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Politik

Kampf um Afrin

26. Januar 2018

Die Türkei will die kurdischen YPG-Kämpfer in Nord-Syrien selbst in der Stadt westlich des Euphrat angreifen. Doch die Ankündigung von Staatspräsident Erdogan kann auch als Schlappe enden. Frank Hofmann berichtet.

Sinam Mohamad
Sinam Mohamad, internationale Vertreterin der kurdischen Region Rojava in Nord-SyrienBild: DW/Ro. Richter

Im vergangenen Oktober saß die Europa-Vertreterin der de facto autonomen Kurden-Region Rojava in Nord-Syrien noch in einem stickigen Raum in einem Kurdenzentrum im Berliner Stadtteil Kreuzberg. Sinam Mohamad bat um Unterstützung für die sogenannten "Helden von Rakka". Die mehrheitlich kurdischen Kämpfer der Volksverteidigungseinheiten YPG hatten als Teil der mit US-Hilfe gegründeten Syrian Democratic Forces (Syrische demokratische Kräfte) die IS-Hochburg Rakka von den Terroristen befreit. Es war ein Häuserkampf mit hohem Blutzoll und mit Unterstützung von US-Flugzeugen und Haubitzen-Einheiten. Insgesamt sollen 2000 US-Soldaten in Nord-Syrien operieren.

Schon beim Gespräch mit den Berliner Kurden behauptete die Rojava-Vertreterin, dass die Türkei die Region Afrin umzingelt, "um mit allen Mitteln ein Föderalsystem in Syrien zu verhindern". Die syrischen Kurden fordern weitgehende Autonomie, erklären aber gleichzeitig, dass sie das Land gemeinsam mit den anderen Volksgruppen wiederaufbauen wollten. Kurz nach dem Treffen packte die Kurden-Vertreterin ihre Koffer und zog nach Washington. "Wir sprechen mit Vertretern im amerikanischen Kongress und mit Gruppen der Zivilgesellschaft, die uns unterstützen", sagt Sinam Mohamad. Der Ernstfall um Afrin ist nun eingetreten, doch die resolute Kurden-Lobbyistin glaubt, dass sich der türkische Staatspräsident mit der aktuellen Offensive gegen die syrischen Kurden verrennt. Ihre Landsleute entlang der Grenze zur Türkei leisteten erbitterten Widerstand "und zwar nicht nur die Kämpfer, sonder auch auch die Zivilisten."

Rakka-Kämpfer auf dem Weg nach Afrin

Türkische Panzer an der Grenze zu Syrien Bild: picture-alliance/AA/B. Milli

Zudem habe die "internationale Brigade" des Anti-IS-Krieges in Rakka mit Kämpfern zum Teil aus westlichen Ländern erklärt, dass sie nach Afrin gingen, um sich der türkischen Armee entgegenzustellen. Die stärkste Waffe der syrischen Kurden in den USA aber ist derzeit das Gespräch. Die Kurden-Vertreterin geht beim US-Kongress ein und aus. "Gerade hier in den USA können viele nicht verstehen, dass wir einerseits gemeinsam mit den USA den IS bezwungen haben", sagt Sinam Mohamad "und, dass nun andererseits die Kurden vom Nato-Land Türkei angegriffen wurden". Politik brauche nun manchmal Zeit. Klar sei für sie, dass die Experten aus den USA während des Kampfes gegen den IS zu den syrischen Kurden gekommen sind, die in den Kurdengebieten seien, "um zu bleiben."

Bereits die Obama-Administration hatte die kurdischen Einheiten zum Schlüsselfaktor im Antiterrorkampf in Syrien aufgewertet und mit Waffen ausgerüstet. Südlich der Regionalhauptstadt Qamischlo sollen die USA auf einem ehemaligen Flugfeld der syrischen Armee des Assad-Regimes einen Stützpunkt aufgebaut haben, der von US-Standorten in Europa, wie im deutschen Ramstein, angeflogen werden kann. Neben Waffen und Soldaten schickte Washington zivile Aufbauhelfer. Und auch sie sind weiterhin in syrisch-Kurdistan. "Sie helfen uns ein neues Syrien aufzubauen", sagt Kurden-Vertreterin Mohamad. Dass die Welt seit dem türkischen Angriff auf die Kurden in Afrin am 20. Januar so viel von dort erfährt, liegt auch am Pressezentrum der von den Kurden dominierten Syrian Democratic Forces. "Der Widerstand in Afrin geht weiter", lautet die Mitteilung - geschrieben von professionellen Medienleuten, die in den USA ausgebildet wurden.

