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Politik

Sierens China: An einem Strang

Frank Sieren
15. November 2018

Beim ASEAN-Gipfel in Singapur versucht Peking die südostasiatischen Staaten enger an sich zu binden. Auch Europas Stellung im globalen Machtgefüge steht dabei auf dem Spiel, meint Frank Sieren.

Gruppenbilder aus dem ASEAN-Gipfel in Singapur
Bild: Laily Rachev/Biro Pers Setpres

Willst du gelten, mach dich selten? Zum ASEAN-Gipfel in Singapur schickte Donald Trump dieses Jahr nur seinen Vize. Vielleicht sitzen ihm die Erinnerungen an das vergangene Jahr noch zu tief in den Knochen: Damals machte der US-Präsident rund um das Treffen seine bislang längste Auslandsreise. Nach zwölf Tagen kam er nicht nur mit leeren Händen zurück, sondern hinterließ auf der Weltbühne auch den Eindruck, dass Washington keine Strategie hat, um Chinas Aufstieg und der daraus resultierenden globalen Machtverschiebung etwas Substanzielles entgegenzusetzen.

Zum Gipfel der zehn Staaten des Verbands Südostasiatischer Nationen kamen neben Mike Pence auch Chinas Premier Li Keqiang, der russische Präsident Wladimir Putin, Indiens Premier Narendra Modi und Japans Regierungschef Shinzo Abe. Nicht dabei waren die Staaten Westeuropas. Sie schlossen bereits Mitte Oktober beim Asien-Europa-Gipfel in Brüssel ein Freihandelsabkommen mit Singapur - das erste wirkliche Freihandelsabkommen zwischen der EU und einem ASEAN-Staat. Dabei wäre es für die Export-Nation Deutschland und die Rolle der EU in der Welt sehr wichtig, sich enger mit den ASEAN-Ländern zu vernetzen. Die lang und zäh vorbereitete Vereinbarung mit dem Stadtstaat - die ersten Gespräche begannen bereits 2009 - kann deswegen nur ein Anfang sein

DW-Kolumnist Frank SierenBild: picture-alliance/dpa/M. Tirl

ASEAN - einer der größten Wirtschaftsräume

Die südostasiatische Staatengemeinschaft bildet mit 635 Millionen Einwohnern inzwischen einen Binnenmarkt, der schon heute der sechstgrößte Wirtschaftsraum der Welt ist - mit einem jährlichen Wachstum von rund fünf Prozent. Bis 2030 will sie zur viertgrößten globalen Volkswirtschaft aufsteigen - nach den USA, China und der EU. Neben dem kleinen aber wirtschaftlich bedeutsamen Powerhouse Singapur gehören auch das bevölkerungsreichste muslimische Land Indonesien sowie Malaysia, Thailand, die Philippinen, Vietnam, Myanmar, Brunei, Laos und Kambodscha dazu. Chinas Aufstieg zur bedeutsamsten Regionalmacht betrachten die ASEAN-Staaten je nach Wetterlage mal als Chance und mal als Bedrohung. Peking ergreift anders als Europa jede Chance - auch wenn den Politikern manchmal der Wind ins Gesicht bläst. Dazu gehört auch, die Verhandlungen über eine Regionale Wirtschaftspartnerschaft (RCEP) weiter voranzutreiben. Das stark von Peking geförderte Abkommen soll die ASEAN-Länder mit Japan, Südkorea, China, Indien, Australien und Neuseeland zu einem riesigen Freihandelsblock vereinen, der dann zusammen annähernd ein Drittel des globalen BIP erwirtschaftet.

Ursprünglich war RCEP von Peking als Antwort auf das Pazifik-Freihandelsabkommen TPP konzipiert worden, von dem Washington die Volksrepublik ausgeschlossen hatte. Trump sägte TPP jedoch gleich zu Beginn seiner Amtszeit ab. Seitdem haben sich die Machtverhältnisse zugunsten Pekings verschoben. Den Vertrauensverlust, den Trump in Asien mit der Aufkündigung von TPP auslöste, hat er bis heute nicht wieder gutmachen können und auch nicht wollen. Im Gegenteil: Sein Handelskrieg treibt die ASEAN-Staaten immer stärker in die Arme Pekings. Die Volksrepublik und die USA sind die wichtigsten Abnehmer der südostasiatischen Exporte. Leiden die chinesischen und amerikanischen Volkswirtschaften wegen des Handelskriegs, dann leiden auch die ASEAN-Staaten. Andererseits ergeben sich auch Chancen, indem zum Beispiel immer mehr chinesische Unternehmen ihre Produktion über Tochterfirmen in die Nachbarländer verlegen, um US-Strafzöllen zu entgehen. "Wir wollen die Herausforderungen durch Unilateralismus und Protektionismus angehen", erklärte Chinas Vizeaußenminister Chen Xiaodong zu Beginn des Gipfels. Das RCEP-Abkommen werde die regionale Integration fördern und ein offenes, regelbasiertes Handelssystem schaffen.

Bilaterale Gespräche zwischen den USA und Indonesien am Rande des ASEAN-GipfelsBild: Laily Rachev/Biro Pers Setpres

Die USA setzen vor allem auf militärische Stärke

Washingtons Strategie für den indo-pazifischen Raum sieht derweil vor, mit den Verbündeten Japan und Australien ein Gegengewicht zum immer mächtiger werdenden China in Position zu bringen. Auch Chinas Erzrivale Indien soll dabei eine bedeutende Rolle spielen. Ob sich Delhi so einfach zum Erfüllungsgehilfen der USA machen lässt, ist jedoch fraglich. Zumal die USA nach wie vor auf eine starke militärische Präsenz im Indo-Pazifik-Raum setzen. Washington kündigte kürzlich an, dort rund 300 Millionen US-Dollar für militärische und militärpolitische Zwecke investieren zu wollen. Für Infrastruktur- und Konnektivitätsprojekte stellen die USA dagegen nur 113 Millionen US-Dollar bereit. Verglichen mit den immensen Summen, die Peking vor Ort für seine "Neue Seidenstraße" ausgibt, ist das verschwindend gering. Die Idee der Trump-Administration: Sie will über die lange anhaltenden Territorialstreitigkeiten im Südchinesischen Meer einen Keil zwischen die ASEAN-Anrainerstaaten und China schlagen. Das wird wahrscheinlich nicht gelingen. 

Brüssel jedenfalls wäre gut beraten, seine Partnerschaften in Asien auszubauen und langfristig zu einem umfassenden EU-Asean-Abkommen zu vereinen. Noch hat Europa Technologien und Produkte zu bieten, die in Asien gesucht werden. Noch würden die Europäer mit offenen Armen empfangen. Denn niemand in Asien will alles auf die China-Karte setzen. Doch dazu müsste Brüssel über seinen Schatten springen und auch zu Kompromissen bereit sein. In Thailand zum Beispiel liegt das Freihandelsabkommen auf Eis, weil die EU bisher nicht mit der Militärregierung verhandeln wollte. Nun gibt es Überlegungen, diese Haltung zu überdenken, nachdem Peking und Bangkok sich immer mehr annähern. Die EU muss in Asien noch mehr als bisher auf Realpolitik umstellen.

Unser Kolumnist Frank Sieren lebt seit über 20 Jahren in Peking.

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