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Politik

Sierens China: Ans Messer geliefert

Frank Sieren
10. Oktober 2018

Zuerst Starschauspielerin Fan Bingbing, jetzt Interpol-Chef Meng Hongwei: Pekings Verhaftungen mögen in China als klare Signale verstanden werden. International geben sie kein gutes Bild ab, meint Frank Sieren.

China Interpol Generalversammlung
Vor ziemlich genau einem Jahr war Peking Gastgeber der Generalversammlung von Interpol. Meng Hongwei durfte noch direkt links neben Staatspräsident Xi Jinping (Bildmitte) stehenBild: Reuters/Lintao Zhang

Viele haben die Nase gerümpft, als Meng Hongwei im November 2016 als erster Chinese zum Präsidenten von Interpol ernannt wurde, der wichtigsten internationalen Polizeiorganisation der Welt. Als hochrangiger Regierungsvertreter der Kommunistischen Partei, der zu Hause noch das Amt des Vizeministers für öffentliche Sicherheit innehatte, stand er unter Generalverdacht. Amnesty International unterstellte Peking damals etwa, über den eigenen Mann an der Spitze von Interpol in Zukunft verstärkt nach chinesischen Dissidenten und Aktivisten fahnden zu wollen, was allerdings intern aufgrund der Verfahren kaum möglich ist. Die Befürworter argumentierten zu Recht, dass China in der Welt so wichtig ist, dass auch ein Chinese als Chef der internationalen Polizeibehörde möglich sein muss.

Um die Vorwürfe zu entkräften, tat Meng von Anfang an einiges, um den globalen Einfluss von Interpol weiter auszubauen, alle Interpol-Mitglieder stärker zu integrieren und die Polizei in Entwicklungsländern besser zu schulen. "Interpol muss die Zentrale für die Bekämpfung der globalen Kriminalität werden", erklärte der neu ernannte Präsident damals.

Spurloses Verschwinden

Ende September verschwand Meng einfach. Über zwei Wochen fehlte jede Spur von ihm. Erst am Montag erklärte das chinesische Sicherheitsministerium nun, man ermittle gegen ihn wegen "Verdachts auf Gesetzesverstöße". Offenbar geht es um Bestechungsgelder. Die Vorwürfe sind jedoch schwammig und intransparent - wie oft in solchen Fällen.

Grace Meng beantwortet Journalistenfragen in LyonBild: Getty Images/J.Pachoud

Weder Interpol-Generalsekretär Jürgen Stock, noch die Ehefrau Mengs, die ihren Mann bei der französischen Polizei als vermisst gemeldet hatte, bekamen Auskunft. Sie gehe davon aus, dass er in Gefahr sei, erklärte die aufgewühlte Grace Meng in einer Pressekonferenz am Sonntag mit zitternder Stimme. Das letzte Lebenszeichen ihres Mannes hatte sie von ihm via Messenger-App bekommen: Ein Emoji-Bildchen in Form eines gezückten Messers.

Die Unschuldsvermutung spielt in China eine geringere Rolle. Ein von der Polizei Verhafteter hat weniger Rechte, und die Rechte, die er hat, kann er nicht immer durchsetzen. Ohne Zugang zu Anwälten und Angehörigen festgehalten zu werden, gehört leider zur üblichen Praxis, der die Bevölkerung allenfalls mit Galgenhumor begegnen kann. Nach Mengs Verschwinden hatte in chinesischen Internet-Foren bereits der Witz die Runde gemacht, er könnte mit Fan Bingbing durchgebrannt sein.

