Siemens ist nicht irgendein Konzern, Siemens ist deutsche Industrie. An Siemens kann man ablesen, wie diese Industrie durch die Corona-Krise kommt: gut, aber mit Blessuren. Und dann geht auch noch der langjährige Chef.
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Dass Joe Kaeser seinen Siemens-Konzern in den letzten Jahren derart umgebaut hat, dass das Traditionshaus kaum mehr wiederzuerkennen ist, das ist längst offensichtlich. Nun hat Vorstandschef Kaeser seine letzte Bilanz vorgelegt, bevor er im kommenden Frühjahr geht. Das operative Ergebnis aus dem Industriegeschäft lag Ende September mit 7,6 Milliarden Euro nur um drei Prozent unter dem Vorjahresniveau. Bei Siemens endet das Geschäftsjahr mit dem September.
Umsatz und Auftragseingang gingen bei Siemens im gesamten Geschäftsjahr leicht zurück, der Umsatz um zwei Prozent auf 57,1 Milliarden Euro, der Wert der Aufträge um sieben Prozent auf 60,0 Milliarden Euro.
Der Nettogewinn sank um immerhin ein Viertel, das sind aber immer noch 4,2 Milliarden Euro. Dahinter verbergen sich gewaltige Verschiebungen in der Struktur des Konzerns. Und dahinter zeigen sich auch allerlei Probleme.
Ohne die Energiesparte
Siemens Energy gehört nicht mehr in diese Bilanz. Im September wurde die Energiesparte abgespalten und an die Börse gebracht. Das durch die Abspaltung entstandene Unternehmen mit gut 90.000 Mitarbeitern meldete bei seiner ersten eigenen Bilanz unlängst einen Verlust von 1,9 Milliarden Euro für das abgeschlossene Geschäftsjahr. Bis wann Siemens Energy unterm Strich profitabel sein wird, blieb offen.
Auch die Siemens-Antriebssparte Flender verkaufte Kaeser in den vergangenen Monaten - für zwei Milliarden Euro. Schon 2018 war die Medizintechniktochter Siemens Healthineers an die Börse gekommen. Und die Spatzen pfeifen es von den Dächern, dass Siemens aus dem Gemeinschaftsunternehmen mit dem französischen Autozulieferer Valeo, das sich um Elektroautos dreht, aussteigen könnte.
Valeo Siemens mit Sitz in Erlangen baut Komponenten für Elektroautos und Hybridfahrzeuge, eigentlich ein Geschäft mit Zukunft, sollte man meinen. Jetzt musste Siemens aber fast eine halbe Milliarde Euro auf das Gemeinschaftsunternehmen abschreiben. Das Joint Venture schreibt seit seiner Gründung 2016 Verluste, in Medienberichten hatte es schon Anfang des Jahres geheißen, Siemens werde seine Anteile an dem Unternehmen mit rund 2500 Mitarbeitern bis Ende 2021 an Valeo abgeben. Dazu äußerte sich das Unternehmen jetzt nicht.
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"Undurchsichtiges Konglomerat"
Wohl aber lobte sich der scheidende Chef selbst: Nach den Abgängen diverser Sparten sei "das neue Siemens hervorragend aufgestellt, um die gewaltige industrielle Transformation zu gestalten", sagte Kaeser. "Wir haben jetzt Zahlen vorgelegt, die schwerlich zu toppen sind“, fügte er gegenüber DW hinzu. Die Siemens-Erträge entsprächen "in etwa dem Niveau vor der Pandemie".
"Der Übergang von einem schwer berechenbaren und undurchsichtigen Konglomerat zu einem fokussierten und transparenteren Unternehmen mit einer klaren Struktur von Verantwortung und Verantwortlichkeit war dringend notwendig", hatte Kaeser bei der Bilanzvorstellung laut Redetext eingeräumt. Im Februar 2021 nimmt er endgültig seinen Hut.
