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Sind die Innenstädte noch zu retten?

11. August 2020

Die Corona-Pandemie ist Krise und Krisenbeschleuniger in einem. Der stationäre Handel war ohnehin angeschlagen, jetzt droht vielen Geschäften das Aus. Um das Sterben der Innenstädte aufzuhalten, braucht es neue Konzepte.

Deutschland | Coronavirus | Fußgängerzone in Dortmund
Fußgängerzone Westenhellweg in Dortmund nach Lockerung der Corona-Auflagen Ende AprilBild: picture-alliance/dpa/B. Thissen

Stationärer Einzelhandel - so heißen im Branchenjargon all die Läden, in die man reingehen kann, um etwas zu kaufen. In deutschen Innenstädten waren sie schon vor Corona unter Druck. Seit Jahren wächst der Online-Handel, gerade in jenen Segmenten, die einen Großteil der Geschäfte in den Einkaufszonen ausmachen: Bei Mode und Elektronik wird jeder vierte Euro inzwischen online verdient.

Während der wochenlangen Geschäftsschließungen im März und April kauften die Kunden dann noch mehr online ein als ohnehin schon. "Der Onlinehandel hat in dieser Zeit einen Umsatzsprung von 20 Prozent gemacht", sagt Michael Reink vom Handelsverband HDE, der die Interessen des Einzelhandels vertritt.

Einmal online, immer online

Doch als die Läden wieder öffnen konnten, kamen nicht alle Kunden zurück. "Viele Kunden, die sich wegen der Pandemie erstmalig für den Einkauf im Internet entschieden haben, sind nach dem Ende des Lockdowns dabei geblieben", so Reink zur DW. Ein Beispiel ist der Online-Modehändler Zalando, der für das zweite Quartal gerade ein kräftiges Wachstum bei Umsatz, Gewinn und Kundenzahl verkündet hat.

Viele Einzelhändler in den Städten stehen dagegen kurz vor dem Aufgeben. "In unseren Umfragen geben über 20 Prozent der Einzelhandelsunternehmen an, dass sie akut existenzgefährdet sind", sagt Reink.

Schon im Oktober werde es "sehr wahrscheinlich zur ersten großen Pleitewelle" kommen. Dann läuft nämlich eine Corona-Sonderregel der Bundesregierung aus, die es Firmen mit schlechten Zahlen erlaubt, trotzdem weiterzumachen. Danach gelten wieder die alten Vorschriften: Wer seine Insolvenz zu spät bekannt gibt, macht sich strafbar.

Kahlschlag bei großen Filialisten

Zu den düsteren Aussichten kommen die bereits bekannten Hiobsbotschaften. Eine unvollständige Auswahl: Der insolvente Modekonzern Esprit will die Hälfte seiner rund 100 Filialen in Deutschland schließen. Die Textilfirma Tom Tailor meldete im Juni Insolvenz an und wurde danach vom chinesischen Mischkonzern Fosun aufgekauft; wie es mit den zahlreichen Filialen weitergeht, ist offen. Und die zu Galeria Karstadt Kaufhof fusionierte Warenhauskette wird 47 Häusern schließen, urspünglich sollten es deutlich mehr sein.

"Dass die Innenstädte sterben, ist eine unserer größten Sorgen", sagte Burkhard Jung, Präsident des Deutschen Städtetags und Oberbürgermeister Leipzigs, dem "Tagesspiegel".

Und doch könnte es genau darauf hinauslaufen, wenn es so hart kommt, wie einige befürchten. "Wenn 20 Prozent der Geschäfte wegfallen, sehen die Innenstädte aus wie ein schlechtes Gebiss: Überall ist ein hohler Zahn dazwischen", sagt Reink vom HDE.

Mit der Folge, dass sich die Abwärtsspirale dann noch schneller drehen würde: Je unattraktiver die Innenstadt, desto attraktiver wird Online-Shopping - und desto größer wird der Druck auf der verbliebenen Läden.

Schon vor der Corona-Pandemie waren die Deutschen mit ihren Innenstädten nur mäßig zufrieden. Zu wenig Vielfalt, zu wenig Erlebnis und Komfort, bemängelten viele der rund 60.000 Menschen, die das Institut für Handelsforschung (IFH) 2018 in mehr als 100 deutschen Städten befragen ließ. Unterm Strich entsprach das einer Schulnote von 3+.

