Sicherheitsrisiko Griechenland?
14. September 2012Plötzlich und unerwartet brach vor kaum zwei Wochen in Deutschland eine neue Diskussion über Griechenland aus. Diesmal ging es nicht darum, ob und wann das Land aus der Eurozone austritt. Sondern darum, dass ein Ausscheiden Athens eine Gefahr für die Sicherheit der EU sein könnte. Das Horrorszenario in diesem Fall sieht so aus: Die ökonomische Instabilität führt zur politischen Destabilisierung des Landes und auch zu Unruhen in der Region. Anwachsende Flüchtlingsströme nach Europa infolge des Bürgerkriegs in Syrien, eines möglichen Angriffs Israels im Iran oder infolge zunehmender Auseinandersetzungen in Afghanistan könnten kaum an der griechischen EU-Grenze aufgehalten werden.
Wellenbrecher Griechenland
Dazu äußerte sich auch der griechische Innenminister Evripídis Stylianídis: "Wenn wir nicht begreifen, dass Griechenland der Wellenbrecher für alle Arten von Problemen ist, die sich auf Europa zubewegen, werden wir die Situation nicht beherrschen können." Deshalb müsse Griechenland wirtschaftlich und politisch stabil bleiben. "Ansonsten befürchte ich, dass wir uns mit Propagandisten des islamischen Fundamentalismus auseinandersetzen müssen, mit organisierter Kriminalität, ja, sogar mit Terrorismus", sagte Stylianídis.
Dieser Argumentation aus Griechenland schlossen sich in Deutschland vor allem Politiker aus den Reihen der deutschen Christdemokraten an - keine Fachleute für Sicherheit, sondern Experten für Haushaltsfragen oder auch für Integration. Das lässt vermuten, dass sie die Kanzlerin Angela Merkel stützen wollen. Sie will nämlich Griechenland in der Eurozone halten. Von dieser Notwendigkeit ist die Mehrheit der deutschen Bevölkerung zurzeit aber nicht überzeugt. Könnte der Aspekt der europäischen Sicherheit etwas daran ändern?
Griechenland soll nicht den Russen überlassen werden
Die Argumentation blieb allerdings nicht auf die Flüchtlingsfrage beschränkt. Mancher Politiker griff ganz tief in die Mottenkiste des Kalten Krieges. Ein überschuldetes und von Europa frustriertes Athen könne sich Moskau annähern, so die These. Das finanziell potente Russland würde sich in Griechenland nicht nur wirtschaftlich engagieren. Russland suche dringend nach einem neuen strategischen Marinestützpunkt im Mittelmeer, weil der syrische Hafen Tartus unsicher geworden sei. Da käme ein geschwächtes Griechenland gerade recht.
Als "hysterisch" bezeichnet die Sicherheitsexpertin Constanze Stelzenberger diese geopolitische Argumentation. Die Leiterin des German Marshall Fund in Berlin sieht sehr wohl, dass die Flüchtlingsströme aus Syrien auch Griechenland erreichen könnten und damit die EU. Das sei zwar ein Problem, aber nicht unlösbar. Ebenso gelassen reagiert Stelzenmüller auf eine andere Entwicklung. Natürlich werden mögliche Gas- und Ölvorkommen im östlichen Mittelmeer und das Interesse von russischen und chinesischen Firmen die geostrategische Bedeutung von Griechenland verändern. Stelzenmüller rät aber dennoch, "die Nerven zu behalten und die Chancen zu sehen, die sich für das Land eröffnen". Deutschland, das immerhin große Teile seines Gasbedarfs mit Lieferungen aus Russland abdeckt, sei schließlich auch nicht in politische Abhängigkeit von Moskau geraten.
Was passiert aber im Falle eines Austritts aus der Eurozone? Könnte dann ein von Europa entfremdetes Athen den NATO-Austritt erwägen? "Nein", das könne sie sich nicht vorstellen, sagt die Sicherheitsexpertin. Allerdings würde ein Euro-Austritt die wirtschaftliche Krise in Griechenland verschärfen und vertiefen. Das wiederum würde auf die Sicherheitspolitik der NATO Auswirkungen haben: "Das würde unter anderem bedeuten, dass Griechenland Schwierigkeiten hätte, im Rahmen der NATO den Verteidigungsbeitrag zu leisten, den es im Bündnis versprochen hat", so Stelzenmüller. "Wir reden jetzt nicht über neue Waffenkäufe. Aber selbst das, was man hat, in Betrieb zu halten und wo es notwendig ist, auch zu modernisieren, ist unter diesen Umständen außerordentlich schwierig." Stelzenmüller hält die Probleme jedoch für eingrenzbar: "Das ist kein Weltuntergang."
Die Türkei ist ein wichtiger strategischer Partner
Auch für Christian Mölling ist ein Ausscheiden Griechenlands aus dem Euroraum vor allem ein ökonomisches Problem. Die finanziellen Folgen wären für die gesamte EU um vieles gravierender als mögliche geopolitische Veränderungen, so der Sicherheitsexperte der deutschen Stiftung Wissenschaft und Politik. Der Staat, auf den es in der Region für die Sicherheit der NATO und der EU ankomme, sei die Türkei.
"Sie hat es während des Arabischen Frühlings gezeigt, sie zeigt es jetzt gegenüber Syrien: Sie ist ein militärisch enorm potenter Partner in der Region", stellt Mölling fest. "Aber sie ist kein einfacher Partner, weil sie immer stärker und selbstbewusster geworden ist." Man sei aber gut beraten, wenn man diese Stärke und dieses Selbstbewusstsein für sich nutzbar mache, indem man mit den Türken zumindest im militärischen Bereich auf Augenhöhe agiere. "Warum sollte man dann einen Partner wie Griechenland unterstützen, von dem man in der jetzigen Zeit nicht viel erwarten kann?“, fragt Mölling.