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Literatur

Sibylle Lewitscharoff: "Apostoloff" 

Sigrid Löffler | Aygül Cizmecioglu
7. Oktober 2018

Eine Road Novel durch Bulgarien, angereichert mit herrlichen Tiraden. So böse, so komisch, so raffiniert ist selten ein Familientrauma und eine Reise ins gutgehasste Land der Vorväter beschrieben worden.

Porträt Sibylle Lewitscharoff
Bild: picture alliance/Sven Simon

Der Plot dieses stark autobiografisch geprägten Romans ist ziemlich schräg. Er verschränkt dreierlei Erzählungen miteinander: Erstens eine makabre Trauer-Story, in der die Urnen von 19 verstorbenen Exil-Bulgaren aus Stuttgart nach Sofia überführt werden. Zweitens einen Reisebericht der Besichtigungsfahrt zweier Schwestern aus Stuttgart durch das touristische Bulgarien, chauffiert vom titelgebenden Reiseführer Apostoloff.

"Wir haben Bulgarien schon satt, bevor wir es richtig kennengelernt haben. Traurig, aber wahr, die bulgarische Sprache dünkt uns die abscheulichste von der Welt."

Und drittens eine Familiengeschichte, in deren Zentrum der bulgarische Vater Kristo dieser beiden Schwestern steht, der sich mit 43 Jahren erhängt hat – was ihm die jüngere Tochter, die Ich-Erzählerin des Romans, nicht verzeihen kann.

"Apostoloff" von Sibylle Lewitscharoff

01:26

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Sibylle Lewitscharoff mischt also die unterschiedlichsten Stimmungslagen, Handlungsstränge und Erzähl-Genres miteinander: eine deutsch-bulgarische Bestattungs-Groteske, eine negative Reisereportage, und einen Familienroman über enttäuschte Vaterliebe.

"Weg und fort und Ende, sage ich. Ein Vater, der ein Ende macht, bevor er die ganze Familie zermürbt, ist eher zu loben als zu verdammen."

Fideles Schandmaul

All dies wird zusammengehalten durch eine singuläre und unverkennbare Erzählstimme. Es spricht die jüngere Schwester, ein äußerst fideles Schandmaul auf dem Rücksitz von Apostoloffs Auto, eine wortstarke Spötterin und redselige Person. Sie höhnt und schmäht, sie schimpft und attackiert, verurteilt, verdammt und verunglimpft, diffamiert und verleumdet – und all dies immer gut gelaunt, mit unfehlbarer Schlagfertigkeit und einer sehr komischen, kunstvoll scheelsüchtigen Verdrossenheit.

Nichts ist vor ihrer scharfen Zunge sicher: nicht die stalinistischen Scheußlichkeiten der verunstalteten Schwarzmeerküste, nicht die Absurditäten des Trauerzugs, nicht die Erinnerungen an das Familien-Unglück im spießigen Stuttgart-Degerloch. Sibylle Lewitscharoffs Stellvertreter-Stimme schont nichts und niemanden, allerdings auch nicht sich selbst.

Sibylle Lewitscharoff Bild: picture-alliance/dpa/A. Burgi

Abgründiger Humor

Dies liest sich höchst unterhaltsam, auch wenn mit fortschreitender Erzählung die virtuose Rhetorik immer mehr in den Vordergrund tritt. Das geistreiche Parlando, der verschmitzte, abgründige Humor – sie überlagern den Schmerz der Familien-Ereignisse und den uneingestandenen Kummer.

Dass die Autorin ganz nebenbei ihrem satirischen Roman eine ironisch verkappte, ganz unreligiös timbrierte Glaubensfreude und Heilsgewissheit unterjubelt, ist ein Extra-Bonus, der aus "Apostoloff" ein ganz eigentümliches Lesevergnügen macht.


Sibylle Lewitscharoff: "Apostoloff" (2009), Suhrkamp Verlag

Sibylle Lewitscharoff, 1954 in Stuttgart als Tochter eines bulgarischen Vaters und einer deutschen Mutter geboren, studierte Religionswissenschaften in Berlin, wo sie, nach längeren Aufenthalten in Buenos Aires und Paris heute lebt. Für die Erzählung "Pong" erhielt sie 1998 den Ingeborg-Bachmann-Preis. Es folgten die Romane "Der Höfliche Harald" (1999), "Montgomery" (2003) und "Consummatus" (2006). "Apostoloff" wurde 2009 mit dem Preis der Leipziger Buchmesse ausgezeichnet. 2013 wurde ihr mit dem Georg-Büchner-Preis der wichtigste deutsche Literaturpreis verliehen. 2014 versuchte sich Lewitscharoff mit "Killmousky" im Genre des Kriminalromans.

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