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Politik

Signal an den "Diktator" vom Bosporus

Barbara Wesel
22. November 2016

Das Europaparlament will die Beitrittsgespräche mit der Türkei auf Eis legen, weil Präsident Erdogan immer mehr wie ein Diktator handelt. Die EU-Regierungen werden das wohl ablehnen.

Frankreich Plenarsaal des Europäischen Parlaments in Straßburg
Bild: picture-alliance/dpa/P. Seeger

Das Europaparlament will die "unehrlichen" Beitrittsgespräche mit der Türkei einfrieren. "Wir wollten den stellvertretenden Vorsitzenden der HPD in der Isolationshaft besuchen", berichtete in der Straßburger Debatte der sozialdemokratische Abgeordnete Arne Lietz nun von seinem jüngsten Türkeibesuch. Das Gefängnis liege nördlich von Istanbul auf dem Weg zur bulgarischen Grenze. Aber ein paar hundert Meter davor seien er und seine Begleiter an der Straße von Polizeifahrzeugen aufgehalten worden. "Polizisten mit Maschinengewehren machten ganz klar, dass es für uns nicht weitergeht."

Die Türkei ist eine Diktatur

"Die neuen Massenentlassungen, die Schließung von Nachrichtenagenturen, das Verbot von 375 NGOs – alle Regierungskritiker laufen inzwischen Gefahr, verhaftet zu werden", sagt der Parlamentarier. Und Erdogan habe es geschafft, den Widerstand im Militär verblüffend schnell auszuschalten. Die Machtbalance im Land sei zerstört. Für Lietz ist die Türkei bereits jetzt eine Diktatur: "Die Opposition gefangen setzen und mundtot machen, die Presse ausschalten, die Zivilgesellschaft unterminieren – alle Anzeichen sind da."

Beitrittsgespräche einfrieren

Kati Piri wollte in der vergangenen Woche Regierungsvertreter in Ankara treffen. Aber die Türkei-Beauftragte des Europaparlaments musste ihre Reise absagen, die türkische Seite wollte mit ihr nicht reden. Kein Wunder nach dem provozierenden und eiskalten Empfang, den zuvor selbst Bundesaußenminister Frank-Walter Steinmeier erlebt hatte. Sie plädiert jetzt dafür, die Beitrittsgespräche mit der Türkei einzufrieren.

Glaubt sie, dass man damit Eindruck auf Präsident Erdogan machen könne? Die Sozialdemokratin aus den Niederlanden verneint: "Die Illusion habe ich nicht." Aber angesichts der Verhaftung von zehn Abgeordneten, 155 Journalisten im Gefängnis und Zehntausender Opfer von Säuberungswellen müsse Europa Stellung beziehen. Der Gesprächsfaden mit der Türkei solle erhalten bleiben, aber eine "Fortsetzung der Beitrittsgespräche sei nicht glaubwürdig, wenn wir hier ein total abweichendes Verständnis von Rechtsstaatlichkeit und Demokratie sehen".

Beitrittsgespräche ganz abbrechen?

Die Zustimmung im Europaparlament für ein Einfrieren der Gespräche ist breit: Konservative, Sozialdemokraten und Grüne befürworten ein Aussetzen. Rebecca Harms etwa sagt, die Entwicklung in der Türkei habe mit Rechtsstaatlichkeit nichts mehr zu tun. Jegliche Opposition gegen Erdogan sei Grund um verfolgt, verhaftet oder entlassen zu werden. Dennoch plädiert die Fraktionsvorsitzende der Grünen leidenschaftlich dafür, weiter den Dialog zu suchen: "Wir dürfen nicht alle Brücken in die Türkei verlieren."

Andere Abgeordnete finden das zu lasch. Sie wiederholen den Schreckenskatalog von Rechtsverstößen und politischer Verfolgung in der Türkei und verlangen den Abbruch der Gespräche:"Die Verhandlungen sind schon seit Jahren zutiefst unehrlich", sagt der liberale Abgeordnete Alexander von Lambsdorf. Und Liberalenchef Guy Verhofstadt spricht von einem Glaubwürdigkeitsverlust für Europa, wenn die "Illusion der Beitrittsgespräche mit einem zunehmend autoritären Regime" fortgesetzt wird.

EU Regierungen vermutlich dagegen

Wie entschlossen das Parlament auch sein mag, die Beitrittsgespräche wenigstens auf Eis zu legen, entscheiden die EU-Regierungen erst bei ihrem Gipfeltreffen im Dezember. Einen Eindruck ihrer Stimmung gibt wohl die Stellungnahme der Außenbeauftragten Federica Mogherini: Sie warnte davor, den Beitrittsprozess zu beenden, denn dann würde Europa Einflussmöglichkeiten auf die Türkei verlieren.

Ähnlich Erweiterungskommissar Johannes Hahn: "Die Türkei entfernt sich seit Jahren von der EU", räumt er ein. Aber er sehe bei den Mitgliedsländern derzeit keinen Willen, drastische Schritte zu gehen: "Sie wollen auf Engagement setzen." Dahinter stehen geopolitische Überlegungen, wie sie auch im Europaparlament immer wieder angesprochen wurden: Die Türkei ist als Nato-Partner wichtig für die Stabilität im Nahen Osten und Europa hat Interesse daran, den Flüchtlingsdeal am Leben zu halten.

Viele Abgeordnete forderten in Straßburg, sich von dem Abkommen zu verabschieden. Man müsse die europäischen Werte, Demokratie und Rechtsstaatlichkeit oben an stellen. Die Regierungen aber entscheiden in dieser Frage vor allem pragmatisch – sie brauchen Erdogan, so diktatorisch er sich auch aufführt. Allerdings ist die rote Linie hier klar definiert: Führt die Türkei die Todesstrafe wieder ein, dann endet das Beitrittsverfahren.  Bis dahin verfahren die EU Regierungen wohl nach dem Prinzip Hoffnung.

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