1. Zum Inhalt springen
  2. Zur Hauptnavigation springen
  3. Zu weiteren Angeboten der DW springen
Politik

"Sie haben Hass-Post!"

Uta Steinwehr
15. Dezember 2016

Längst erhalten nicht nur Spitzenpolitiker wie Volker Beck, Heiko Maas und Renate Künast online Drohungen. Der Hass reicht bis in die Lokalpolitik. Die einen geben zum Schutz der Familie auf. Andere kämpfen weiter.

Ein Demoplakat bei Pegida im Stil eines Steckbriefs von Angela Merkel, Sigmar Gabriel und Joachim Gauck (Foto: DPA)
Bild: picture-alliance/dpa

März 2015: Der parteilose Bürgermeister Markus Nierth setzt sich dafür ein, in Tröglitz (Sachsen-Anhalt) Flüchtlinge unterzubringen. Er erhält Morddrohungen. Als der Landkreis eine Demonstrationsroute direkt an seiner Haustür entlang erlaubte, angeführt von der NPD, trat er als Bürgermeister zurück. Einen Monat später brannte das Haus, das für 40 Flüchtlinge vorgesehen war. Auch nach seinem Rücktritt erhält Nierth Drohungen und mit Fäkalien gefüllte Briefumschläge.

Herbst/Winter 2015: Ein Rentner schrieb Stefanie von Berg, Hamburger Bürgerschaftsabgeordnete der Grünen, E-Mails, in denen er sie geisteskrank nennt und ihr eine Vergewaltigung wünscht. Im Juli wird er zu 3000 Euro Geldstrafe verurteilt. In der Verhandlung sagt der Angeklagte, er habe "nicht die Person oder Frau ansprechen wollen, sondern die Politikerin".

September 2016: In Oersdorf bei Hamburg wird der Bürgermeister Joachim Kebschull (parteilos) mit einem Stück Holz niedergeschlagen. Zuvor hatte er Bombendrohungen erhalten und es wurden rassistische Parolen an ihn gerichtet. Kebschull wollte in dem Dorf Flüchtlinge unterbringen. Die Polizei betonte, dass sie in alle Richtungen ermittle.

Dezember 2016: Seit gut zwei Monaten wird Thomas Purwin, Chef der Bocholter SPD, bei Facebook beschimpft und erhält Hassmails: "Persönliche Diffamierung, Morddrohungen, und es ging immer wieder um Flüchtlingspolitik, mit dem Vorwurf, man tue zu viel für die Flüchtlinge und zu wenig für Deutsche." Auch andere Kommunalpolitiker in Bocholt erhalten immer wieder Mails mit fremdenfeindlichen Inhalten. Am Dienstag tritt Purwin zurück, weil auch seine Lebensgefährtin und seine kleine Tochter bedroht wurden. 

Brandanschlag auf die Asylbewerberunterkunft in Tröglitz - nach dem Rücktritt von Markus Nierth Bild: picture-alliance/dpa/J.Woitas

Politiker zeigten sich nach Purwins Rücktritt empört darüber, wohin die Entwicklung führt. "Manche glauben, im Internet könne man einfach etwas schreiben, das ist nicht so schlimm",  sagte die nordrhein-westfälische Ministerpräsidentin Hannelore Kraft (SPD) in einem Interview mit Radio NRW. "Aber das ist kein rechtsfreier Raum. Im Gegenteil: Auch dort ist eine Beleidigung eine Beleidigung und wird geahndet." Sie bringe alle Hassmails, die sie erhalte, zur Anzeige.

In der Öffentlichkeit zu sein, macht angreifbar

Seit einigen Jahren gibt es eine zunehmende Ablehnung oder sogar Hass auf sogenannte Funktionsträger im Staat, meint Professor Oliver Zöllner, Leiter des Instituts für Digitale Ethik an der Hochschule der Medien in Stuttgart. "Das fängt an beim normalen Feuerwehrmann oder Polizisten, die auf der Straße behindert oder angegriffen werden und endet bei mehr oder weniger prominenten Politikern, die häufiger im Fokus der Öffentlichkeit stehen."

Zöllner sagt, dass da ein Unrechtsbewusstsein fehle und die Anstandsgrenzen gefallen seien. Er mutmaßt, dass das mit einem neuen Menschenbild zu tun hat, das sich im Internetzeitalter verbreitet hat: "Man wähnt sich in der großen Masse der vermeintlich Gleichgesinnten in Sicherheit und aus deren Schutz heraus attackiert man den einzelnen Politiker als Projektionsfläche." Mit dem Internet ist es einfacher geworden, seinen Hass und seine Kommentare zu verbreiten.

