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Signal an den IS

Gero Schließ, Washington20. Februar 2015

Frankreich, Dänemark, Jordanien, Ägypten - diese Länder waren zuletzt Ziel brutaler Attacken. Der Anti-Terror-Gipfel von US-Präsident Obama stand unter dem Eindruck der Anschläge. Aus Washington Gero Schließ.

US-Präsident Barack Obama spricht beim Anti-Extremismus-Gipfel in Washington (Foto: B. Smialowski/AFP/Getty Images)
Bild: B. Smialowski/AFP/Getty Images

Drei Tage lang wurden in Washington Reden gehalten und Beispiele für erfolgversprechende Bekämpfung von gewalttätigem Extremismus präsentiert. Regierungsvertreter der vom Terror besonders betroffenen Länder versuchten sich in Superlativen, so wie der wie der jordanische Aussenminister Nasser Judeh, der den Anti-Terror-Kampf zum "Dritten Weltkrieg" erklärte.

Doch genau diese martialische Rhetorik könne schädlicher sein als die Anschläge selbst, befürchtet Terrorexperte Jeremy Shapiro von der Washingtoner Denkfabrik Brookings Institution. Denn sie könnte zu überzogenen Reaktionen führen. "Terrorismus kann unseren Gesellschaften keinen großen Schaden zufügen. Menschen werden getötet. Das ist eine Tragödie, aber es ist keine Bedrohung für die gesamte Gesellschaft", sagte Shapiro im Gespräch mit der Deutschen Welle. "Überreaktionen hingegen sind wirklich eine Bedrohung. Etwa wenn wir Bürgerrechte einschränken oder in irgendwelche Länder einmarschieren."

Obama innenpolitisch unter Druck

Präsident Obama steht nach der Serie von Terroranschlägen unter erheblichem innenpolitischen Druck, Tatkraft zu zeigen. Gleich zweimal sprach er während der dreitägigen Konferenz, ging den sogenannten Islamischen Staat hart an und rief die Vertreter aus 60 Ländern in allgemeinen Formulierungen dazu auf, gemeinsam den "Zyklus der Gewalt" zu durchbrechen. Obama forderte, die muslimischen Gemeinden müssten eine aktivere Rolle dabei spielen, auch wenn er ausdrücklich vor der Gleichsetzung von Islam und Extremismus warnte und klarstellte, dass die USA keinen Krieg gegen den Islam führten.

"Wir müssen aufpassen, dass wir die Gesellschaft nicht spalten", warnte die Islamexpertin Claudia Dantschke vom Zentrum Demokratische Kultur, die als Mitglied der deutschen Delegation an der Konferenz teilnahm. "Islamistische Radikalisierung ist kein muslimisches Problem. Wir sehen es ja an Deutschland. Es gibt keine Art von Familie, die nicht davon betroffen sein könnte, dass ein Kind nach Syrien geht. Ob sie muslimisch ist oder nicht, spielt gar keine Rolle."

Muslime nicht in Haftung nehmen

Diese Botschaft müsse man der Gesellschaft noch besser vermitteln, was in den USA schwieriger sei als in Deutschland, weil "hier die Gesellschaft doch sehr geclustert ist. Hier werden immer gleich Communitys angesprochen. Deswegen müssen wir aufpassen, dass wir die Muslime nicht in Haftung nehmen."

Terrorexperte Jeremy Shapiro warnt vor einer Spaltung der GesellschaftBild: The Brookings Institution

Jeremy Shapiro von Brookings glaubt, dass der Gipfel genau diese Spaltung zwischen Muslimen und dem Rest der Gesellschaft weiter vergrößern könnte. "Es geht nicht um Communitys, es geht nicht um die Muslim-Community, es geht um Individuen, die in diesen Communitys leben", stellt er fest. Wenn der Präsident und andere in ihren Reden mitschwingen ließen, dass die Community verantwortlich sei, "dann riskieren wir, dass die Spannungen zwischen den Muslim-Gemeinschaften und der breiten Öffentlichkeit in den USA und Europa zunehmen. Das vergrößert den Schaden, nicht auf der Ebene des Terrorismus, sondern bei der Integration."

