird, als es bei Koizumi der Fall war", glaubt Klein. "Er wird sich deshalb auch schwerer tun, Japan zu reformieren, wenn diese Reformen Machterhaltungsstrukturen von Teilen seiner Partei berühren."

Aggressive Außenpolitik

Kein Wunder, dass Abe keinen Befreiungsschlag bei der Eindämmung der Staatsverschuldung wagt, die mittlerweile bei 160 Prozent des Bruttoinlandsproduktes völlig aus dem Ruder zu laufen droht. Stattdessen sinnt er über Erleichterungen für die Bürger nach, die unter Koizumis sozial nicht abgefedertem Reformkurs gelitten haben.

Wohin er Japan außenpolitisch zu steuern gedenkt, das ist Shinzo Abes Buch mit dem Titel "Zu einem schönen Land" zu entnehmen. Nationalismus ist für ihn selbstverständlich. Diskussionen über eine Kriegsschuld Japans hält er für unsinnig. Hauptziele seiner Regierung sind die Verhinderung einer Vorherrschaft Chinas im Pazifik und die Änderung der Friedensverfassung, um Japans Armee zu einem vollwertigen Partner an der Seite der USA zu machen.

Geschichtsklitterung

Als Chefkabinettssekretär Koizumis hat sich Abe mit militanten Tönen den Ruf eines "Falken" erworben, der auch schon mal seinem Land das Recht auf taktische Nuklearwaffen zusprach. Einige seiner Berater tun sich mit Bemühungen hervor, aus japanischen Schulbüchern unangenehme Fakten wie die Zwangsprostitution von insbesondere Chinesinnen und Koreanerinnen während der Zeit des Zweiten Weltkriegs herauszustreichen. Er selbst bezweifelte auch die Rechtmäßigkeit des damaligen Tokioter Kriegesverbrechertribunals.

Dennoch gibt es eine Chance, dass ein Premierminister Abe die Konfrontation mit China und Südkorea beenden könnte, die Amtsvorgänger Koizumi durch seine offiziellen Besuche des umstrittenen Yasukuni-Schreins in Tokio ausgelöst hat, in dem auch die zum Tode Verurteilten Hauptskriegsverbrecher verehrt werden. "Abe hat in den letzten Monaten nach Kräften vermieden, Stellung zu den Unstimmigkeiten mit China und Südkorea zu beziehen", sagt Axel Klein. "Dieses Thema hätte ihm in seinem Wahlkampf um das Amt des Parteivorsitzenden nur gefährlich werden, aber nicht wirklich nützen können. Die Öffentlichkeit interessiert sich für Reformen, Arbeitsplätze - und eher wenig für Außenpolitik."

Ein Indiz für einen möglichen Schwenk ist Abes Taktieren bei der Frage, ob er auch als Ministerpräsident weiterhin zum Yasukuni-Schrein pilgern werde. Die Zeiten der wilden Rhetorik jedenfalls, so Axel Klein, seien nun höchstwahrscheinlich vorüber: "Ich glaube, dass Abe nach seinem Amtsantritt eine wesentlich realistischere, pragmatische Außenpolitik betreiben wird." Das bedeutete, dass er auf eine Verbesserung der Beziehungen zu China und Südkorea werde hinwirken müssen. "Es ist eben ein Unterschied, ob man sich aus der zweiten Reihe zur Außenpolitik äußert oder als Regierungschef." Diese Einsicht könnte sich schon vor der offiziellen Amtseinführung durchgesetzt haben. Nach fünf Jahren Funkstille zwischen Peking und Tokio soll jedenfalls bereits jetzt ein Gipfeltreffen zwischen Shinzo Abe und Chinas Präsident Hu Jintao in Vorbereitung sein.

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