Man könnte zusammenfassen: Es geht um Wind und Kohle bei Siemens. Und um Milliarden Euro. Um ein schlechtes Image und nicht optimal laufende Geschäfte. In München läuft eine Hauptversammlung der anderen Art.
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Schon vor Beginn der Hauptversammlung in München fasste Siemens-Chef Joe Kaeser die Lage vielleicht ganz treffend zusammen: Das neue Geschäftsjahr habe "etwas verhalten" begonnen. Da wird man dem Vorstandsvorsitzenden des Industriegiganten kaum widersprechen können.
Die Bilanzzahlen des Milliarden-Konzerns waren schon mal glänzender, und das Ansehen in der Öffentlichkeit war schon mal weniger umstritten. Siemens kämpft um seinen Ruf als Vorreiter der Energiewende auch in der Industrie - schließlich will der Konzern spätestens mit dem Jahr 2030 ganz klimaneutral werkeln. Im Moment aber haben Siemens und Kaeser immer noch mit einer Kohlemine in Australien zu tun, die ihr grünes Image zu ruinieren droht, weil der Konzern dorthin Signalanlagen für ein paar Millionen Euro liefern will.
Die letzte Hauptversammlung?
Dagegen sind auch in München beim Aktionärstreffen Umweltaktivisten Sturm gelaufen. Aber erst einmal bestimmten am Mittwochmorgen die Bilanzen das Bild, und das machte es auch nicht besser für Joe Kaeser auf seiner mutmaßlich letzten Hauptversammlung.
Der Vertrag des Chefs läuft zum Jahresende aus, und die Spatzen pfeifen es von den Dächern, dass er kaum verlängert werden dürfte. Nicht zuletzt wegen der Zahlen, darf man annehmen: Der Nettogewinn des Konzerns ging im letzten Quartal um drei Prozent auf 1,09 Milliarden Euro zurück. Der Umsatz stieg zwar um ein Prozent auf 20,3 Milliarden Euro, der Auftragseingang aber lag mit 24,8 Milliarden Euro um zwei Prozent unter dem des Vorjahrs. Vor allem im Industriegeschäft haperte es: Hier brach das Ergebnis im Quartal von Oktober bis Dezember um 30 Prozent auf 1,43 Milliarden Euro ein.
Kein Grund für Alarmstimmung, noch hat Siemens einen rekordverdächtigen Auftragsbestand von 149 Milliarden Euro, der erst einmal abgearbeitet werden will. Aber: "Die unbefriedigende Situation im gesamten Energiegeschäft macht deutlich, wo der primäre Handlungsbedarf liegt", sagte Kaeser mit Blick auf die Bilanzen.
Ärger mit dem Energiegeschäft
Kern der Sparte sind Turbinen und Dienstleistungen für Kohle-, Öl- und Gaskraftwerke. Der operative Gewinn in diesem Geschäft brach im ersten Quartal um fast zwei Drittel ein, die Windkraft-Sparte Siemens Gamesa, der Hoffnungsträger für die Energiewende, rutschte sogar in die roten Zahlen. Das ganze Geschäft mit der Energietechnik soll im Laufe des Jahres abgespalten und an die Börse gebracht werden. Bei Gamesa will Siemens die Anteile des spanischen Minderheitsaktionärs Iberdrola übernehmen; da hatte es immer wieder Probleme gegeben.
Das eine ist das Geschäft mit der Umwelt - das andere sind die Umweltschützer. Es ist eine junge Frau aus Australien, die dem Chef des Weltkonzerns Siemens verbal vor das Schienbein tritt. "Joe Kaeser hat einige falsche Informationen verbreitet", sagt die 17 Jahre alte Varsha Yajman, die aus Sydney zur Hauptversammlung von Siemens nach München gereist ist. "Lüge" wirft die Schülerin dem Konzernchef vor - Kaeser meint wohl auch solche Äußerungen, wenn er die Debatten um Siemens' Beitrag zu einem Kohleprojekt in Australien genervt "fast grotesk" nennt, "dass wir durch ein Signaltechnik-Projekt in Australien zur Zielscheibe zahlreicher Umweltaktivisten geworden sind.
