Sieger oder Verlierer? - Die Exil-Kinder der Islamischen Revolution
12. Februar 2009Sie hatte gerade gelernt zu sprechen und sich auf persisch zu verständigen, als ihren Eltern die Flucht aus dem Heimatland gelang. Dennoch hat Pegah Ferydoni viele Erinnerungen an diese Zeit. Mit dem Vorwand, einen Urlaub in Istanbul zu verbringen, reiste ihre Familie über die Türkei nach Westberlin, immer die Angst vor Verfolgung und Bestrafung im Nacken. Denn schließlich hatten die Eltern im Iran bei der islamischen Revolution für die sozialistisch-demokratische Idee gekämpft.
Das Maschinengewehr unterm Kinderbett
Noch lange, so hat man es Pegah Feridony, die heute als Schauspielerin unter anderem aus der ARD-Vorabendserie „Türkisch für Anfänger“ bekannt ist, erzählt, hatten die Eltern unter ihrem Kinderbett im Iran Maschinengewehre versteckt. Und es gibt viele andere Familiengeschichten aus dieser Zeit. So habe ihre Mutter ihr einmal von einem Streit zwischen Vater und Großvater berichtet. Der Vater wollte gern, wie andere Jugendliche in der Straße auch, ein Plakat von Mao oder Lenin, an die Tür hängen. Doch der Großvater hatte einen solchen Aushang mit dem Konterfei von Marx verboten. „Nur wenige Tage später waren sämtliche Jugendliche der Straße abgeführt und exekutiert worden. Die Miliz hatte sie erkannt an ihren Postern an den Türen“, erzählt die 25jährige Ferydoni die Geschichte weiter.
„Kampf der Elterngeneration war nicht umsonst“
Nicht nur aus Erzählungen, sondern hautnah hat Mehdi Moinzadeh die Revolution erlebt. Auch er arbeitet heute als Schauspieler und Regisseur in Deutschland. Ein Jahr vor der Revolution 1978 geboren, ist er erst im Alter von fünf Jahren mit seiner Familie aus dem Iran geflohen. Er habe klare Bilder von konspirativen Treffen in Hinterhöfen und Demonstrationen auf der Straße vor Augen, berichtet Moinzadeh: „Ich war auf der Schulter meines Vaters und neben uns wurde ein Mensch getroffen und fiel um. Das ist so ein Bild, das hängen geblieben ist.“ Natürlich sei er traumatisiert, doch diese Szenen seien wie selbstverständlich Teil seiner Kindheit. Ein Teil dieser Kindheit ist auch eine viereinhalb Jahre andauernde Odyssee durch den mittleren Osten und Europa, bis die Familie Moinzadeh schließlich in Karlsruhe landete. Eine Grundangst, dass Familienmitglieder bei dieser Flucht auf der Strecke bleiben würden, habe ihn die gesamte Kindheit über begleitet, erinnert sich Mehdi Moinzadeh heute. Trotz dieser traumatischen Erfahrungen ist er seinen Eltern dankbar, dass sie ihm ein Leben in Freiheit und Demokratie ermöglicht haben: „Meine Familie hat einen hohen Preis dafür bezahlt. Aber ich glaube nicht, dass der Kampf der Elterngeneration umsonst war. Es wäre fatal das zu behaupten, auch wenn der Idealzustand noch nicht erreicht ist.“
Fehlende Aufarbeitung der Vergangenheit
Zu Angehörigen im Iran pflegt der 30jährige heute einen eher sporadischen Kontakt. Aber er verfolgt die Entwicklungen in seinem Heimatland mit Interesse und hat Verwandte in Teheran bereits besucht. Seine Schauspielkollegin Pegah Ferydoni berichtete dagegen von einem Verdrängungsprozess, der seit ihrer Kindheit in Deutschland andauert. Obwohl sie in der Schule in Berlin oft aufgefordert wurde, in einem Referat über ihr Geburtsland zu berichten, habe sie sich geweigert, die eigene Vergangenheit aufzuarbeiten. Dabei ist selbst ihr Großvater bereits in die politische Geschichte des Irans verwickelt, weil er unter dem Schah für Freiheit gekämpft hatte und dafür jahrelang ins Gefängnis musste. Insofern sei die Revolution immer noch ein großes Thema in der eigenen Familie, so Ferydoni: „Und es belastet mich auch, weil ich viele Fragen habe und mich ganz oft nicht traue, sie zu stellen, weil ich Angst habe, bei meiner Familie Schmerz und Trauer hochzuholen.“
„Kaum einer wusste, worum es im Sozialismus ging“
Die Islamische Revolution als ganz privates Schicksal, das Familien auseinander gerissen hat: Pegah Ferydoni ist sich sicher, dass die fehlende Aufarbeitung ein wichtiger Grund für die heute zerrüttete Gesellschaft im Iran ist. Trotz der schmerzhaften Erinnerungen, ist sie auf der einen Seite stolz auf das politische Engagement ihrer damals noch sehr jungen Eltern. Die Mutter war zu Beginn der Revolution gerade 14 Jahre alt. Andererseits hält sie das Vorgehen ihrer Eltern aber auch für naiv und undurchdacht: „Die wenigsten hatten damals „Das Kapital“ von Marx gelesen oder wussten eigentlich, worum es im Sozialismus geht. Die Revolution war eigentlich eine Jugendbewegung, wo es darum ging, dabei zu sein. Es war weniger der tatsächliche Freiheitsdrang. Im Nachhinein halten es meine Eltern selbst für dumm. Sie sehen ein, dass sie damals sehr viele Fehler gemacht, nicht nachgedacht und den falschen Instanzen vertraut haben.“
In Deutschland zu Hause
Die Enttäuschung über das Scheitern der Revolution und des statt einer Demokratie entstandenen Gottesstaates prägt auch die Erinnerungen des Schauspielers Mehdi Moinzadeh. Wie Pegah Ferydoni fühlt er sich inzwischen in Deutschland zu Hause. In seinem Leben als Künstler, Ehemann und Vater spielt die Revolution von 1979 nur eine untergeordnete Rolle. Dennoch begreift er die eigene Familiengeschichte als ganz persönlichen Auftrag: „Ich bin froh, dass meine Eltern nicht unbeteiligt waren. Dass ist mir weitaus lieber, als irgendwelche Eltern gehabt zu haben, die sich einfach mit jedem System arrangieren. Und es ist jetzt eine riesige Herausforderung, genauso aktiv zu sein. Insofern prägt es mich, weil ich es doch mir und meiner Geschichte schuldig bin, dass ich mit ein bisschen offeneren Augen durch die Welt laufe.“