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Politik

Wege aus der Isolation für Taiwan?

Frank Sieren
15. Januar 2020

Die Wahl in Taiwan war, wie schon in Hongkong, eine klare Ansage in Richtung Peking. Doch viel bringt das nicht. Denn Taiwan ist politisch isoliert und wirtschaftlich fast völlig abhängig von China, meint Frank Sieren.

MOFA Flaggen
Im Außenministerium in Taipeh stehen die Flaggen aller 15 Staaten, die mit Taiwan diplomatische Beziehungen pflegenBild: DW/K. Bardenhagen

Wie schon bei den Kommunalwahlen in Hongkong Ende November sind die Ergebnisse der Präsidentschaftswahlen in Taiwan vor allem eine Ansage in Richtung Peking. Die Peking-kritische Kandidatin Tsai Ing-wen erreichte mit 57 Prozent der Stimmen die klare Mehrheit für eine zweite Amtszeit. Han Kuo-yu, der Kandidat der Opposition, der für eine Annäherung an das Festland eintrat, kam nur auf 35 Prozent. Bei der gleichzeitig stattfindenden Parlamentswahl gewann Tsais Fortschrittspartei (DPP) ebenfalls die Mehrheit.

Dass die pro-demokratischen Kräfte Taiwans so einen Erdrutschsieg einfahren konnten, lag auch an den Ereignissen in Hongkong. Hier lehnen sich die Menschen gegen den wachsenden Einfluss Pekings auf und demonstrieren seit Monaten, was aber im Kern auch mit wirtschaftlichen und sozialen Problemen der Stadt zu tun hat. Peking betrachtet Taiwan als abtrünnige Provinz. Und weil China inzwischen so mächtig ist, gibt es kaum noch ein Land weltweit, dass Taiwan als unabhängigen Staat anerkennt.

"Ein Land, zwei Systeme" auch für Taiwan?

Aus der Sicht Pekings gilt für Taiwan wie für Hongkong die Formel "Ein Land, zwei Systeme", also eine Annäherung an China bei weitgehender Beibehaltung der Autonomie. Für Taipeh wäre das, noch mehr als für Hongkong, jedoch ein großer Schritt zurück. Denn Taiwan ist zwar international nicht als Staat anerkannt, wird jedoch faktisch als "Republic of China" seit 1949 autonom regiert, mit einer eigenen Armee und eigener Währung. Eine rechtsstaatliche Demokratie in unserem Sinne wurde Taiwan aber erst Ende der 1980er-Jahre.

DW-Kolumnist Frank SierenBild: picture-alliance/dpa/M. Tirl

Besonders die heute 20- bis 34-Jährigen, die als erste Generation in einer Demokratie aufgewachsen sind, fürchten um ihre Freiheiten. 2014 schlossen sie sich bereits in der sogenannten "Sonnenblumen-Bewegung" zusammen, die wiederum einen großen Einfluss auf die Proteste in Hongkong hatte. Dass Chinas Staats-und Parteichef Xi Jinping in seiner Neujahrsansprache und bei der pompösen Militärparade zum 70. Jahrestag der Volksrepublik Anfang Oktober erklärte, dass er die Pläne zur Vereinigung nicht von Generation zu Generation weitergeben wolle und notfalls auch militärisch erzwingen werde, hat neue Ängste geschürt. Geng Shuang, der Sprecher des Außenministeriums in Peking, erklärte angesichts der Wahlergebnisse nur, dass nichts, was in Taiwan geschehe, etwas daran ändern werde, dass Taiwan ein Teil von China sei. Damit liegt er wahrscheinlich richtig. Denn ohne internationale Unterstützung kann Taiwan wenig ausrichten. Gerade mal 15 Länder erkennen Taiwan diplomatisch an. Das wichtigste ist der Vatikan.

Die chinesische Regierung glaubt, die Zeit auf ihrer Seite zu haben. Auch das stimmt einstweilen. Die Zahl der kleinen Länder, die Taiwan anerkennen nimmt stetig ab. "Diese vorübergehende Gegenströmung ist nur eine Blase in den Gezeiten der Geschichte" heißt es in einem Kommentar der staatlichen Nachrichtenagentur Xinhua. Das ist eher ein frommer Wunsch. Dass die Taiwaner ihre Freiheitswünsche aufgeben, ist doch trotz kaum vorhandener, internationaler Unterstützung ziemlich unwahrscheinlich.