Politiker sind auch Menschen

Michael Terhaag, Fachanwalt für IT-Recht in Düsseldorf, sagt, wer selber in öffentlichen Foren oder im Wahlkampf austeile, müsse sich zwar mehr gefallen lassen. "Hinter seiner Funktion hat der Politiker aber genauso seine Menschenrechte und sein Persönlichkeitsrecht wie jeder andere auch." Egal, ob das ein Politiker oder Privatmensch sei, "wenn der Tod gewünscht wird, die Kinder beschimpft oder falsche Tatsachen behauptet werden", sei das unzulässig, so der Rechtsanwalt.

46 Prozent der gemeldeten Hasspostings werden bei Facebook gelöscht - für Justizminister Heiko Maas ist das nicht genug Bild: Getty Images/AFP/J. Macdougall

Wenn die Nachricht mit Klarnamen verschickt wurde, kann der Betroffene unmittelbar dagegen vorgehen, erklärt Terhaag: zum Beispiel per Strafanzeige wegen Beleidigung oder Verleumdung. Schwieriger wird es, wenn die Nachricht anonym kommt. In jedem Fall könne man das Forum angehen. "Forenbetreiber wie Facebook haften so lange nicht, wie sie davon nichts wissen." Wenn sie informiert werden, müssen sie in angemessener Zeit tätig werden.

Bundesjustizminister Heiko Maas erwägt im kommenden Jahr gesetzliche Schritte, wenn Hass-Botschaften nicht vom Betreiber gelöscht werden. Auch Zöllner findet, dass Facebook sehr viel mehr investieren sollte und man das Unternehmen stärker in die Pflicht nehmen müsste. "In den USA informieren sich über 40 Prozent der Menschen ausschließlich über soziale Medien. Facebook ist de facto ein Nachrichtenmedium geworden." Damit stehe es in der Pflicht, sich als redaktionell geführtes Unternehmen zu verhalten. Das lehnt Facebook bisher ab, mit der Begründung, es sei ein Technologieunternehmen.

Rechtsanwalt Terhaag findet, dass die gesetzlichen Vorgaben in Deutschland nicht so schlecht sind. Es gebe umfangreiche Reglementarien, um sich gegen Hassbotschaften zu wehren. "Schon jetzt kann man Facebook in Deutschland verklagen." Es könnte aber einfacher werden, wenn man ausländische Anbieter verpflichten würde, eine deutsche Zustellungsadresse zu haben. Bisher gilt, dass die erste Klage übersetzt werden muss, was Geld kostet und eine Hürde darstellt.

Trotz massiver Drohungen lässt er nicht locker

Jürgen Kasek, Landesvorstandssprecher der Grünen in Sachsen, hat bisher eher mäßige Erfahrungen gemacht, was die Erfolgsquote von Anzeigen betrifft. "Gerade bei Sachen aus dem Internet, die über anonyme Accounts kommen, sagt die Polizei relativ schnell, dass ein Täter nicht ermittelt werden kann." Nur bei wenigen würde ein Strafbefehl erlassen. 

Der riskante Kampf gegen Rechts

12:04

This browser does not support the video element.

Kasek engagiert sich gegen Pegida und Rechtsextremismus. Er ist nur nebenberuflich Politiker, hauptberuflich Rechtsanwalt. Schon seit Monaten, wenn nicht Jahren wird er angefeindet. Am Anfang hätte er Nachrichten nur per Internet bekommen. Kasek sagt, die Menge sei größer geworden, die Drohungen ausdrücklicher. "Hin und wieder bleibt es nicht bei Drohungen." Im November wurde er in einem Zug angegriffen. Er erzählt, an seinem Büro sei ein Graffiti gewesen und er erhalte Steckbriefe von sich. "Das ist schon besorgniserregend." Er geht damit offensiv um, und veröffentlicht Fotos der Texte.

Die Hassbotschaften kommen in Wellen, per E-Mail und Facebook. Pro Tag seien es dann mehrere Dutzend, "und zwar nur die, die wir herausfiltern." Bei der letzten Welle hätten sie 300 Anzeigen gesammelt, so Kasek.

Eingriff ins Privatleben

Er ist vorsichtiger geworden. "Ich sage nicht mehr unbedingt, wann ich wo bin, wo ich hinkomme. Wenn ich alleine in Städten bin, wo ich mich nicht auskenne, habe ich meistens noch eine Mütze dabei, die ich mir sehr tief ins Gesicht ziehen kann." Es wissen immer Leute, wo er gerade sei.

Für den Politiker ist es keine Option aufzugeben. Dann würden die anderen gewinnen. "Ich habe die Vorstellung einer freien Gesellschaft, in der die Menschen auf der Basis von gegenseitigem Respekt miteinander umgehen. Ich möchte nicht irgendwann aufwachen und meiner eigenen Freiheiten beraubt sein." Das treibt ihn an. Trotzdem denkt er auch an die Menschen, die gegebenenfalls mit in Gefahr geraten.

Den nächsten Abschnitt Mehr zum Thema überspringen