Ziemlich viel Transformation für ein 173 Jahres altes Unternehmen, das im September rund 293.000 Menschen weltweit beschäftigte. Und der Umbau geht weiter. Man habe es nun statt mit einem "Konglomerat" mit einem "fokussierten Technologieunternehmen" zu tun, formulierte auch Kaesers Nachfolger Roland Busch, der bereits seit Anfang Oktober die Fäden zieht. Die neue Siemens AG präsentiert sich offiziell als Konzern, der "schwerpunktmäßig auf den Gebieten intelligente Infrastruktur bei Gebäuden und dezentralen Energiesystemen sowie Automatisierung und Digitalisierung in der Prozess- und Fertigungsindustrie" aktiv ist.
Die größten Zuwächse erwartet Siemens in der Zugsparte Mobility, die auf einem großen Auftragsbestand sitzt, aber die geringsten Margen aufweist. Die Sparte Intelligent Traffic Systems, die mit Verkehrssteuerungssystemen für Straßen und Städte 600 Millionen Euro umsetzt, soll ausgegliedert werden. Ein Verkauf sei aber nicht geplant, betonte ein Sprecher.
Siemens: Vom Zeigertelegrafen zum Internet der Dinge
Vor 200 Jahren wurde der Siemens-Gründer Werner von Siemens geboren. Von Industrierobotern und vernetzten Autos hat der Erfinder damals wohl kaum geträumt. Eine Zeitreise durch die Unternehmensgeschichte in Bildern.
Bild: picture-alliance/dpa/J. Stratenschulte
Alles begann mit dem Zeigertelegrafen
Hiermit fing alles an: 1846 und 1847 baut Werner Siemens seinen ersten Zeigertelegrafen, gewissermaßen der Vorläufer des Faxgeräts. Um ihn in Serie herstellen zu können, gründet der Erfinder zusammen mit dem Feinmechaniker Johann Georg Halske die "Telegraphen-Bauanstalt von Siemens & Halske". In einer Berliner Hinterhauswerkstatt fertigen zehn Handwerker die ersten Zeigertelegrafen.
Bild: Siemens AG
Aus der Werkstatt in die Fabrik
In den folgenden Jahrzehnten wird aus dem Handwerksbetrieb eine Fabrik mit normierter Serienfertigung. Siemens & Halske baut Dampfmaschinen und entwickelt den ersten Generator. Die Entdeckung des elektrodynamischen Prinzips gilt als eine der wichtigsten Leistungen Siemens: Er schuf damit die Voraussetzung, Strom in größerem Umfang zu erzeugen.
Bild: Siemens AG
Ferngespräche in die USA
1864 scheitert die Verlegung eines Seekabels durch das Mittelmeer, was dem Unternehmen empfindliche Verluste beschert. 1874/75 verlegen die Siemens-Brüder Werner, William und Carl mit Hilfe des eigens gebauten Kabeldampfers Faraday dann aber erfolgreich ein Telegrafenkabel zwischen Europa und den USA - weitere Transatlantik-Kabel folgen.
Bild: Siemens AG
Vorreiter bei der E-Mobilität
Auf der Berliner Gewerbeausstellung 1879 präsentiert Siemens & Halske die erste elektrische Eisenbahn der Welt mit Fremdstromversorgung. Es folgt die erste elektrische Straßenbahn (Bild), die im Jahr 1881 in Lichterfelde bei Berlin den Betrieb aufnimmt. Auch der erste Vorläufer des modernen Oberleitungsbusses stammt von Siemens.
Bild: picture alliance/akg-images
Unternehmer mit sozialer Agenda
Neben seinen technischen Innovationen und seinem Unternehmergeist macht sich Werner Siemens (seit 1888 "von Siemens") auch mit sozialpolitischen Initiativen einen Namen. 1872 etabliert er eine Pension-, Witwen- und Waisenkasse als betriebliche Altersversorgung. 1890 scheidet er offiziell aus dem Geschäft aus. Zwei Jahre später erliegt von Siemens im Alter von 75 Jahren einer Lungenentzündung.
