Siegesfeier ohne Siegermächte
9. Mai 2015Heute herrscht wenig Einigkeit zwischen den Nationen, die vor sieben Jahrzehnten im Zweiten Weltkrieg das antifaschistische Militärbündnis bildeten. Die Streitigkeiten rund um die Feierlichkeiten am 9. Mai, mit denen in Moskau traditionell des Kriegsendes in Europa gedacht wird, spiegeln die derzeitigen politischen Konflikte wider - insbesondere den zwischen dem Westen und Russland über die de-facto-Annexion der Krim.
Russland hatte für die Gedenkfeier an diesem Samstag auf dem Roten Platz in Moskau insgesamt rund 70 Staats- und Regierungschefs eingeladen, doch viele westliche Politiker sagten ihre Teilnahme ab. So bleiben auch US-Präsident Barack Obama, der britische Premierminister David Cameron und Frankreichs Staatschef Francois Hollande der Waffenschau demonstrativ fern. Bundeskanzlerin Angela Merkel reist zwar nach Moskau, dort wird sie aber erst am Sonntag einen Kranz am Grabmal des Unbekannten Soldaten niederlegen.
Der russische Präsident Wladimir Putin hatte es seinerseits abgelehnt, bei der Gedenkveranstaltung zur Befreiung des Nazi-Vernichtungslagers Auschwitz in Polen am 27. Januar zu erscheinen. Putin hatte sich verärgert gezeigt über Äußerungen aus Polen, denen zufolge ukrainische Armee-Einheiten Auschwitz befreit hätten und über den Vorschlag, dass die Gedenkfeier zum Ende des Zweiten Weltkriegs eher in London oder New York als in Moskau stattfinden solle.
Im April verweigerte Polen dem russischen Motorradclub Nachtwölfe die Durchreise nach Deutschland. Den Rockern werden gute Beziehungen zu Putin nachgesagt. Auf ihrer Fahrt in Erinnerung an den Siegesmarsch der Roten Armee trafen die Nachtwölfe inzwischen in Berlin ein, Medienberichten zufolge sollen sie aus Tschechien kommend nach Deutschland eingereist sein.
Historische Ablenkungsmanöver
Zweifelsfrei war sich Putin bewusst, dass jene westlichen Staatenlenker, die Kritik an der Krim-Annexion Russlands äußerten, unter keinen Umständen zur Siegesfeier am 9. Mai in Moskau erscheinen würden.
In gewissem Sinne war dies sogar sein Plan, glaubt Kathleen Smith. "Putin nutzt das Fehlen der westlichen Regierungsoberhäupter bei der Siegesfeier, um anti-westliche Stimmung zu schüren", sagt Smith, die an der Universität in Georgetown unterrichtet. "Das Gedenken an den Zweiten Weltkrieg in Russland ist vielschichtig. Obwohl die Feierlichkeiten den Sieg und damit das Kriegsende betreffen, wird in Russland auch der Isolation vom Westen in den 1930er Jahren und des deutschen Bruchs des Nichtangriffspakts gedacht."
Putin wolle, dass die heimische Öffentlichkeit den Konflikt über die Gedenkfeier als weiteres Beispiel für Russlands Kampf gegen den Faschismus begreift - in diesem Fall gegen den von Moskau als ultra-nationalistisch gebrandmarkten ukrainischen Präsidenten Petro Poroschenko.
"Dass die große Mehrheit der westlichen Regierungsoberhäupter es ablehnt, an den Feierlichkeiten teilzunehmen, macht es für Russland umso reizvoller, den Westen und insbesondere die baltischen Staaten der Unterstützung von Neonazis zu beschuldigen", sagt Erkki Bahovski vom estnischen Zentrum für Verteidigungsstudien im Gespräch mit der DW. "Ich glaube aber, nachdem man in den russischen Medien ein Paralleluniversum geschaffen hat, begreift die russische Führung einfach nicht, worüber sich der Westen überhaupt beschwert."
Fraglich ist, ob das Narrativ vom westlichen Verrat am antifaschistischen Kampf Russlands für die breite russische Bevölkerung glaubhaft ist - oder ob die Kontroverse über das gemeinsame Gedenken für Putin sogar nach hinten losgeht.
Von Opfern und Helden
Kathleen Smith glaubt, dass die Manöver des Kremls im Vorfeld der Feierlichkeiten ein weiteres Ziel gehabt haben könnten: Dass Russlands Bevölkerung die Entbehrungen akzeptiert, die Moskau in Folge der Krim-Annexion durch Wirtschaftssanktionen aus dem Westen hinnehmen musste. Ganz grundsätzlich könne Putin das Beispiel des Zweiten Weltkriegs so instrumentalisieren. "Die Entbehrungen und Opfer der Kriegszeiten sind tief mit dem russischen Gedächtnis verflochten. Die Erinnerungen werden als Antwort auf die westlichen Sanktionen wieder hervorgerufen", sagt Smith. "Für Putin ist es extrem nützlich. Er kann so die russische Bevölkerung für ihre Bereitschaft loben, ihren Konsum ohne Murren einzuschränken."
Doch die Geister der Vergangenheit wieder aufleben zu lassen, beinhaltet für Putin auch Risiken. "Die Feierlichkeiten dienen dazu, die russische Identität zu stärken. Denn der 'Große Sieg' bildet die einzige Grundlage für die neue russische Identität - und das ist die zentrale Frage für Putin", glaubt Bahovski. "Feindlichkeit gegenüber dem Westen könnte sich als zweischneidiges Schwert erweisen. Denn selbst in den sowjetischen Lehrbüchern wird erwähnt, dass die Sowjetunion mit den USA, Großbritannien und Frankreich verbündet war. Eine komplette Umkehr im Licht des Jahrestages des Kriegsendes könnte sich als kontraproduktiv erweisen." Man dürfe nicht vergessen, dass sowjetische und deutsche Veteranen vor einigen Jahren gemeinsam an der Parade zum Jahrestag in Moskau teilgenommen hätten. "Die Abwesenheit der westlichen Regierungsoberhäupter in diesem Jahr wird nicht unbeachtet bleiben."