Ausgerüstet von den USA: die kurdischen Volksverteidigungseinheiten YPG in Nord-Syrien Bild: DW/M. Aqil

USA: Rote Linie Manbidsch

Am Mittwoch machte das Weiße Haus ein Telefonat von US-Präsident Donald Trump mit dem türkischen Präsidenten Recep Tayyp Erdogan öffentlich. "Wir erwarten von Trump noch mehr Druck auf die Türkei", sagt Mohamad. Doch dass der Streit überhaupt bekannt gemacht wurde, wertet sie als Erfolg. Zuversicht trotz der Kämpfe in Afrin? "Sie glauben ja wohl nicht, dass sich die Kurden in Manbidsch nicht verteidigen werden?", sagt die Vertreterin der Kurden-Region Rojava. Und in Berlin sagt der Nahost-Experte Guido Steinberg vom regierungsnahen Think Tank "Stiftung Wissenschaft und Politik": "Manbidsch ist sicherlich die rote Linie. "Dort stehen einige der 2000 US-Soldaten, die Syriens Kurden im Anti-IS-Kampf unterstützt haben. "Ich kann mir nicht vorstellen", so Steinberg, "dass die USA ihre Soldaten aus dem syrischen Kurdengebiet zurückziehen", - so wie Erdogan das am Mittwoch in seinem Gespräch mit Trump gefordert haben soll. Schaut Washington also zu, wie sich die türkische Armee in einem Guerillakampf gegen die US-unterstützten Kurdenkämpfer eine blutige Nase holt?

Nahost-Experte Guido SteinbergBild: DW/M. Aqil

Den IS besiegt

Die YPG-Einheiten sind zwar nur leicht bewaffnet, haben aber einen hohen Organisationsgrad. Sie wurden von der kurdischen, sozialistischen PYD (Partei der Demokratischen Union) gegründet, die international als "syrische PKK" gilt, was von ihren Spitzenvertretern aber verneint wird. Demnach gebe es alleine eine ideologische Nähe zur Kurdenpartei in der Türkei, die in der Europäischen Union als Terrororganisation gilt. In Österreich soll dieses Jahr ein Gericht entscheiden, ob auch die PYD als terroristische Organisation einzustufen ist. In jedem Fall sind ihre kämpfenden Truppen selbstbewusste Kurden, die heute für sich in Anspruch nehmen, den IS-Terror bezwungen zu haben. Mehr noch: Die den kurdischen Peschmerga im benachbarten Irak in größter Not militärisch zur Seite standen, als der sogenannte Islamische Staat dort 2014 die größte Massenvertreibung seit dem Zweiten Weltkrieg vollzogen hat. Tausende Jesiden flohen damals auf die syrische Seite des Kurdengebietes. Die IS-Terroristen vergewaltigten Frauen massenweise. Die Volksverteidigungseinheiten YPG stiegen in ihrem Anti-IS-Kampf zu einem entscheidenden politischen Faktor auf. Ein Jahr später entsandte Deutschland hundert Bundeswehr-Soldaten, die den Peschmerga-Truppen im Nord-Irak seither die Handhabung der Panzerabwehr-Rakete Milan beibringen. Dass die nun über die irakisch-syrische Grenze gelangen könnten und im syrisch-türkischen Kampfgebiet gegen die deutschen Leopard-Panzer der türkischen Armee eingesetzt werden, schließt Nahost-Experte Steinberg aus. "Die von der Bundeswehr gelieferte Milan ist eine alte Variante, die türkischen Panzern nicht gefährlich werden kann." Doch am Donnerstag meldet das kurdisch dominierte Medienzentrum, in der Nähe der Ortschaften Amara und Komraschi seien zwei türkische Panzer zerstört worden. Eine unabhängige Bestätigung gibt es dafür aber nicht. Dennoch: Gut möglich, dass der türkisch-kurdische Konflikt tatsächlich auf die Region Afrin beschränkt bleibt. Das Gebiet war ursprünglich das Kernland der syrisch-kurdischen PYD-Anhängerschaft, bevor sich die Partei 2012 Richtung Osten ausdehnte. In großer Gefahr sind dort aber tausende Menschen, die im Zuge des syrischen Bürgerkrieges in von den Kurden stabilisierten Afrin Zuflucht fanden.

Auch Frauen dienen als YPG-Soldatinnen und haben gegen den IS gekämpft Bild: DW/M. Aqil
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