Bild: Getty Images
Ein neuer Stadtteil entsteht
Die Firma wird derweil größer und größer: Mit dem Ziel, die Expansion am Traditionsstandort abzusichern, erwirbt Siemens & Halske 1897 ein nahezu unbesiedeltes Gelände nordwestlich von Berlin. Nach und nach werden hier alle betrieblichen Aktivitäten räumlich konzentriert und Werkswohnungen gebaut. Bis 1914 entsteht ein völlig neuer Stadtteil - die "Siemenssstadt".
Bild: Siemens AG
Zwangsarbeit im Siemenswerk
Während des Zweiten Weltkriegs beschäftigt Siemens auch Zwangsarbeiter und KZ-Häftlinge in seinen Werken. Im Siemenslager Ravensbrück setzt das Unternehmen tausende weibliche Häftlinge zum Wickeln von Spulen und zum Bau von Telefonen ein. Nach dem Krieg sind die meisten Gebäude und Werksanlagen zerstört, das Firmen-Vermögen wird konfisziert.
Bild: Dr. Karl-Heinz Hochhaus
Umzug nach München
Teile der Unternehmensführung werden noch im Februar 1945 nach München, Mülheim a.d. Ruhr und Hof verlagert. Siemens & Halske bekommt den Hauptsitz in München, Berlin bleibt zweiter Firmensitz. Zum ersten Oktober 1966 wird die Siemens Aktiengesellschaft gegründet.
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Mehr Produkte, mehr Fabriken, mehr Länder
Turbinen, Automatisierungstechnik, Eisenbahnen, Kraftwerke, private Kommunikationssysteme, Medizintechnik, Waschmaschinen - es gibt kaum etwas, das Siemens nicht baut. Anfang der 1980er produziert das Unternehmen bereits in 37 Ländern. In den 1990er-Jahren lag der Anteil der nicht-deutschen Konzernumsätze bei zwei Drittel.
Bild: picture-alliance/dpa/D. Gust
Untreue, Bestechung, schwarzer Kassen
2006 fliegt ein schwerwiegender Korruptionsskandal bei Siemens auf: Über Jahre sollen rund 1,3 Milliarden Euro in dunkle Kanäle geschleust worden sein, um lukrative Auslandsaufträge zu ergattern. Den Elektrokonzern kostet die Aufarbeitung 2,5 Milliarden Euro. Etliche Beteiligte verlieren ihren Job; auch die Führungsspitze wird ausgetauscht.
Bild: picture-alliance/dpa
Radikaler Umbau
Im Mai 2014 stellt der neue Konzernchef Joe Kaeser seine Pläne für einen radikalen Konzernumbau vor. Die Aufteilung des Geschäfts in Sektoren wird aufgehoben, um den Konzern schlanker und wettbewerbsfähiger zu machen. Siemens soll auf Elektrifizierung, Automatisierung und Digitalisierung ausgerichtet werden. Durch den Umbau verlieren Tausende ihren Arbeitsplatz.
Bild: picture-alliance/dpa
Milliardenaufträge und Übernahme-Poker
Mehr als sechs Milliarden Euro zahlt die Deutsche Bahn Siemens für den Bau der neuen ICE-Flotte - der bis dahin größte Auftrag in der Konzerngeschichte. Ähnlich viel Geld gibt es nur von Ägypten, für das Siemens momentan das größte Gaskraftwerk der Welt baut. 2014 will Siemens den französischen Konkurrenten Alstom übernehmen, doch der entscheidet sich für das Angebot von General Electric.
Bild: picture-alliance/dpa
Vernetzt in die Zukunft
Industrie 4.0 und das "Internet der Dinge" versprechen eine intelligentere und weltweite Vernetzung von Maschinen, Lagersystemen und Betriebsmitteln. Die zunehmende Digitalisierung und Vernetzung verändert die komplette industrielle Produktionskette - eine neue Herausforderung für den Siemens-Konzern.