"Siemens als Brandbeschleuniger"
Etwa 300 Umweltschützer waren es, sie sangen, hüpften, bildeten Menschenketten und zeigten den Aktionären ihre Plakate: "Wir brauchen keine Kohle" oder "Siemens als Brandbeschleuniger für die Klima-Kriminellen". Kurzzeitig sei auch der Zugang zum Gebäude behindert gewesen, teilte die Polizei mit. Für den Nachmittag und auch im Inneren der Hauptversammlung waren weitere Proteste angekündigt. Dabei geht es wieder vor allem um die Lieferung einer Zugsignalanlage im Wert von rund 18 Millionen Euro für das Kohlebergwerk des Adani-Konzerns in Australien. Zum Vergleich: Der Siemens-Jahresumsatz liegt bei 87 Milliarden Euro.
Es wollte auch nicht mehr recht helfen, dass Kaeser den Umgang mit der Adani-Entscheidung längst als Fehler bezeichnete: "Wären wir noch einmal in der Situation, in der wir frei entscheiden könnten, fiele sie sicher anders aus." Umwelt-, soziale Themen und Fragen der guten Unternehmensführung, so Kaeser, spielten auch für große Investoren künftig eine immer größere Rolle. Das müsse sich in der Strategie niederschlagen. Solche Äußerungen nennen die Aktivisten im Saal "Greenwashing". Für Siemens hingegen geht es um Geschäft, Geld und Image.
Siemens: Vom Zeigertelegrafen zum Internet der Dinge
Vor 200 Jahren wurde der Siemens-Gründer Werner von Siemens geboren. Von Industrierobotern und vernetzten Autos hat der Erfinder damals wohl kaum geträumt. Eine Zeitreise durch die Unternehmensgeschichte in Bildern.
Bild: picture-alliance/dpa/J. Stratenschulte
Alles begann mit dem Zeigertelegrafen
Hiermit fing alles an: 1846 und 1847 baut Werner Siemens seinen ersten Zeigertelegrafen, gewissermaßen der Vorläufer des Faxgeräts. Um ihn in Serie herstellen zu können, gründet der Erfinder zusammen mit dem Feinmechaniker Johann Georg Halske die "Telegraphen-Bauanstalt von Siemens & Halske". In einer Berliner Hinterhauswerkstatt fertigen zehn Handwerker die ersten Zeigertelegrafen.
Bild: Siemens AG
Aus der Werkstatt in die Fabrik
In den folgenden Jahrzehnten wird aus dem Handwerksbetrieb eine Fabrik mit normierter Serienfertigung. Siemens & Halske baut Dampfmaschinen und entwickelt den ersten Generator. Die Entdeckung des elektrodynamischen Prinzips gilt als eine der wichtigsten Leistungen Siemens: Er schuf damit die Voraussetzung, Strom in größerem Umfang zu erzeugen.
Bild: Siemens AG
Ferngespräche in die USA
1864 scheitert die Verlegung eines Seekabels durch das Mittelmeer, was dem Unternehmen empfindliche Verluste beschert. 1874/75 verlegen die Siemens-Brüder Werner, William und Carl mit Hilfe des eigens gebauten Kabeldampfers Faraday dann aber erfolgreich ein Telegrafenkabel zwischen Europa und den USA - weitere Transatlantik-Kabel folgen.
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Vorreiter bei der E-Mobilität
Auf der Berliner Gewerbeausstellung 1879 präsentiert Siemens & Halske die erste elektrische Eisenbahn der Welt mit Fremdstromversorgung. Es folgt die erste elektrische Straßenbahn (Bild), die im Jahr 1881 in Lichterfelde bei Berlin den Betrieb aufnimmt. Auch der erste Vorläufer des modernen Oberleitungsbusses stammt von Siemens.
