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Politik

Aktivistin gegen Genitalverstümmelung

Kate Hairsine | Claudia Anthony
3. Januar 2021

In Sierra Leone ist Genitalverstümmelung weit verbreitet. Bisher konnte keine Kampagne die traditionelle Praxis zurückdrängen. Doch Rugiatu Turay kämpft unbeirrt weiter dagegen - mit Respekt und kreativen Ideen.

Frauenrechtsaktivistin Rugiatu Turay aus Sierra Leone
Kämpft seit Jahrzehnten gegen Genitalverstümmelung: Frauenrechtsaktivistin Rugiatu TurayBild: TERRE DES FEMMES

Rugiatu Neneh Turay stellt die Leinwand und den Projektor unter dem Strohdach des staubigen Gemeindezentrums im Dorf Magbanabon auf, im Norden von Sierre Leone. Die Aktivistin ist gekommen, um einen Dokumentarfilm über weibliche Genitalverstümmelung zu zeigen, die auch als FGM (Female Genital Mutilation) abgekürzt und in der Region Beschneiden (cutting) genannt wird.

Das westafrikanische Sierra Leone hat eine der höchsten Raten an Genitalverstümmelung in Afrika. Laut einer UNICEF-Statistik aus dem Jahr 2017 sind 86 Prozent der Frauen und Mädchen Opfer dieser traditionellen Praxis. Ihnen wurden ganz oder teilweise die äußeren Geschlechtsorgane entfernt, wie die Klitoris und die Labia (Schamlippen). Ein gesetzliches Verbot der Genitalverstümmelung gibt es in Sierra Leone nicht.

Als die Nacht anbricht, sitzen etwa hundert Männer, Frauen und Kinder im Dorfzentrum, um den Film zu sehen. Viele von ihnen schreien schockiert auf, als eine Szene detailliert die Beschneidung zeigt, die üblicherweise ohne Betäubung mit Messern, Rasierklingen oder Glasscherben vorgenommen wird. Genitalverstümmelung kann außer schweren Blutungen auch zahlreiche medizinische Probleme verursachen, von Infektionen über Zysten zu Unfruchtbarkeit und Komplikationen bei der Entbindung.

Ohne Betäubung, mit Messern und anderen Werkzeugen: Weibliche Genitalverstümmelung in Sierra LeoneBild: picture-alliance/dpa

Bei den Zuschauern im Dorf Magbanabon sind auch sogenannte Soweis. Diese älteren Frauen führen die Beschneidung als Teil eines Initiationsrituals aus, mit dem die Mädchen in die Bondo-Gesellschaft aufgenommen werden, eine geheime Frauengesellschaft, die fest im politischen und Stammesleben des Landes verwurzelt ist. Einige der Soweis schreien während der drastischen Beschneidungsszene laut, andere schauen weg und vergraben ihren Kopf in den Händen.

Nach der Vorführung erkundigt Rugiatu Turay sich bei den Anwesenden nach ihrer Meinung über das Gesehene. Sowohl die Männer als auch die Frauen stellen Fragen und diskutieren über die Beschneidung.

Gegen Genitalverstümmelung - mit Respekt und Zuhören

Die 47-jährige Rugiatu Turay ist eine der bekanntesten Aktivistinnen gegen Genitalverstümmelung in Sierra Leone. Als junges Mädchen wurde sie selber Opfer der blutigen Prozedur. Die gelernte Lehrerin hat vor rund zwanzig Jahren die Graswurzelgruppe Amazonian Initiative Movement (AIM) gegründet - der Name, sagt sie, soll an die "starken und furchtlosen" Amazonen aus der griechischen Mythologie erinnern, denn ihr Kampf sei hart. Die Abkürzung AIM bedeutet auf Englisch "Ziel". Mittlerweile unterhält AIM ein Schutzhaus für Mädchen, die vor der Beschneidung oder anderer Gewalt wie etwa einer Zwangsheirat fliehen. Unterstützung kommt unter anderem von der deutschen Frauenrechtsorganisation Terre des Femmes.

Aufklärung für Mädchen - Schülerinnen bei einer Theaterveranstaltung über GenitalverstümmelungBild: picture-alliance/Plan International

Rugiatu Turay war außerdem stellvertretende Ministerin für Soziales, Frauen und Kinder und hat im Oktober 2020 den Menschenrechtspreis der baden-württembergischen Stadt Esslingen erhalten, den Theodor-Haecker-Preis.

Vor allem aber hat sie den Ruf, mit allen zu sprechen, die in die Beschneidung involviert sind, also auch mit den Soweis, den Eltern, den Mädchen und den Dorfvorstehern. "Als Aktivistin musst du immer darauf achten, dass du ehrlich zu dir selbst bleibst, offen über alles redest und den Menschen mit Respekt begegnest", sagt Rugiatu Turay der DW. "Dann kannst du sehen, dass sie mich als eine der Ihren betrachten. Ich benehme mich wie sie."

