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Politik

Europa steht sich selbst im Weg

Frank Sieren
27. März 2019

Die EU fordert einen einheitlichen, strengen Umgang mit China, während die Mitgliedsstaaten um ihre wirtschaftlichen Vorteile buhlen. Eine gemeinsame Position zu finden, wird so zum Eiertanz, meint Frank Sieren.

Merkel Macron Juncker Jinping in Frankreich
Jean-Claude Juncker, Xi Jinping, Emmanuel Macron und Angela Merkel vor dem Elysee-Palast in ParisBild: Reuters/P. Wojazer

Xi Jinping ist es bei seiner jüngsten Europa-Reise gelungen, zwei Dinge deutlich zu machen: Chinas Stimme wird in der Welt immer wichtiger. Und, weil Peking klug taktiert, ist das Verhältnis der EU zu ihrem zweitgrößten Handelspartner so widersprüchlich wie nie zuvor. Xis Kalkül ist einfach: Er unterzeichnet bilaterale Verträge mit EU-Staaten, die mit Brüssel unzufrieden sind, und verhindert so, dass Brüssel seine Forderungen gegenüber China geschlossen erheben kann.

Italien ist dabei ein neuer Höhepunkt: Es ist die erste große Industrienation in Europa, die ausschert. Regierungschef Giuseppe Conte unterzeichnete im Beisein von Xi ein Abkommen über die Beteiligung seines Landes an Chinas "Neuer Seidenstraße". Gesamtpotenzial gut 20 Milliarden Euro, wie Luigi Di Maio, Vizepremier und Minister für wirtschaftliche Entwicklung, erfreut erklärte. In Berlin sorgte Italiens eigenmächtiger Vorstoß jedoch für Argwohn: "Sollten einige Länder glauben, man kann mit den Chinesen clevere Geschäfte machen, werden sie sich wundern und irgendwann in Abhängigkeiten aufwachen", erklärte etwa er deutsche Außenminister Heiko Maas. Doch Rom ist die Abhängigkeit vom weit entfernten Peking offensichtlich lieber als die von Brüssel.

Vertragsunterzeichnung in Rom: (v. li.) Xi Jinping, He Lifeng, Luigi Di Maio und Guiseppe ConteBild: Getty Images/AFP/A. Pizzoli

Auch Frankreich und Deutschland suchen den eigenen Vorteil

Dass Präsident Emmanuel Macron zu Xis Besuch in Frankreich auch Angela Merkel und EU-Kommissionspräsident Jean-Claude Juncker einlud, hat Europa wenig gebracht, außer dass es ein Zeichen des guten Willens war. "Wir erwarten von unseren großen Partnern, dass sie die Einheit der EU wie auch die Werte, die sie tragen, respektieren", so Macron. Gleichzeitig sahnte er für sein Land gut ab: 14 Kooperationsverträge mit China im Volumen von insgesamt 40 Milliarden Euro kamen zustande. 30 Milliarden immerhin für Airbus, ein europäisches Unternehmen. Die anderen jedoch für Frankreich, und das in durchaus strategischen Bereichen wie der Luft-und Raumfahrttechnik oder bei der Atomenergie. Auch die französische Regierung wischte am Ende die Sorge weg, China könnte die EU technologisch unterwandern.

Berlin hat ebenfalls seine eigene Agenda. Denn deutsche Unternehmen exportierten im vergangenen Jahr Waren im Wert von gut 93 Milliarden Euro in die Volksrepublik. Frankreich brachte es immerhin noch auf 21 Milliarden. Und Rom, das es auf 19 Milliarden brachte, will nun tüchtig aufholen. Merkel sagt zwar, sie fände es besser, wenn man dabei innerhalb der EU "einheitlich agiert". Aber sie weiß natürlich auch, dass vor allem die Länder, die während der Eurokrise zu Sparmaßnahmen und Privatisierungen gezwungen waren, in China heute eher eine Chance als eine Gefahr sehen. Und sie weiß, dass die Versäumnisse beim Ausbau von Häfen, Bahnstrecken oder Straßen die Marktlücke für China erst geschaffen haben. Peking hat daraus sogar ein eigenes politisches Format gestrickt, den "16 plus 1"-Gipfel, der mit großflächigen Investitionen den Einflussbereich Chinas in Osteuropa stetig ausweitet. "Vielleicht haben wir auf dem Balkan Russlands Rolle überschätzt und Chinas Einfluss unterschätzt", erklärte dazu der EU-Erweiterungskommissar Johannes Hahn.