Für Emily Haber, Staatssekretärin im Bundesinnenministerium und Leiterin der deutschen Delegation, steht beim Kampf gegen den Extremismus ebenfalls nicht die Bevölkerungsgruppe oder Religionszugehörigkeit im Vordergrund, sondern das Individuum: "Einer der Redner sagte, dass Terrorismus zu Hause beginnt. Und daraus ergibt sich, dass Radikalisierungsverläufe sehr unterschiedliche Gründe haben."

Vertrauen und Überwachung

Michael Downing, bei der Polizei in Los Angeles verantwortlich für die Bekämpfung von gewalttätigem Extremismus, räumte gegenüber der Deutschen Welle ein, dass sich manche Muslime in den USA stigmatisiert fühlten.

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Doch er betont, dass neben Community-Arbeit auch geheimdienstliche Ausspähung notwendig sei: "Wir müssen beides machen. Es ist notwendig, dass wir jene Leute erfassen, die bereits in Operationen verstrickt sind, um ihre operative Fähigkeiten zu verringern. Gleichzeitig müssen wir in die Gesellschaften hineinwirken, um Partnerschaften und Vertrauen aufzubauen."

"Islamischer Staat" im Fokus

Präsident Obama hat auf dem Gipfel dafür geworben, sich stärker mit der Ideologie des sogenannten Islamischen Staates auseinanderzusetzen. Jeremy Shapiro sieht dies eher skeptisch. Menschen, die gegen die Gesellschaft rebellieren wollten, übernähmen dafür gern die Sprache ihres Milieus.

Man sollte daraus nicht schließen, dass man das Problem lösen könne, wenn die Ideologie des "Islamischen Staates" überwunden würde. "Erst mal bin ich nicht sicher, wie wir das machen sollten. Und zweitens glaubt wirklich jemand, dass Terrorismus aufhört, wenn der Islamische Staat morgen nicht mehr existiert?"

Gipfel aus innenpolitischen Gründen

Was wird von diesem Gipfel bleiben? Vielleicht Präsident Obamas Appell an alle Nationen dieser Welt zusammenzustehen? "Wir sind alle im selben Boot und müssen uns gegenseitig helfen", so der Präsident am Abschlusstag der Konferenz. Jeremy Shapiro ist skeptisch: "Am allerwahrscheinlichsten ist, dass es kein lange wirkendes Ergebnis geben wird", prophezeit der Terrorspezialist von der Washingtoner Brookings Institution.

Nach den brutalen Terrorattacken des "Islamischen Staates" und den Anschlägen von Paris und Kopenhagen sei der Gipfel aus rein innenpolitischen Gründen organisiert worden, so Shapiro gegenüber der Deutschen Welle. "Dafür mag er seinen Zweck erfüllen." Aber er sei weder effektiv noch geeignet, um Terrorismus zu bekämpfen, und zwar aus zwei Gründen: "Radikalisierung ist eine sehr persönliche, spezifische und kontextbezogene Sache" und verschließe sich einem generell und globalen Erklärungsmodell. Der zweite Grund sei, "dass Radikalisierung kein so großes Problem ist, dass wir für die Bekämpfung einen globalen Gipfel brauchen."

Michael Downing von der Polizei in Los Angeles widerspricht: Anschläge durch einen sogenannten "einsamen Wolf" seien nie auszuschließen. "Gerade jetzt sehen wir Leute, die durch die Ideologie des Islamischen Staates inspiriert sind." Der Gipfel sei gut gewesen, um viele neue Ideen und Argumente zu hören und in Washington "vielleicht auch ein paar zusätzliche Dollars fürs Budget locker zu machen".

Wie ein Kampfaufruf

Für Claudia Dantschke ist der Gipfel "ein Signal, und es ist wie ein Kampfaufruf". Und natürlich werde der Islamische Staat sich angesprochen fühlen und eine entsprechende Antwort geben. Aber in Zeiten der globalen Medien sei es nun mal so: "Der eine versucht durch Bestialität zu schocken und die anderen setzt sich gemeinsam dagegen zur Wehr“.

Und die US-Regierung ist nicht wirklich gut darin, das zu beeinflussen. Sie könnte kontraproduktiv sein, selbst mit den besten Absichten: indem sie das Problem der Radikalisierung bei der Community sieht und nicht beim Individuum, wo es wirklich hingehört.

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