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Politik

Shitstorms am Südrand der Alpen

Norbert Mappes-Niediek
5. Mai 2020

Der slowenische Investigativ-Reporter Blaž Zgaga, einer der diesjährigen FOSA-Preisträger, sieht sich einem wahren Shitstorm ausgesetzt. Grund dafür: seine Kritik an den Corona-Maßnahmen der Regierung.

Türkei Protest Pressefreiheit
Bild: Getty Images/C. McGrath

Slowenische Journalisten, die ihrer Regierung widersprechen, müssen sich in diesen Tagen, wenn sie am anderen Morgen ihren Twitter- oder Facebook-Eingang checken, auf einiges gefasst machen. Das gilt auch für die Stars des öffentlich-rechtlichen Fernsehens. Nachdem Redakteure Opfer eines Shitstorms inklusive Morddrohungen wurden, fühlte sich sogar der Regierungschef zum Eingreifen bemüßigt. Und er gab den Bedrohten noch einen kräftigen Tritt: "Unter der Schirmherrschaft der extremen Linken" sei RTV Slovenija "zu einem zentralen Anstifter von Hass und Bedrohungen" geworden. Der Sender, organisatorisch und inhaltlich ähnlich aufgestellt wie die deutsche ARD, sei Teil einer ominösen "Gruppe", die während der Corona-Epidemie "Gesundheit und das Leben" bedrohe.

Die Epidemie als Vorwand

Nirgends in Europa wird um die Maßnahmen zur Corona-Krise mit so harten Bandagen gekämpft wie in Slowenien. Erst seit sechs Wochen im Amt, versucht der neue Premierminister Janez Janša die Gunst der Stunde zu einer nachhaltigen Ausweitung seiner Macht zu nutzen. Die Epidemie ist dazu eine einmalige Gelegenheit: Der Feind ist das Virus, und wer die Regierung kritisiert, ist mit ihm im Bunde. Umbesetzungen, wie beim öffentlich-rechtlichen Fernsehen, lassen sich mit dem Notstand rechtfertigen. In normalen Zeiten wären die Chancen gering. Janša führt eine wackelige Dreierkoalition. Für seine rechtsnationalen Ziele und autoritäre Herrschaftsform hat der 61-Jährige nicht einmal in der Regierung, geschweige denn in der Bevölkerung eine Mehrheit.

Blaž Zgaga, slowenischer Investigativ-Journalist und einer der Preisträger des Freedom of Speech Award 2020 der DWBild: Nacional/Zomislav Čuveljak

Kaum war bekannt geworden, dass auch der Aufdecker-Journalist Blaž Zgaga mit dem Freedom of Speech Award (FOSA) der Deutschen Welle ausgezeichnet wurde, traf ihn eine Social-Media-Attacke nach russischem Vorbild. "Dass Zgaga den Preis bekommen hat, ist der Beweis, dass bei der Deutschen Welle niemand Slowenisch kann" - ätzte ein Parlamentsabgeordneter der Regierungspartei. Dass der Preis in diesem Jahr den Kolleginnen und Kollegen zugute kommen soll, deren Freiheitsrechte in der Corona-Epidemie bedroht sind, sei ein "Witz", twitterte ein Regierungssprecher. Schließlich habe Zgaga in slowenischen Medien "keinen einzigen Artikel" zum Thema geschrieben.

Kampagnen der Regierung

Der Zangenangriff unterstreicht, was er widerlegen soll: Preisträger Zgaga hat sehr wohl über die Corona-Politik der neuen slowenischen Regierung geschrieben - allerdings für die kroatische Wochenzeitung "Nacional" und nicht für slowenische Medien. Wer das in dieser Klarheit getan hätte, wäre im eigenen Land einem noch schlimmeren Shitstorm ausgesetzt gewesen. Zu Hunderten melden sich in diesen Tagen Trolle von gefälschten Accounts und schimpfen über "von George Soros gelenkte Fake-News".

Hauptquelle der Kampagnen ist der Privatsender Nova24, vor fünf Jahren nach dem Vorbild der amerikanischen FoxNews gegründet, um die Hegemonie liberaler Medien zu brechen. Mit Attacken gegen Flüchtlinge, Homosexuelle und Roma kam Nova24 nur mühsam über die Runden. Zweimal musste die politische Gründung aus dem Umfeld der Janša-Partei SDS von einem Orbán-nahen Ungarn finanziell gerettet werden. Erst als die SDS Mitte März in die Regierung kam, brachen bessere Zeiten an: Nova24-Chef Aleš Hojs, einer der eifrigsten Twitterer, wurde Innenminister.

Premierminister Janez Janša ist seit sechs Wochen im AmtBild: AFP/J. Makovec

Persönliche Angriffe gegen Zgaga

Blaž Zgaga ist im Janša-Lager unten durch, seit er vor mehr als zehn Jahren in einem Skandal um den Ankauf finnischer Panzer ermittelte. Seine Expertise stand außer Frage: Mit einem Radio-Kollegen hatte er drei Bände über Waffenschmuggel zur Zeit der Jugoslawienkriege veröffentlicht - ein minutiös recherchiertes Standardwerk von mehr als 1.300 Seiten. Seither hatte der frühere Redakteur der Mariborer Zeitung "Večer" (Der Abend) vorwiegend für ausländische Medien geschrieben, darunter den "Spiegel" und den "Guardian". Ziel seiner Recherchen war dabei nicht nur Janša und sein Lager - auch den linken Ex-Präsident Milan Kučan ertappte Zgaga bei einem Waffenhandel. Als der Journalist Anfang April über Korruption bei der Beschaffung an Beatmungsgeräten schrieb, griff Regierungschef Janša ihn persönlich an - ein No-go in demokratischen Regierungen und nur in den USA des Donald Trump wieder möglich. Zgaga "kaut seit Jahrzehnten an seinen Lügen" twitterte der Premier, ohne konkret zu werden.

Im DW-Interview sagte Zgaga, er lebe in einem doppelten Lockdown: "Zum einen wegen Corona, zum anderen wegen der Drohungen, die ich erhielt. Ich habe mich eine Weile nur nachts aus meiner Wohnung getraut". Er sei sich dessen bewusst, dass Politik manchmal so funktioniert mit dem Ziel, Journalisten einzuschüchtern und Staatskritik zu vermeiden. "Wir sollen alle in Angst versetzt werden, bezweckt wird eine Diktatur der Angst", so der preisgekrönte Investigativ-Journalist. 

Janez Janša war schon zweimal Regierungschef, von 2004 bis 2008 und noch einmal kurz 2012/13. Seine Partei kommt seit vielen Jahren auf Ergebnisse von 25 bis 30 Prozent. Ihre Anhänger sind in mehr oder weniger allen Fragen mit der Mehrheit über Kreuz, beginnend mit der Geschichte des Zweiten Weltkriegs, wo sie das Andenken der mit Deutschland verbündeten "Domobranzen" pflegen, während eine Mehrheit es eher mit den Partisanen hält. Permanenter Streitpunkt ist der "Sonderweg", den Slowenien nach der Unabhängigkeit 1991 einschlug: Weil die Firmen nicht ans Ausland verkauft wurden, fühlen Janša und seine Anhänger sich um die Früchte des Umbruchs betrogen und schmähen die wirtschaftliche Elite sowie die linken und liberalen Parteien als Kommunisten. Eine Chance auf Regierungsmacht hat die Partei nur, wenn die übrigen Fraktionen sich zerstreiten - so geschehen im März, als die Rentnerpartei und das "Moderne Zentrum" aus der Koalition mit der Linken ausschieden.