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Politik

Der Spielraum wird enger

Frank Sieren
12. Juni 2019

Hongkong gehört unzweifelhaft zu China. Menschen jedoch aus einem ausgereiften angelsächsischen Rechtssystem in ein unfertiges chinesisches Rechtsystem auszuliefern, ist keine gute Idee, meint Frank Sieren.

Hong Kong - Demonstration gegen das Zulassen der Auslieferungen nach China
"Keine Auslieferungen nach China" heißt es auf dem tausendfach gezeigten ProtestplakatBild: picture-alliance/AP PHoto/V. Yu

Es war der größte Massenprotest seit 16 Jahren: Hunderttausende Demonstranten haben am Wochenende die Straßen Hongkongs geflutet. In der Nacht zum Montag kamen bereits Pfefferspray und Schlagstöcke zum Einsatz. Barrikaden wurden gestürmt. Auf beiden Seiten gab es Verletzte. Eine riskante Eskalationsspirale, die an die "Regenschirm-Revolution" von 2014 denken lässt. Damals brach sich die Protestbewegung mit der Forderung nach einem direktem Wahlrecht Bahn, die 79 Tage lang Hongkongs Finanz- und Regierungsviertel besetzt hielt.

Auch am Mittwoch waren die Straßen in Hongkong wieder voller DemonstrantenBild: Reuters/T. Siu

Ein ausgereiftes Rechtssystem als Stärke

Diesmal geht es um ein geplantes Gesetz, das es erleichtern soll, Menschen aus Hongkong nach Festlandchina auszuliefern. Die Demonstranten fürchten, dass so rechtlicher Willkür Tür und Tor geöffnet wird. Auch Dissidenten können dann leichter festgenommen und nach China überstellt werden - in ein Land also, in dem die Justiz noch längst nicht so unabhängig agiert wie im Westen, immer wieder Geständnisse erzwungen werden, Zugang zu Anwälten nicht in jedem Fall garantiert ist und im Gegensatz zu Hongkong weiterhin auch die Todesstrafe gilt. Eine von Hongkongs großen Stärken hingegen ist, dass es dank der Briten eines der ausgereiftesten Rechtssysteme in Asien hat.

DW-Kolumnist Frank SierenBild: picture-alliance/dpa/M. Tirl

Hongkongs Regierungschefin Carrie Lam hält dagegen: Es würden nur schwere Verbrechen mit einem Strafmaß von sieben Jahren unter das Gesetz fallen. Das ist allerdings ein schwieriger Maßstab in einem Land, in dem für 46 Delikte die Todesstrafe verhängt werden kann. Wie der Rechtsalltag aussieht, zeigt der Fall Gui Minhai: 2015 wurde der in China geborene schwedische Verleger aus dem Urlaub in Thailand nach China verschleppt. Dort sah man den China-kritischen 51-Jährigen dann im Staatsfernsehen ein Video-Geständnis ablegen, in dem er "freiwillig" auf seinen konsularischen Schutz als schwedischer Bürger verzichtete. Auch wegen Korruption gesuchte Konzernchefs wurden bereits in Hongkong verhaftet, obwohl nach örtlichem Recht nichts gegen sie vorlag.

Das Dilemma für Hongkong: Die fraglichen Delinquenten sind womöglich wirklich korrupt oder kriminell und verstecken sich vor dem Zugriff der chinesischen Behörden in der Sonderverwaltungszone. Andererseits erwartet sie im westlichen Sinne kein fairer Prozess in China. Deshalb ist es eigentlich nicht richtig, sie dorthin auszuliefern.

Bisher war es eine Stärke Hongkongs, dass es kein Auslieferungsabkommen mit China hat. Denn der große Reformer Deng Xiaoping hatte der damaligen britischen Premierministerin Margaret Thatcher sein Wort gegeben, dass die britische Kolonie 1997 unter dem Prinzip von "Ein Land, zwei Systeme" an China zurückgegeben werde. Deng garantierte den Briten, dass Hongkong 50 Jahre lang den Status einer Sonderwirtschaftszone behält, die einen kapitalistischen Sonderweg nehmen darf - mit eigener Währung, eigenem Steuersystem und eben auch unabhängiger Justiz. Peking hingegen stellt sich heute auf den Standpunkt, dass Hongkong ein Teil von China ist, und wenn Menschen in China Verbrechen begangen haben, Hongkong sie ausliefern muss. Das sei keine Einmischung in die inneren Angelegenheiten Hongkongs.

Furcht vor Verlust der Autonomie

Doch viele Hongkonger aus unterschiedlichen gesellschaftlichen Schichten gehen auf die Straße, weil sie das anders sehen. Dass es nun so viele von ihnen sind, hat vor allem damit zu tun, dass die Hongkonger um ihre Autonomie fürchten. Ihnen geht es nicht allein um das Auslieferungsgesetz. Sie treibt die Sorge auf die Straße, dass ihnen bald auch noch die Presse- und Versammlungsfreiheit genommen wird - in ihren Augen wesentliche Punkte, die ihre Stadt von jeder anderen beliebigen Metropole auf chinesischem Boden unterscheidet. Dass so viele Menschen auf die Straße gehen, oder - wie am vergangenen 4. Juni - rund 180.000 Bürger in der Innenstadt mit Kerzen der Opfer des Massakers von Tiananmen gedenken, wäre auf dem Festland nach wie vor undenkbar.

Gedenken in Hongkong an das Massaker von Tiananmen am 4. Juni 1989Bild: picture-alliance/AP Photo/K. Cheung

In Hongkong glauben viele Menschen an die Macht der Straße und sie konnten damit ja auch nach der Rückgabe von Hongkong an China Erfolge erzielen: Zuletzt musste die Regierung 2003 nach Massendemonstrationen einlenken. Damals waren rund 500.000 Menschen gegen ein Anti-Aufruhr-Gesetz auf die Straße gegangen. Hongkongs damaliger Regierungschef trat zurück, das Gesetz wurde fallen gelassen.

Doch inzwischen ist China viel mächtiger. Die friedlichen Demonstrationen dürfen zwar ungehindert stattfinden. Dass die Regierung jedoch einlenken wird, ist inzwischen viel unwahrscheinlicher. Diese Haltung  wird den Unmut in Hongkong eher noch wachsen lassen. So züchtet Peking sich geradezu eine mächtige Opposition.

Unser Kolumnist Frank Sieren lebt seit über zwanzig Jahren in Peking.

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