Sierens China: "Separatismus" in der vierten Liga
22. November 2017Soviel internationale Aufmerksamkeit hat das Spiel einer Fußballmannschaft aus der deutschen Regionalliga Südwest noch nie bekommen: Bei einem Heimspiel zwischen dem Viertligisten TSV Schott Mainz und der chinesischen U20-Nationalmannschaft kam es am vergangenen Samstag (18.11.) zum Eklat, nachdem sechs von gerade mal 400 Zuschauern auf der Tribüne einige Tibet-Flaggen entrollten. Die chinesischen Spieler unterbrachen das Spiel und verließen den Platz. Ein aufgebrachter Zuschauer versuchte eine der Flaggen an sich zu reißen. Eine Exil-Tibeterin weinte und trocknete sich anschließend mit einem Fahnenzipfel die Tränen. Die Kamerateams hielten drauf.
Mombach macht Weltschlagzeilen
Über den Protest auf der Bezirkssportanlage Mombach berichteten Nachrichtenportale von England bis Indien. Richtig Aufwind hat die Geschichte jedoch erst bekommen, als das chinesische Außenministerium tatsächlich davon sprach, dass man gegen jedes Land und jedes Individuum sei, das "separatistische, antichinesische und terroristische Aktivitäten" unterstütze.
Das ist schon ein wenig unverhältnismäßig. Und man kann dann nur kühl entgegensetzen, dass in Deutschland Meinungsfreiheit gilt und deshalb Tibetfahnen im Stadion vielleicht als unpassend empfunden werden können, aber eben nicht verboten sind. Einen Punkt hätte Peking allenfalls machen können, wenn man sich auf den Standpunkt gestellt hätte, dass es gut sei, wenn der Sport ein politikfreier Raum bliebe.
Schlappner mal als Diplomat
Die Reaktion war auch deshalb überzogen, weil die Fahnen ja dann doch wieder eingerollt wurden und das Spiel weiter ging. Zuvor hatte Trainer-Legende Klaus Schlappner, einst Coach der chinesischen Nationalmannschaft und in China noch heute bekannt wie ein bunter Hund, mäßigend auf die Flaggenhalter eingewirkt - obwohl die Diplomatie ja bekanntermaßen nicht zu seinen größten Stärken zählt.
Einige der aus Stuttgart angereisten Mitglieder der „Tibet-Initiative Deutschland" hatten mit der Reaktion der Spieler nicht gerechnet, bekamen Angst vor der eigenen Courage. Ein beteiligtes Mitglied äußerte gegenüber der "Stuttgarter Zeitung", in Zukunft auf solche Aktionen verzichten zu wollen. "Ich bin kein Freund davon, noch mehr Öl ins Feuer zu gießen", sagte der 65-Jährige, der aus Angst lieber anonym bleiben wollte.
Pekings Reaktion hat den Mann eingeschüchtert, aber den eigenen Interessen mehr geschadet als genützt. Denn die Äußerungen aus dem Außenministerium haben der Episode erst zu ihrer medialen Prominenz verholfen. Und sie waren Wasser auf die Mühlen der Kritiker der Chinapolitik des Deutschen Fußball-Bundes.
Von der Käuflichkeit des DFB
Die sahen in der deutsch-chinesischen Freundschaftsspielreihe schon vor dem ersten Anpfiff in Mainz vor allem einen Beweis für die Käuflichkeit des DFB, der nun auch die Amateure kommerziell ausbeute, weil er Übertragungsrechte nach China verhökere. Jeder Verein, der an einem der spielfreien Wochenenden gegen die chinesische Auswahl antritt, bekommt zum Ausgleich 15.000 Euro. Für die Viertligisten der dafür ausgewählten Regionalliga Südwest ist das eine Menge Geld. Drei der 19 Clubs weigerten sich an den Testspielen teilzunehmen.
Bereits im Sommer hatten Fans in einem offenen Brief die Kooperation mit einem "menschenverachtenden Regime" China angeprangert. "Wir sind nicht glücklich über die Vorkommnisse" sagte DFB-Vizepräsident Ronny Zimmermann, berief sich allerdings auf die Meinungsfreiheit. Für das nächste Spiel empfahl er der chinesischen Delegation gelassener mit solchen Aktionen umzugehen. Das ist natürlich leicht gesagt, wenn das Außenministerium sich so aufgeregt gibt. Die Spieler sind auf Nummer sicher gegangen und haben sofort mit Spiel-Stopp reagiert. Sie wollen zu Hause keinen politischen Ärger, sondern Fußball spielen. Ob das nun noch geht, ist fraglich.
Der nächste Protest in Frankfurt?
Am kommenden Samstag sind die Chinesen beim FSV Frankfurt zu Gast. Chinas Trainer Sun Jihai ist realistisch: Dass da wieder jemand eine Fahne schwenkt, lässt sich in Deutschland nicht verhindern: "Wenn das in Mainz passiert, passiert es auch in Frankfurt."
Die Pekinger Politik steht da wie ein Zauberlehrling und das eigentliche Ziel der Spiele ist völlig aus dem Blickwinkel geraten: Die chinesischen Nachwuchsspieler sollten in Deutschland auf die Olympischen Spiele 2020 in Tokio vorbereitet werden. Und das ist dringend nötig - wie das Ergebnis zeigt. Dass der TSV Schott Mainz, der nach 18 Spieltagen Tabellen-Vorletzte der vierten Liga Deutschlands, die chinesische U20-Nationalmannschaft mit 3:0 verdient geschlagen hat - auch das weiß jetzt die ganze Welt.
Unser Kolumnist Frank Sieren lebt seit über 20 Jahren in Peking.