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Politik

Freunde und Sündenböcke

Frank Sieren
15. April 2020

Aus Furcht vor einer zweiten Infektionswelle stehen Schwarze in China unter Generalverdacht. Obwohl Afrika weit oben auf der politischen Agenda steht, hat auch China ein latentes Rassismusproblem, meint Frank Sieren.

Afrikaner in China Guangzhou
Viele Afrikaner sind als Händler in ChinaBild: picture-alliance/Wang kai sh/Imaginechina

In China liegen nach dem Abflauen der Virus-Epidemie aus  Angst vor einer zweiten Infektionswelle noch immer die Nerven blank. Nachdem in der südchinesischen Industriemetropole Guangzhou bei über 100 aus Afrika stammenden Menschen Coronavirus-Infektionen bestätigt wurden, wurde die ausländische Community der Stadt offenbar der Hautfarbe nach unter Generalverdacht gestellt. Afrikaner berichten, dass ihnen der Zugang zu Hotels und Restaurants verwehrt worden sei. Andere erzählen gar von Wohnungskündigungen und staatlicher Zwangsquarantäne, obwohl sie nicht zu irgendeiner Risikogruppe gehörten.

Rund 4500 Afrikaner leben nach offiziellen Angaben in der Hauptstadt der Provinz Guangdong. Inoffizielle Schätzungen gehen von einer viel höheren Ziffer aus. Denn eine große Zahl Afrikaner lassen ihr Visum auslaufen und tauchen unter, weil sie nicht zurückwollen. Aus Freundschaft zu Afrika wurden die Illegalen in Guangzhou nicht ganz so streng verfolgt wie im Rest des Landes. Viele arbeiten im Exporthandel.

Einweisung in die Technik für Lokomotivführerinnen aus Kenia durch einen Vertreter des chinesischen HerstellersBild: picture-alliance/Xinhua/S. Ruibo

Nur wenige "importierte" Fälle

Wegen dieser Dunkelziffer befürchten nun viele Chinesen in der Stadt, dass es in Wahrheit viel mehr Kranke gibt. Das Argument ist nicht ganz von der Hand zu weisen. Denn nur die offiziell erfassten Afrikaner können auch getestet werden. Das darf jedoch Rassismus nicht Tür und Tor öffnen, und eine Stimmung entstehen lassen, in der die Fakten nicht mehr durchdringen: So sind laut Stand vom Montag 111 Afrikaner als infiziert gemeldet worden. Nur 19 der Fälle sind sogenannte "importierte Fälle", also solche, die bereits infiziert eingereist sind. Auf nationaler Ebene gehen 90 Prozent der zuletzt "eingeschleppten" Coronavirus-Fälle auf heimgekehrte Chinesen zurück und nicht etwa auf Ausländer. In Guangzhou ist dieses Verhältnis ein wenig ungünstiger, aber im Trend das gleiche: Die große Mehrheit der importierten Fälle geht auf Chinesen zurück. Dennoch kann die Stadtregierung nicht verhindern, dass viele Menschen in Guangzhou glauben, die Afrikaner seien schuld.

DW-Kolumnist Frank SierenBild: picture-alliance/dpa/M. Tirl

Dass das US-Außenministerium die Ereignisse in Guangzhou nun als "Fremdenfeindlichkeit" verurteilt und erklärt, sie seien "eine traurige Erinnerung daran, wie hohl die Partnerschaft zwischen der Volksrepublik China und Afrika in Wirklichkeit ist", ist angesichts des strukturellen Rassismus in den USA und der Tatsache, dass vor allem die ärmere schwarze Bevölkerung in Städten wie Chicago an dem Virus stirbt, schon ein wenig seltsam. Der chinesische Außenminister Wang Yi hält dann auch stramm dagegen: Die chinesisch-afrikanischen Beziehungen seien "stabil wie Stein". Es habe keine Diskriminierung der "afrikanischen Brüder" gegeben. China behandle "alle Ausländer gleich". 

Gleichzeitig jedoch hat sich Peking nach Protesten der Afrikanischen Union (AU) für "einzelne Missverständnisse und unverhältnismäßige Aktionen" entschuldigt. Außenstaatssekretär Chen Xiaodong betont wiederum, dass man die Sorgen der afrikanischen Diplomaten, "sehr ernst nimmt" und die Behörden die Lage in Guangzhou "verbessern" werden. Durchaus ein Eingeständnis, dass der Umgang mit den Afrikanern nicht so neutral war, wie er hätte sein müssen. Gleichzeitig zeigt es, wie wichtig Peking die gute Partnerschaft zu den afrikanischen Ländern ist. Sonst hätte Peking die Stadtregierung Guangzhous nicht angewiesen, ihre Maßnahmen umgehend zu entspannen: Afrikaner, die nicht infiziert sind oder in der Umgebung von Infizierten leben, werden nun genauso in Ruhe gelassen, wie Menschen anderer Hautfarbe auch. Und es werden direkte Kommunikationskanäle zu den afrikanischen Konsulaten aufgebaut, damit neue Beschwerden schneller bearbeitet werden können.

Ingenieure aus China beaufsichtigen viele Baustellen in AfrikaBild: AP

Der latente Rassismus der Chinesen

Viel schwieriger abzustellen ist jedoch der latente Rassismus in der Bevölkerung. Staatliche Kampagnen oder Medienberichte gegen Fremdenfeindlichkeit wären hier nötig. Die Partei ist jedoch in dieser Frage hin- und hergerissen. Nach wie vor gilt Rassismus, wie einst in der DDR, vor allem als ein westliches Problem - gewissermaßen eine Folge imperialistischen Kolonialherrentums, das China allenfalls als Opfer betrifft. Doch jeder, der sich schon einmal mit dunkelhäutigen Menschen unterhalten hat, die längere Zeit in China gelebt haben, weiß: Der Alltag sieht anders aus. Schwarze sind vielen Chinesen nicht geheuer. Und das Problem wird eher größer: Denn je enger die Beziehungen zwischen China und Ländern Afrikas werden, desto mehr Afrikaner kommen nach China. Nicht nur um Handel zu treiben, sondern auch zur Ausbildung. Knapp 90.000 Afrikaner studieren derzeit in China, viele mit einem Stipendium der chinesischen Regierung.   

Wie es mit  der Stimmung gegen Schwarze in der Bevölkerung bestellt ist, konnte man unter anderem in der staatlichen TV-Neujahrs-Gala vor zwei Jahren beobachten, der Fernsehsendung mit den traditionell höchsten Einschaltquoten: Die Macher steckten einen schwarzen Schauspieler in ein Affenkostüm. Eine Chinesin mit schwarz bemaltem Gesicht durfte gleichzeitig die "Mama Afrika" mimen. Schon damals hagelte es Beschwerden aus afrikanischen Ländern. Und immer wieder hört man von Ausfällen chinesischer Arbeiter gegenüber afrikanischen Kollegen. Nun zeigt sich dies eben auch im Kampf gegen das Coronavirus in der afrikanischen Gemeinschaft in Guangzhou. Klarer denn je ist: Obwohl Afrika hier so hoch auf der politischen Agenda steht wie in keinem anderen Land, hat China, wie viele andere Länder auch, ein Rassismusproblem. Diese Tatsache müsste der Staat sich noch deutlicher als bisher eingestehen und durch Aufklärung dagegenhalten.     

Unser Kolumnist Frank Sieren lebt seit über zwanzig Jahren in Peking.

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