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Sierens China: Signale aus dem Mittelmeer

Frank Sieren4. Mai 2015

Die Türkei überlegt, Raketen in China und Atomkraftwerke in Russland zu kaufen. Derweil machen Chinesen und Russen im Mittelmeer Militärübungen. Der Westen muss damit zurechtkommen, meint DW-Kolumnist Frank Sieren.

Chinesisches Kriegsschiff mit Matrosen an Bord
Bild: Reuters

Das klingt für viele westliche Ohren gefährlich: Russlands und Chinas Armeen üben erstmals im Mittelmeer vor den Toren der EU das "gemeinsame Handeln in entfernten Meeren". Und das mit scharfer Munition. Es wird als "Provokation" und "geballte Machtdemonstration" wahrgenommen. Dass amerikanische Soldaten vor der Küste Chinas gemeinsam mit der philippinischen Armee üben, gilt hingegen als "entschlossen". Es ist das größte gemeinsame Manöver seit 15 Jahren und trägt den Namen Balikatan ("Schulter an Schulter"). Wie man das wahrnimmt, ist jedoch eine Frage der Perspektive. Peking findet die Manöver nicht weniger bedrohlich als die EU die russisch-chinesischen.

Drei Fragen stellen sich nun: Dürfen die das? Wer hat angefangen? Und vor allem: Wie kann man die Risiken dieser Entwicklung minimieren?

Die erste Frage ist schnell beantwortet: In internationalen Gewässern darf jeder mit jedem üben. Auch mit scharfer Munition. Neu ist, dass es nun nicht mehr nur einen globalen Spieler wie die USA gibt, der sich das leisten kann, sondern nun mit Russland und China sogar mehrere. Im Fall der Philippinen hat zumindest ein Anrainerstaat die Amerikaner um Unterstützung gebeten. Russland und China haben keinen direkten Zugang zum Mittelmeer. Insofern ist deren Manöver, das Mitte Mai stattfinden wird, noch irritierender, wenn auch ebenso legal wie legitim.

US-Flugzeugträger vor chinesischen Küsten

Womit wir bei der zweiten Frage wären: Wer hat angefangen? Die Amerikaner veranstalten schon lange Manöver im Gelben Meer. Ihre Flugzeugträger kreuzen schon lange vor den chinesischen Küsten. Deshalb gibt es keine schlüssigen Argumente, warum die Chinesen nun nicht das Gleiche im Mittelmeer oder sogar vor den Küsten der USA dürfen sollen. Dass Russland und China dies gerade jetzt ankündigen, ist zudem eine direkte Folge der westlichen Versuche, Russland zu isolieren. Putin windet sich mit Hilfe Pekings aus dem westlichen Schwitzkasten. Man kann auch noch nicht feststellen, ob das eine oder das andere Team gefährlicher ist.

DW-Kolumnist Frank SierenBild: Frank Sieren

Die USA sind in den vergangenen Jahrzehnten immer wieder aus zum Teil fadenscheinigen Gründen in andere Länder einmarschiert. Aber sie haben sich inzwischen, so scheint es zumindest, die Hörner abgestoßen. Dass die USA einen militärischen Konflikt mit China riskieren, ist sehr unwahrscheinlich. China hingegen strotzt vor Kraft, hatte in den vergangenen Jahrzehnten jedoch Besseres zu tun, als in andere Länder einzumarschieren. Genauer: China war und ist dazu nicht in der Lage. Was passiert, wenn China am Ende vieler Militärübungen doch stark genug wäre, lässt sich kaum beantworten. Doch auch im Falle Chinas ist es äußert unwahrscheinlich, dass es einen Konflikt mit den USA riskiert. Insofern sind beide Manöver unangenehm aber nicht sehr gefährlich.

Keiner will sich derzeit einschränken

Dennoch ist die dritte Frage wichtig: Wie kann man die Risiken dieser Entwicklung minimieren? Die Antwort ist einfach: Nur wenn alle drei damit aufhören oder die Manöver zumindest einschränken. Danach sieht es derzeit jedoch nicht aus. Komplizierter wird die multipolare Weltordnung noch dadurch, dass Staaten, die geografisch gewissermaßen zwischen den Stühlen sitzen, sich nicht mehr auf das eine oder das andere Lager festlegen wollen. Ein Beispiel dafür ist die Türkei. Ankara lässt zwar einen Entscheidungstermin nach dem anderen platzen, aber schließt es zumindest nicht aus, als NATO-Staat ein chinesisches Raketensystem zu kaufen.

Selbstverständlich nicht nur, weil sie 600 Millionen Euro billiger sind als die der europäischen und amerikanischen Wettbewerber oder weil ein Teil der Produktion in die Türkei verlagert werden soll. Dahinter stecken auch politische Überlegungen: Ankara kauft sich ein wenig mehr Neutralität. Für die Türken ist in diesem Machtumfeld offensichtlich: Der Status als regionale Macht zwischen Asien und Europa lässt sich nicht nur mit Partnern im Westen aufrechterhalten und weiterentwickeln. Deshalb hat der türkische Präsident Recep Tayyip Erdogan nicht sofort "Stopp" gerufen, als er vom US-Präsident ausdrücklich darum gebeten wurde, die chinesischen Waffensysteme nicht zu kaufen.

Türkei will sich nicht ausschließlich auf Westen festlegen

In den vergangenen Jahren haben die Türkei und China ihren bilateralen Handel zudem immer weiter ausgebaut. Und dieser Trend wurde genau wie im Falle Russlands durch die Politik des Westens noch beschleunigt. Die EU sieht derzeit keine Chance dafür, dass die Türkei EU-Mitglied wird. Wenn Brüssel von dieser Entscheidung überzeugt ist, sollte es sich allerdings nicht darüber empören, dass Ankara andere Option ausprobiert: Jemanden abzuweisen aber gleichzeitig Treue zu verlangen, ist ein wenig zu viel des Guten. Und nicht nur China steht auf der Liste der neuen besten Freunde Ankaras: Im Zuge der Ukraine-Krise hat sich das NATO-Mitglied Türkei entschieden, sich nicht an Sanktionen gegen Russland zu beteiligen.

Im Gegenteil: Beide Länder haben zuletzt große Handelsabkommen geschlossen. Unter anderem will Moskau helfen, das erste Atomkraftwerk der Türkei zu bauen. Außerdem bezieht die Türkei mittlerweile mehr als die Hälfte seines Erdgases aus Russland. In Ankara hat sich offenbar der Gedanke durchgesetzt, dass Bündnisse, die sich in Form von wirtschaftlichem Wachstum auszahlen, wertvoller als eine harmonische NATO-Allianz sind, von der das Land in den vergangenen 50 Jahren kaum profitieren konnte. Insofern wird zumindest die Türkei nicht gegen die Manöver der Chinesen und der Russen protestieren. Und es wird Signalwirkung für andere Mittelmeerstaaten haben.

DW-Kolumnist Frank Sieren lebt seit 20 Jahren in Peking.

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