Die eigenen unzufriedenen Mitglieder vergessen

Abgelenkt von der Finanzkrise, dem Brexit und dem bröckelnden transatlantischen Bündnis unter US-Präsident Trump hat Brüssel versäumt, sich um seine unzufriedenen Mitglieder zu kümmern. Nun ist eine gemeinsame China-Strategie schwierig. Und es macht die Lage nicht besser, dass EU-Kommissaren der Wettbewerb in Europa wichtiger ist als die Position Europas gegenüber mächtigen Wettbewerbern wie China. Sonst hätte es nie passieren können, dass Brüssel allen Ernstes den Zusammenschluss der Bahntechnik-Sparten von Siemens und Alstom untersagte, der ein Gegengewicht zu Chinas staatlichem Eisenbahngiganten CRRC hätte bilden können.

DW-Kolumnist Frank SierenBild: picture-alliance/dpa/M. Tirl

Dass in China Staat und Unternehmen Hand in Hand arbeiten - wie immer man dieses Modell auch nennen mag -, hat man in Brüssel inzwischen verstanden. Allenfalls punktuell kann sich Brüssel gegen Peking noch durchsetzen.  Anfang vergangener Woche hat die EU-Kommission eine "gemeinsame Erklärung" vorgelegt, die die Grundlage für den kommenden EU-China-Gipfel am 9. April bilden soll. Darin heißt es, Europas Politik müsse gegenüber China "realistischer, durchsetzungsfähiger und vielfältiger" werden. China sei kein "Entwicklungsland" mehr, sondern ein "strategischer Wettbewerber" und "Systemrivale", der internationale Handelsgesetze einseitig für sich ausnutze. Brüssel will chinesische Investitionen in Zukunft stärker unter die Lupe nehmen, zum Beispiel was die Einhaltung von Umwelt- und Arbeitsstandards betrifft. Das ist selbstbewusst formuliert. Doch es handelt bei dem Papier bislang nur um eine "Diskussionsgrundlage" ohne rechtliche Bindung.

Europa muss schneller werden

Mit erhobenem Zeigefinger und lähmender Bürokratie wird Brüssel unzufriedene Länder wie Ungarn, Griechenland und nun auch Italien jedoch kaum von seiner "gemeinsamen" Linie überzeugen können. Wenn Brüssel gegen China bestehen will, muss es schneller auf Herausforderungen reagieren als bisher und auch mehr Geld in die Hand nehmen. Und es muss Peking deutlich machen, dass ein einiges Europa ein wichtiger Partner sein kann, um gemeinsame Interessen gegen die USA durchzusetzen - zum Beispiel im Freihandel oder im Umgang mit dem Iran oder Huawei, dem weltgrößten Telekom-Netzwerkspezialisten aus China. Die Seidenstraße braucht einen starken Endpunkt, wenn sie funktionieren soll. In diesen Bereichen reichen jedoch Sonntagsreden nicht aus. Verhandlungen und eine dezidierte, gemeinsame politische Agenda könnten Peking überzeugen, dass es mit einem starken Europa besser fährt als mit einem geschwächten.

In Paris bekannten sich nun etwa alle Seiten zu einer Reform der Welthandelsorganisation und zum Pariser Klimaschutzabkommen. Hier stehen sich Brüssel und Peking inzwischen näher als Brüssel und Washington. Aber machen die Verantwortlichen etwas daraus? Nicht wirklich. Eine Zusammenarbeit bedeutet ja nicht, sich komplett von Washington abzuwenden. Es bedeutet nur, dass man jeweils mit dem Partner zusammenarbeitet, mit dem man die eigenen Interessen am besten durchsetzen kann. Das sollte eigentlich selbstverständlich sein, fällt den Europäern aber bislang noch sehr schwer.

Unser Kolumnist Frank Sieren lebt seit über zwanzig Jahren in Peking.

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