Der Dorfchef von Magbanabon, Pa Kapri Kargbo, hat die Filmvorführung auch gesehen und befürwortet Rugiatu Turays Botschaft. "Sie hat uns nicht bedroht", sagt er der DW, sondern "einfach erklärt, was wir bisher nicht wussten." Und sie überlegt, wie es für die Soweis weitergeht, deren Lebensunterhalt von der rituellen Beschneidung abhängt.

Alternative Einkommen für Beschneiderinnen

Die Familien der Mädchen versorgen die Soweis während der Initiationszeit mit Essen, Kleidung, Stoffen, Schmuck und Geld. Und auch viel später stecken sie ihnen noch manchmal Geschenke zu. "Wenn unsere Leute sich auf ihre Ideen einlassen, was hätte das dann für Auswirkungen oder was würde für die Soweis getan werden?", fragt Dorfchef Kargbo. Rugiatu Turay ist sich nur zu bewusst, dass der Kampf gegen Genitalverstümmelung beinhaltet, alternative Einkommensmöglichkeiten für die älteren Beschneiderinnen zu finden.

Ein paar Tage später trifft Rugiatu Turay eine Gruppe Soweis, die versprochen haben, mit der Prozedur ganz aufzuhören, nachdem sie 2019 an einer von ihr organisierten besonderen Bondo-Form ohne Beschneidung teilgenommen haben.

Respekt und Zuhören ist wichtig: Rugiatu Turay geht auf die DörferBild: TERRE DES FEMMES

Die rituelle Bondo-Initiation führt die Mädchen ins Frausein ein und findet oft über mehrere Wochen in abgelegenen bewaldeten Gegenden statt, die Bondo-Busch genannt werden. Die Mädchen werden nicht nur beschnitten, sondern lernen auch rituelle Tänze und Gesänge und wie sie Geistern begegnen, ebenso wie ihre häuslichen und ehelichen Pflichten.

Rugiatu Turay möchte jetzt wissen, wie es den ehemaligen Soweis ergangen ist. Sie habe immer das Trommeln, Tanzen und Singen im Bondo-Busch geliebt, gibt die ehemalige Beschneiderin Salamatu Kanu zu. Aber mit der Zeit habe sie sich davor gefürchtet, die Mädchen zu beschneiden, sagt sie, und musste "ziemlich betrunken sein, um das zu machen".

"Seit ich die Kampagne von Rugiatu Turay und ihre Auswirkungen auf mich und meine Kolleginnen kenne, sehe ich keinen Grund mehr, zu unseren alten Gewohnheiten zurückzukehren", erklärt Salamatu Kanu der DW. "Einige lernen - mit Hilfe von Rugiatu Turays Organisation - jetzt schneidern, und das finde ich wesentlich nützlicher als das, was wir vorher gemacht haben."

Neue Bondo-Rituale ohne Blut

Um den Teufelskreis der Genitalverstümmelung zu durchbrechen, will Rugiatu Turay alternative Bondo-Rituale ohne Beschneidung etablieren. "Die Herausforderung ist, die Genitalverstümmelung zu beseitigen", sagt sie, "aber nicht die Bondo-Kultur, die in unserer Gesellschaft eine wichtige Rolle spielt." Rund hundert Mädchen nahm an ihrer ersten "Keine Klinge, kein Blut, kein Schmerz Bondo" teil. Eine von ihnen war Ramatu S. Bangura, zu dem Zeitpunkt 19 Jahre alt.

"Keine Klinge, kein Blut, kein Schmerz": Ramatu Bangura hat an einem alternativen Bondo-Ritual teilgenommenBild: Claudia Anthony/DW

Ramatu Bangura hatte sich bis dahin geweigert, am Bondo-Busch teilzunehmen, weil sie der Verstümmelung nicht ausgesetzt sein wollte. Das zog endlose Hänseleien ihrer Freundinnen in der Schule und im Dorf nach sich, weil sie keine Eingeweihte war. Darum habe sie sich auf die alternative Bondo gestürzt, "weil es da nicht um Blut geht", sagt sie der DW. "Die gleichen Leute, die über mich gespottet haben, finden jetzt, dass wir gleich sind, weil ich nun Mitglied der Bondo-Gesellschaft bin."

Eine andere Teilnehmerin ist Aminata M. Kamara aus dem Port Loko Distrikt im Norden des Landes. Sie benennt offen die Vorteile, die sie hat, weil sie keine Genitalverstümmelung erdulden musste. "Die meisten unserer Mütter wurden in diesen Geheimbund aufgenommen", erklärt sie der DW. "Einige konnten danach nicht mehr gebären. Einige wurden von ihren Ehemännern verlassen, weil sie keinen Spaß mehr an Sex hatten, denn ihre Klitoris war weggeschnitten worden." Und dann wird Aminata Kamara noch deutlicher: "Jeder Mann, der mit mir Sex hat, wird sich richtig an mir erfreuen. Und wenn ich dann selber mal schwanger werde, kann ich ganz einfach entbinden."

Adaption aus dem Englischen: Beate Hinrichs

Frauenrechte in Guinea

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