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Politik

Siebte große Sonntagsdemo gegen Lukaschenko

27. September 2020

Internetblockade, Festnahmen, Einschüchterungsversuche der Staatsmacht: Erneut haben sich viele Belarussen nicht abschrecken lassen. Etwa 100.000 Bürger protestieren in Minsk und anderswo gegen Staatschef Lukaschenko.

Weißrussland Minsk | Proteste gegen die Regierung Lukashenkos
Die Demokratiebewegung marschiert in Minsk in geordneten Reihen gegen LukaschenkoBild: TUT.BY/AFP via Getty Images

Begleitet von Regenschauern gingen allein in der belarussischen Hauptstadt Minsk Zehntausende auf die Straßen, um den Rücktritt von Langzeitpräsident Alexander Lukaschenko und die Freilassung aller politischen Gefangenen zu fordern. Auch aus anderen Städten wurden neue Demonstrationen gemeldet. Die Beteiligung fiel allerdings in Minsk sichtlich geringer aus als an den vorherigen Wochenenden. Die Polizei nahm nach Angaben des Innenministeriums mindestens 200 Personen fest.

Seit der umstrittenen Präsidentschaftswahl am 9. August demonstrieren die Belarussen jedes Wochenende zu Zehntausenden gegen den seit 26 Jahren autoritär regierenden Lukaschenko. Sie werfen ihm Wahlfälschung vor und verlangen faire und freie Neuwahlen. Nach ihrer Überzeugung ist die inzwischen ins Exil geflohene Oppositionsführerin Swetlana Tichanowskaja die wahre Siegerin der Wahl. In ihrem Protest lassen sie sich auch von dem brutalen Vorgehen der Sicherheitskräfte und von massenhaften Festnahmen nicht abschrecken.

Sicherheitskräfte schleppen in Minsk einen Demonstranten davon Bild: TUT.BY/AP Photo/picture-alliance

Alternative Amtseinführung?

Ungeachtet der Proteste hatte sich Lukaschenko am Mittwoch für eine sechste Amtszeit vereidigen lassen - die Zeremonie fand allerdings ohne Vorankündigung im Palast der Unabhängigkeit statt und wurde auch nicht im Staatsfernsehen übertragen. Daraufhin hatte Nexta Live, ein von mehr als zwei Millionen Menschen abonnierter Oppositionskanal auf dem Messengerdienst Telegram, für diesen Sonntag zu einer symbolischen "Amtseinführung der wahren Präsidentin durch das Volk" aufgerufen.

"Sweta ist unsere Präsidentin" oder einfach "Sweta – Präsidentin", skandierten die Menschen in der Hauptstadt Minsk. Viele riefen auch: "Lange lebe Belarus!" und "Eto nasch gorod!" ("Das ist unsere Stadt"). Tausende trugen die historischen weiß-rot-weißen Fahnen von Belarus. Damit sich die Menschen nicht verabreden konnten zu den wechselnden Protestrouten, schalteten die Behörden wieder das mobile Internet ab. 

Wieder historische weißrote Fahnen bei der Massenkundgebung in MinskBild: TUT.BY/dpa/picture-alliance

Präsidentenpalast wie Festung gesichert

Schon vor Beginn der Kundgebung gab es nach Polizeiangaben erste Festnahmen. Viele Menschen wurden demnach schon beim Gang vor die Haustür abgefangen. Mehrere Plätze im Zentrum der Hauptstadt waren am 50. Protesttag in Folge abgesperrt. U-Bahnstationen und Einkaufszentren, in die sich die Demonstranten bei früheren Kundgebungen vor der Gewalt der Sicherheitskräfte geflüchtet hatten, waren geschlossen. In den Straßen fuhren Wasserwerfer und Panzerfahrzeuge auf. Wie eine Festung war der Präsidentenpalast gesichert, weil die Behörden befürchteten, dass die Protestierenden den Sitz Lukaschenkos erstürmen könnte. 

Nach Angaben der Menschenrechtsorganisation Wesna kam es in Minsk zu dutzenden Festnahmen, als die Polizei versuchte die Demonstration aufzulösen. Uniformierte in Sturmhauben gingen in den Städten Gomel und Grodno brutal gegen die Demonstranten vor. In Gomel, der zweitgrößten Stadt des Landes, setzten die Sicherheitskräfte Tränengas und Blendgranaten ein. In der östlichen Stadt Mogiljow sollen Betäubungsgranaten gegen Demonstrierende eingesetzt worden sein. Eine Sprecherin des Innenministeriums bestritt dies und sagte, Sicherheitskräfte hätten Gerät zur "Kontrolle von Ausschreitungen" verwendet. Schon am Samstag hatte es bei Demonstrationen, an denen hauptsächlich Frauen teilgenommen hatten, 150 Festnahmen gegeben.

Videobotschaft von Tichanowskaja

Die Oppositionsführerin Tichanowskaja meldete sich per Videobotschaft aus ihrem Exil in Litauen zu Wort: "Heute ist der 50. Tag unserer Proteste", sagte die 38-Jährige. "Wir sind gekommen, um dieses Regime zu stoppen, und wir tun dies friedlich." Angesichts der bedrohlichen Lage in der Stadt und der vielen Festnahmen lobte Tichanowskaja den Mut ihrer Landsleute, den Kampf um die Freiheit auf der Straße unerschrocken fortzusetzen.

Sie wendet sich erneut an die Demonstranten: Oppositionsführerin Svetlana TichanowskajaBild: picture-alliance/AP Photo/M. Kulbis

Der französische Präsident Emmanuel Macron stellte sich erneut hinter die Opposition und erklärte Lukaschenkos Zeit an der Staatsspitze von Belarus für abgelaufen. "Es ist klar, dass er gehen muss", sagte Macron der Zeitung "Journal du Dimanche". "Was in Belarus vor sich geht, ist eine Machtkrise, eine autoritäre Macht, welche die Logik der Demokratie nicht akzeptieren kann und sich mit Gewalt festklammert", sagte der französische Staatschef, der am Montag in die benachbarten Staaten Litauen und Lettland reist. Zugleich äußerte Macron seine Bewunderung für den Mut der Demonstranten in Belarus.

EU-Sanktionen im Gespräch

Der Machthaber hatte stets erklärt, sich seine sechste Amtszeit notfalls unter Einsatz der Armee zu sichern. Die USA, die EU und viele andere Staaten erkennen Lukaschenko nicht mehr als Präsidenten an. Die EU plant Sanktionen gegen etwa 40 belarussische Regierungsvertreter, darunter auch Lukaschenko selbst. Menschenrechtler werfen den Truppen Verbrechen gegen die friedlichen Demonstranten vor.

Der belarussische Außenminister Wladimir Makej warf dem Westen in einer Note an die Vereinten Nationen einmal mehr vor, sich unzulässig in die inneren Angelegenheiten der Ex-Sowjetrepublik einzumischen. Er behauptete, das belarussische Volk habe Lukaschenko gewählt. Der Machthaber hatte sich mitten in einer schweren Krise mit angeblich 80,1 Prozent der Stimmen zum Wahlsieger erklären lassen. Das Ergebnis gilt als gefälscht.

Der international weitgehend isolierte Lukaschenko kann sich vor allem auf Russland als Verbündeten verlassen. Kremlchef Wladimir Putin hatte ihm nicht nur zum Sieg gratuliert, sondern ihm auch Truppen sowie einen neuen Milliardenkredit in Aussicht gestellt.

kle/qu (afp, dpa, rtr, ape)

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