"Eine 3+ heißt befriedigend, und das reicht einfach nicht angesichts des Drucks, den der Handel in den Innenstädten verspürt", sagt IFH-Geschäftsführer Boris Hedde zur DW. "Da braucht es mindestens eine 2, also ein Gut."

Derzeit bereitet Hedde die nächste große Kundenbefragung vor, die alle zwei Jahre stattfindet. Die Ergebnisse werden Anfang 2021 veröffentlicht.

Shoppen, surfen, streamen – Konsum 4.0

26:06

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Wege aus der Krise sind dem Konsumforscher allerdings längst bekannt: Kunden wollen eine möglichst vielfältiges Angebot, nicht nur die immer gleichen Ketten. Und sie wollen, dass der Besuch der Innenstadt zum Erlebnis wird, indem er verbunden wird mit Essen oder Kultur, oder weil er besonders angenehm und komfortabel ist. Ein historischer Stadtkern hilft, ist aber keine Erfolgsgarantie.

Einkaufszentren, die sogenannten Shopping Malls, hätten vorgemacht, wie durch Planung Vielfalt gesichert werden könne, sagt Hedde "Wir brauchen auch in der Innenstadt eine geplante Entwicklung. Aber das geht nur im Zusammenspiel mit den Immobilienbesitzern, die ja auch Erwartungen haben."

Hohe Mieten schaden der Vielfalt

Tatsächlich sind die hohen Ladenmieten in den Innenstädten der Hauptgrund, warum dort meist nur noch die Filialen der immer gleichen Konzerne zu finden sind. Laut Handelsverband verlangen Vermieter für Spitzenlagen bis zu 300 Euro pro Quadratmeter. Ein Laden mit handgeschnitzten Brettspielen oder ein Fachgeschäft für Filzpantoffeln mögen gut für die Vielfalt sein, aber die Mieten sind für sie einfach zu hoch.

Um hier gestaltend eingreifen zu können, müssten die Städte selbst Immobilienbesitz in der Innenstadt haben, was aber laut Reink selten der Fall ist. "Häufig können die Kommunen nur zuschauen, wenn ein Vermieter einen Vertrag mit einem Händler abschließt. Und so kommt es z.B. zu den Ballungen von Mobilfunkläden in der Innenstadt."

Umsatzbezogene Mieten, also ein Fixbetrag plus eine Beteiligung am Umsatz, sei zumindest eine Möglichkeit, auch die Vermieter mehr in die Verantwortung zu nehmen, sagt Reink.

In Städten ohne besondere Anziehungskraft, hier Gelsenkirchen, ist die Lage besonders angespanntBild: Imago/biky

Vor allem aber brauche es gute Konzepte für die Rettung der Innenstädte. Um die Kommunen bei der Entwicklung solcher Konzepte zu unterstützen, hat der HDE einen Innenstadtfonds in Höhe von 500 Millionen Euro gefordert. Viele Städte sind damit überfordert, haben veraltete Konzepte und kein Geld für etwas neues.

Wohnen, Kreativwirtschaft, Kultur, Gastronomie und Shoppen, all das müsse je nach Stadt sinnvoll miteinander verbunden werden, sagt HDE-Mann Reink. "Auch Schulen und Kindergärten sollten wieder in die Innenstadt zurückkehren, weil das zu einer Belebung beiträgt."

Shopping = Freiheit?

Nach Jahrzehnten zunehmender Gleichförmigkeit soll es also die Wiederentdeckung der Vielfalt helfen. Auch Marktforscher Hedde ist sicher, dass sich das Einkaufen grundlegend verändern muss. Doch er glaubt nicht, dass es in den Innenstädten irgendwann nur noch eine Nebenrolle spielen könnte. "Unsere Analysen zeigen das Gegenteil: Shopping ist Motiv Nummer Eins für den Innenstadtbesuch."

Als auf dem Höhepunkt der Pandemie alle Geschäfte in den Innenstädten geschlossen waren, hat das Institut für Handelsforschung Konsumenten zudem repräsentativ befragt, welche Bedeutung das Shoppen für sie hat. "Mehr als ein Drittel der deutschen Bevölkerung gab dabei an, Shopping sei für sie ein Teil von Freiheit", so Hedde. "Ich glaube, die Lust am Kaufen wird eher an Bedeutung gewinnen, mit allem, was dazu gehört: soziale Bindungen, Inspiration, gesellschaftliches Erleben."

Andreas Becker Wirtschaftsredakteur mit Blick auf Welthandel, Geldpolitik, Globalisierung und Verteilungsfragen.
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