Der wichtigste diplomatische Verbündete Taiwans ist zugleich der kleinste Staat der Welt - der Vatikan in RomBild: DW/F. Steiner

Taiwans wirtschaftlichen und sozialen Probleme

Allerdings spielte bei den Wahlen am Samstag nicht nur der geopolitische Status Taiwans und das Verhältnis zu Peking eine Rolle. Wachsende Arbeitslosigkeit, stagnierende Löhne, Rentenkürzungen und ein Steuersystem, von dem vor allem Reiche profitieren, befeuern weiterhin die Unzufriedenheit der Bevölkerung. Das ist auch der Grund, warum die 63-jährige Juristin Tsai Ing-wen bei den Kommunalwahlen vor einem Jahr noch eine deutliche Niederlage hinnehmen musste. Das Dilemma dabei: Je mehr sich Taipeh mit Peking anlegt, desto geringer wird der Spielraum, vom Festland wirtschaftlich zu profitieren. Tsai muss also im Alltag vorsichtig balancieren zwischen wirtschaftlichen Chancen und Freiheitsstreben.

Zwar wuchs Taiwans Wirtschaft zuletzt um fast 2,99 Prozent, das lag aber auch am US-chinesischen Handelsstreit, der Taiwans Exporte in die Vereinigten Staaten überdurchschnittlich ankurbelte. Damit könnte es auch nach der nur stufenweisen Einigung schnell wieder vorbei sein. Problematisch bleibt auch dann noch, dass Taiwans arbeitende Bevölkerung rapide altert, die Wirtschaft von nur wenigen Märkten abhängig ist und die Inselrepublik nur ein sehr kleines Produkt-Portfolio anzubieten hat. Über die Hälfte der taiwanesischen Exporte geht nach China, Hongkong und in die USA. Außerdem produziert China mittlerweile selbst immer bessere Produkte, besonders im für Taiwan wichtigen Tech-Sektor, was die Konkurrenz immer härter macht. Gleichzeitig ist Taiwan eng in die globalen Lieferketten Chinas eingebunden, wodurch Peking Taiwan nach wie vor leicht schwächen kann. Etwa indem es Druck auf andere Länder ausübt, keinen Handel mit dem Inselstaat zu treiben, oder indem es den wichtigen Tourismus vom chinesischen Festland weiter einschränkt. 

Kaum ein Staatschef hat Tsai zum Wahlsieg gratuliert

Tsai will deshalb die Beziehungen zu anderen Staaten ausbauen, vor allem in Südostasien - etwa mit einem Beitritt zum transpazifischen Freihandelspakt CPTPP. Nach der Wahl empfing sie bereits Vertreter der USA und Japans. "Alle Länder sollten Taiwan als Partner, nicht als Problem betrachten", so Tsai. Taiwan sei ein unverzichtbares Mitglied der Weltgemeinschaft und sei bereit, dort mehr Verantwortung zu übernehmen. Auch das: ein frommer Wunsch. Am fragilen Status Quo würde sich nur dann etwas ändern, wenn sich mehrere mächtige Staaten gleichzeitig dazu entschlössen, Taiwan als Staat anzuerkennen. Doch selbst die Gratulationen anderer Staatsführer zu Tsais Wahlsieg blieben mehr als übersichtlich. Angela Merkel war ebenfalls nicht darunter.

Taiwans wiedergewählte Präsidentin Tsai Ing-wenBild: imago images/ZUMA Press/C. L. Hei

Eins ist klar: Solange China wirtschaftlich so mächtig bleibt und an seinem "Ein-China-Grundsatz" festhält, wird sich an der fortschreitenden Isolation der Insel nichts ändern. Wirklich drastisch und im schlimmsten Fall auch militärisch reagieren wird China jedoch erst, wenn Taiwan Pekings rote Linie überschreitet und formell seine Unabhängigkeit erklärt. Bisher hat jedoch keine Regierungspartei das offiziell gewagt. Und das wird auch unter der Peking-kritischen Tsai Ing-wen so bleiben. Ob es der Bevölkerung gefällt oder nicht: Die Grenzen der demokratischen Freiheit Taiwans werden faktisch in Peking gezogen. 

Unser Kolumnist Frank Sieren lebt seit über zwanzig Jahren in Peking.

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