Siemens: Umbau beendet, Kaeser geht
3. Februar 2021Für die einen ist dieser Chef mit dem amerikanischen Vornamen und den bayrischen Wurzeln einer das ganz Großen der deutschen Industriegeschichte. Für andere gilt Joe Kaeser vor allem als einer, "der in wenigen Jahren ein über 170 Jahre altes Unternehmen in seine Einzelteile zerlegt hat", wie die Süddeutsche Zeitung es formulierte. Richtig ist wohl beides: Den alten Siemens-Konzern, der Waschmaschinen und Großturbinen, Eisenbahnzüge und Glühbirnen, Chips und Kraftwerke baute, den gibt es nicht mehr. An der Börse aber gehören die neuen Siemensfirmen zu den Lieblingen, die Siemens-Aktie entwickelte sich im letzten Jahr mit einem Plus von rund zwölf Prozent besser als der DAX.
Und auch die Bilanz, die Kaeser bei der virtuellen Hauptversammlung am Mittwoch präsentiert, ist ganz offensichtlich als fettes Polster für den Nachfolger gedacht. Roland Busch, seit Jahren im Konzern und seit Monaten als Stellvertreter Kaesers bereits für das Geschäft verantwortlich, übernimmt mit dem heutigen Tage offiziell den Titel Vorstandsvorsitzender.
Überraschend gutes Quartal
Zuvor aber hob Siemens die Erwartungen für das laufende Geschäftsjahr 2020/21, das im Oktober begann, nach einem überraschend guten ersten Quartal deutlich an: Der Gewinn nach Steuern soll auf 5,0 bis 5,5 Milliarden Euro steigen. Das wäre ein Plus von rund 20 Prozent gegenüber dem Vorjahr mit 4,2 Milliarden Euro Gewinn. Der Umsatz war im ersten Quartal (Oktober bis Dezember), um Wechselkurseffekte bereinigt, um sieben Prozent auf gut 14 Milliarden Euro gestiegen. Der Auftragseingang wuchs sogar um 15 Prozent auf 15,9 Milliarden.
Der DW sagte Joe Kaeser dazu an seinem letzten Tag als Vorstandschef, die Ergebnisse hätten auch deutlich schlechter ausfallen können. "Man darf nicht vergessen, dass die Zahlen des ersten Quartals mit dem gleichen Zeitraum in Vorjahr verglichen werden müssen. Und das war im Wesentlichen noch die Vor-Corona-Periode", so Kaeser.
"Ich bin dankbar, so ein starkes Unternehmen an die neue Führungsriege übergeben zu können", fügte der scheidende Vorsitzende am Mittwoch auf der Hauptversammlung hinzu. Das "starke Unternehmen" ist allerdings deutlich kleiner als der Riese, dessen Umbau bereits in den 1990er Jahren von Kaesers Vorvorgänger begonnen wurde.
1989 bestand Siemens noch aus 15 Einheiten, 1991 beschäftigte der Konzern weltweit 427.000 Menschen, im vergangenen Jahr waren es noch 293.000 Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter. Aus dem alten Industriekonglomerat wurde durch den Umbau unter Joe Kaeser ein Konzern mit noch drei Standbeinen.
Umbau eines Industriekonglomerats
Erfolg und jüngste Zuwächse kamen vor allem aus der Automatisierungs-Sparte, genannt Digital Industries. Siemens habe dabei nicht nur die unerwartet rasche Erholung in der Autoindustrie und im Maschinenbau geholfen, sagte der neue Chef Roland Busch. Vor allem in China, aber auch in Deutschland brummte das Geschäft. Im letzten Geschäftsjahr war hier der Umsatz noch um sechs Prozent auf 15 Milliarden Euro gesunken. Bei der Sparte geht es vor allem um Automatisierungssysteme für die Fabrikproduktion mit der dazu gehörenden Software.
Stabil blieben im letzten Geschäftsjahr die Umsätze bei der Bahntechnik, die unter dem Namen Siemens Mobility läuft - bei einem Zuwachs von zwei Prozent kam die Sparte auf Erlöse von neun Milliarden Euro.
Der dritte Bereich des neuen Siemens-Konzerns nennt sich Smart Infrastructure und soll für die Verbindung von "Energiesystemen, Gebäuden und Industrien" sorgen, wie es laut Unternehmen heißt. Nicht mehr dazu gehören die Sparten Healthineers und Siemens Energy. Die Gesundheitssparte ist bereits seit 2018 als eigene Firma an der Börse, und die Kraftwerksparte brachte Kaeser im letzten Jahr an die Börse.
Anfang der Woche gab Siemens Energy bekannt, man werde weltweit rund 7.800 Arbeitsplätze abbauen. Die Stellenstreichungen betreffen die Sparte Gas and Power und sollen bis 2025 erfolgen. Für das erste Quartal des Geschäftsjahres 2021 vermeldete das Unternehmen einen Gewinn Plus von 99 Millionen Euro. Im vergangenen Geschäftsjahr hatte der riesige Energiebereich noch einen Milliardenverlust gemacht. Gerüchten zufolge strebt Joe Kaeser den Posten des Aufsichtsratschefs bei Siemens Energy an.
Schwerpunkt Digitalisierung
Der Umbau bei Siemens gilt nun weitgehend als beendet, einige erwarten von Nachfolger Busch deshalb Konsolidierung. Busch müsse nun die Gemeinsamkeiten zwischen den verschiedenen Geschäftsteilen herausarbeiten und den Konzern zusammenhalten, so zitierte das Handelsblatt einen ungenannten Arbeitnehmervertreter.
Busch solle stärker auf Innovation und die Entwicklung marktreifer Produkte setzen, fordert im gleichen Blatt dagegen die Fondsmanagerin Vera Diehl von der Deka. Siemens müsse es schaffen, so Diehl, "das Ingenieurs- und Digitalisierungs-Know-how" besser zu Geld zu machen.
Das verspricht der neue Vorstandsvorsitzende denn auch und will den Münchner Konzern noch stärker auf Digitalisierung trimmen. Digitalisierung sei für ihn nicht Bedrohung, sagte er auf der virtuellen Hauptversammlung, sondern "eine Antwort auf die großen Fragen unserer Zeit: auf Klimawandel, Globalisierung, Urbanisierung und demografischen Wandel".
Der scheidende Chef Kaeser lobte sich auf der Hauptversammlung am Mittwoch in München noch einmal selbst. Ohne seine Umbaumaßnahmen würde es Siemens zwar noch geben. "Aber sicher nicht mit 130 Euro pro Aktie. Vielleicht dann zu 10 Euro und mit der Hälfte der Mitarbeiter", sagte Kaeser und fügte hinzu: "So wie andere Konglomerate, diesseits und jenseits des Atlantiks, die die Zeichen der Zeit nicht erkannt haben." Der US-Mischkonzern General Electric (GE), an dem sich Siemens über Jahrzehnte gemessen hatte, hat einen Absturz an der Börse hinter sich.
ar/bea (dpa, rtr - Archiv)