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Unternehmer mit sozialer Agenda
Neben seinen technischen Innovationen und seinem Unternehmergeist macht sich Werner Siemens (seit 1888 "von Siemens") auch mit sozialpolitischen Initiativen einen Namen. 1872 etabliert er eine Pension-, Witwen- und Waisenkasse als betriebliche Altersversorgung. 1890 scheidet er offiziell aus dem Geschäft aus. Zwei Jahre später erliegt von Siemens im Alter von 75 Jahren einer Lungenentzündung.
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Ein neuer Stadtteil entsteht
Die Firma wird derweil größer und größer: Mit dem Ziel, die Expansion am Traditionsstandort abzusichern, erwirbt Siemens & Halske 1897 ein nahezu unbesiedeltes Gelände nordwestlich von Berlin. Nach und nach werden hier alle betrieblichen Aktivitäten räumlich konzentriert und Werkswohnungen gebaut. Bis 1914 entsteht ein völlig neuer Stadtteil - die "Siemenssstadt".
Bild: Siemens AG
Zwangsarbeit im Siemenswerk
Während des Zweiten Weltkriegs beschäftigt Siemens auch Zwangsarbeiter und KZ-Häftlinge in seinen Werken. Im Siemenslager Ravensbrück setzt das Unternehmen tausende weibliche Häftlinge zum Wickeln von Spulen und zum Bau von Telefonen ein. Nach dem Krieg sind die meisten Gebäude und Werksanlagen zerstört, das Firmen-Vermögen wird konfisziert.
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Umzug nach München
Teile der Unternehmensführung werden noch im Februar 1945 nach München, Mülheim a.d. Ruhr und Hof verlagert. Siemens & Halske bekommt den Hauptsitz in München, Berlin bleibt zweiter Firmensitz. Zum ersten Oktober 1966 wird die Siemens Aktiengesellschaft gegründet.
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Mehr Produkte, mehr Fabriken, mehr Länder
Turbinen, Automatisierungstechnik, Eisenbahnen, Kraftwerke, private Kommunikationssysteme, Medizintechnik, Waschmaschinen - es gibt kaum etwas, das Siemens nicht baut. Anfang der 1980er produziert das Unternehmen bereits in 37 Ländern. In den 1990er-Jahren lag der Anteil der nicht-deutschen Konzernumsätze bei zwei Drittel.
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Untreue, Bestechung, schwarzer Kassen
2006 fliegt ein schwerwiegender Korruptionsskandal bei Siemens auf: Über Jahre sollen rund 1,3 Milliarden Euro in dunkle Kanäle geschleust worden sein, um lukrative Auslandsaufträge zu ergattern. Den Elektrokonzern kostet die Aufarbeitung 2,5 Milliarden Euro. Etliche Beteiligte verlieren ihren Job; auch die Führungsspitze wird ausgetauscht.
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Radikaler Umbau
Im Mai 2014 stellt der neue Konzernchef Joe Kaeser seine Pläne für einen radikalen Konzernumbau vor. Die Aufteilung des Geschäfts in Sektoren wird aufgehoben, um den Konzern schlanker und wettbewerbsfähiger zu machen. Siemens soll auf Elektrifizierung, Automatisierung und Digitalisierung ausgerichtet werden. Durch den Umbau verlieren Tausende ihren Arbeitsplatz.
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Milliardenaufträge und Übernahme-Poker
Mehr als sechs Milliarden Euro zahlt die Deutsche Bahn Siemens für den Bau der neuen ICE-Flotte - der bis dahin größte Auftrag in der Konzerngeschichte. Ähnlich viel Geld gibt es nur von Ägypten, für das Siemens momentan das größte Gaskraftwerk der Welt baut. 2014 will Siemens den französischen Konkurrenten Alstom übernehmen, doch der entscheidet sich für das Angebot von General Electric.
Bild: picture-alliance/dpa
Vernetzt in die Zukunft
Industrie 4.0 und das "Internet der Dinge" versprechen eine intelligentere und weltweite Vernetzung von Maschinen, Lagersystemen und Betriebsmitteln. Die zunehmende Digitalisierung und Vernetzung verändert die komplette industrielle Produktionskette - eine neue Herausforderung für den Siemens-Konzern.