Fan Bingbing auf dem Roten Teppich bei den Fimfestspielen in Cannes, bei denen sie inzwischen auch in der Jury sitzt Bild: Reuters/S. Mahe

Der Fall Fan Bingbing

Die Starschauspielerin war im Juli ebenfalls spurlos verschwunden. Ganze drei Monate hörte man nichts von ihr, keine Einträge in den sozialen Netzwerken und auch keine öffentlichen Auftritte. Anfang Oktober lösten die Behörden dann das Rätsel: Die Schauspielerin saß wegen Steuerhinterziehung in Untersuchungshaft. Über den chinesischen Kurznachrichtendienst Weibo, wo ihr 62 Millionen Fans folgen, leistete sie Abbitte: "Ich schäme mich zutiefst und fühle mich schuldig für das, was ich getan habe." Sie akzeptiere die Bestrafung und werde ihr Bestes tun, die ausstehenden 100 Millionen Dollar zu bezahlen. Damit ist sie immerhin besser weggekommen, als der Bayern München-Präsident Uli Hoeneß, der zu dreieinhalb Jahren Gefängnis verurteilt wurde und die Hälfte davon absitzen musste. Allerdings war das Verfahren von Hoeneß um einiges transparenter.

Bayern München-Präsident Uli HoeneßBild: Getty Images/Bongarts/L. Preiss

Kein Zweifel: Innerhalb von Chinas Landesgrenzen kommt die harte Hand der Regierung überwiegend gut an. Vor allem, weil Xi Jinping nicht zurückschreckt, auch Top-Politiker anzuklagen. Kritiker hingegen werfen ihm vor, er nutze die Intransparenz für sein eigenes politisches Machtspiel. Nun kommt noch ein berechtigter Vorwurf hinzu: Der fehlende Respekt vor internationalen Institutionen. Die Frau von Meng im Unklaren zu lassen, was mit ihrem Mann passiert, so dass sie sich gezwungen sieht, sich an die Öffentlichkeit zu wenden, könnte man zur Not noch als interne Angelegenheit Chinas abtun. Aber die Weltpolizeibehörde über eine Woche darüber im Dunkeln zu lassen, was mit ihrem Präsidenten passiert ist, ist eine unverhohlene Brüskierung dieser Institution und Wasser auf die Mühlen derjenigen, die sagen, es sei noch viel zu früh gewesen für einen Chinesen als Interpol-Chef. Mit dieser Aktion hat Peking seinem internationalen Ansehen geschadet oder schlimmer noch der Welt signalisiert, dass Peking die internationalen Spielregeln im Zweifel egal sind und China einfach seinen Weg geht.

DW-Kolumnist Frank SierenBild: picture-alliance/dpa/M. Tirl

Wer kontrolliert die Kontrolleure?

Seit im Frühjahr eine neue staatliche Aufsichtskommission auf den Weg gebracht wurde, kann Xi seinen Antikorruptionskampf zudem noch effektiver durchziehen als zuvor. Die neu geschaffene Behörde, die unabhängig von Gerichten direkt an das Zentralkomitee der Partei berichtet, hat noch umfangreichere Befugnisse als die bisher damit betraute Disziplinarkommission. Menschen ohne Prozess unter "staatliche Aufsicht" zu stellen, wird dadurch noch einfacher. Wer die Überwacher überwacht, ist dabei nicht ganz klar. Gleichzeitig öffnen Pekings undurchsichtige Methoden natürlich Tor und Tür für Verschwörungstheorien. Was Meng vorgeworfen wird, wird die Öffentlichkeit irgendwann erfahren. Ob die Vorwürfe stimmen, wird jedoch wahrscheinlich auch in diesem Fall nicht nachvollziehbar sein.

Lu Kang, der Sprecher des chinesischen Außenministeriums, erklärte eilfertig, dass Chinas Bereitschaft an der internationalen Polizeiarbeit teilzunehmen durch Mengs "Sturz" nicht beeinträchtigt werde. "Als ständiges Mitglied im UN-Sicherheitsrat und als verantwortungsvolle Großmacht wird China weiterhin eine angemessene Rolle in den internationalen Beziehungen spielen", so Lu. Dass die Bereitschaft Chinas nicht beeinträchtigt wurde, mag ja sein. Die Bereitschaft im Westen ist dagegen erheblich gesunken.

Unser Kolumnist Frank Sieren lebt seit über 20 Jahren in Peking.