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Politik

Silvester: Was ging vor am Kölner Dom?

21. September 2017

Die Kölner Polizei hat auf einem Kongress zur Diskussion über die Gewalt während der beiden vergangenen Silvesternächte rund um den Dom geladen. Klar ist: Die Hintergründe sind komplex - und die Herausforderungen enorm.

Deutschland Köln Silvesternacht - Polizeipräsenz am HBF
Bild: picture-alliance/dpa/Geisler-Fotopress

Von einem kann man ausgehen: Auch zur kommenden Silvesterfeier werden wieder viele junge Männer auf die Domplatte kommen, darunter Flüchtlinge und Migranten - jene Gruppe, unter denen die Polizei die meisten derer vermutet, die während der beiden vergangenen Neujahrsnächte für Diebstähle und sexuelle Übergriffe verantwortlich waren.

Schon wieder also, dieses Jahr und aller Voraussicht nach auch die kommenden Jahre. Was zieht die jungen Männer nach Köln? Wollen sie provozieren? Nein, erläuterte der Streetworker Franco Clemens. Clemens, der mit jungen Flüchtlingen und zudem im so genannten "Marokkanerviertel" in Düsseldorf arbeitet, umriss in seinem Vortrag einige derart naheliegende Umstände, dass sie bei den Versuchen, die Gewalt der beiden vergangenen Neujahrsnächte zu erklären, offenbar schlicht unter den Tisch fielen.

Warum Köln?

Warum also kamen und kommen die jungen Leute nach Köln? Die Antwort: Weil Köln eine attraktive Stadt ist, zumal zu Silvester. Nichts gegen die Ruhe des Landlebens, aber der Jahreswechsel gestaltet sich in der Rheinmetropole eben aufregender als in einem Dorf irgendwo in den Weiten des Bergischen Landes oder der Eifel. Zudem hätten sich viele junge Männer bereits während der Flucht kennengelernt und seien in Deutschland dann in verschiedenen Kommunen untergekommen. Für viele sei Köln ein zentraler Treffpunkt.

Silvester: In der Großstadt aufregender als auf dem LandBild: picture-alliance/Geisler-Fotopress

Das hilft auch zu verstehen, warum die jungen Männer sich am Bahnhof konzentrieren. "Die meisten Flüchtlinge", erklärte Clemens, "haben kein Auto. Darum fahren sie mit der Bahn. Und wer mit der Bahn fährt, kommt am Bahnhof an." So einfach, so unspektakulär, so nahe liegend.

Komplexe Gewaltdynamik

Warum aber dann die konzentrierte Gewalt? Der Sozialpsychologe Andreas Zick nannte in aller Behutsamkeit eine Reihe möglicher Faktoren - "möglich" deshalb, weil sie im Einzelnen noch nicht erforscht sind. Noch weniger sind sie es in ihrem Zusammenspiel. Gruppenpsychologische Prozesse sind hochkomplexe Abläufe, deren einzelne Elemente nur schwer voneinander zu isolieren sind.

Kongress der "AG Silvester": Hochkomplexe AbläufeBild: DW/K. Knipp

Die meisten der Verdächtigten kamen nach bisherigen Erkenntnissen aus Kleingruppen bis zu höchstens fünf Personen. Die Gruppen kannten sich untereinander nicht. Allenfalls waren einzelne Mitglieder miteinander bekannt. Aus dieser Konstellation ergaben sich einige Faktoren: Die Identität des Einzelnen innerhalb der Gruppe - Stichwort "Gruppenzwang". Das Verhältnis der Gruppen zueinander, die sich etwa in solidarischem Verhalten äußern kann, aber nicht muss. Und das Verhältnis dieser Gruppen gegenüber der Polizei. Diese wird von allen Versammelten als die "andere", potentiell feindliche Gruppe wahrgenommen.

Polizei und Präsenz

Damit kommt ein weiterer Faktor ins Spiel: Das Verhalten der Polizei. Wie geht sie auf die jungen Männer zu? Wird ihr Verhalten als feindlich wahrgenommen? Haben die jungen Männer den Eindruck, die Polizei zeige ihnen gegenüber ein diskriminierendes Verhalten - indem sie womöglich vor allen junge "arabisch" oder "nordafrikanisch" aussehende Männer kontrolliere, "deutsch" aussehende hingegen kaum oder überhaupt nicht? Aus allen diesen Faktoren, so Zick, könnten sich unterschiedliche Verhaltensweisen ergeben. Die würden durch weitere mögliche Faktoren angereichert: etwa die bisherige Biographie der Beteiligten, ihre Erfolge und Misserfolge; Langeweile, das Frauenbild der beteiligten Männer, ihre - oft schwierige - Situation in Deutschland. Hinzu kämen unter Umständen Alkohol, Drogen und sexuelle Deprivation, sprich: die Männer haben keine Freundin.

Entzündet sich, wie vor einem und mehr noch vor zwei Jahren diese Situation, kann es zu so genannten De-Individuationsprozessen kommen, d.h. die Beteiligten vergessen ihre übliche Selbstkontrolle, und die Aggressivität steigt.

Auf den Ton kommt es an

"Die Polizei beeinflusst das Verhalten anderer"Bild: DW/K. Knipp

Zicks Ausführungen zeigten, vor welchen Herausforderungen die Kölner Polizei während der vergangenen Jahre stand und künftig weiter stehen wird. Ein weiteres grundsätzliches Problem der Polizei umriss der Kriminologe und Jurist Thomas Feltes. Er wies darauf hin, dass die Präsenz der Polizei immer und ausnahmslos Signalwirkung habe. "Man kann nicht 'nicht kommunizieren'", umriss er einen bekannten Satz des Kommunikationswissenschaftlers Paul Watzlawick. Das heißt: Die Gegenwart der Polizei wird grundsätzlich bemerkt. Und sie beeinflusst das Verhalten der übrigen Personengruppen. Demnach kommt es sehr darauf an, wie die Polizei sich präsentiert und welche Strategie sie wählt.

Der Kölner Kongress war ein intellektuell höchst anspruchsvolles Unternehmen. Die Polizei zeigte sich in hohem Maß selbstkritisch und lernbereit. Sie sucht ganz gewusst den Dialog mit ihren Kritikern. Dennoch dürfte es nicht einfach werden, eine angemessene Strategie zu entwerfen.

Auf der Suche nach einer angemessenen Kommunikation

Fest steht nur: Die Polizei wird sich bereits im Vorfeld um angemessene Kommunikation mit potentiellen Besuchern bemühen. "Angemessen" heißt hier: auch auf Arabisch, und zwar in einem Arabisch, das junge Männer - nach Möglichkeit - auch erreicht. Die Polizei in Deutschland sei eine demokratische Polizei, unterstrich der neue Kölner Polizeipräsident Uwe Jacob auf dem Kongress. Auch das werde sie in ihrem Auftritt zu signalisieren versuchen. Gleichwohl werde sie in der kommenden Silvesternacht rund um Dom und Bahnhof wieder massive Präsenz zeigen. Kommunikation und Prävention in einer ethnisch und sozial immer komplexeren Gesellschaft unterliegen hohen Anforderungen. Formeln für einen angemessenen Umgang zu finden, ist eine alles andere als einfache und doch notwendige Aufgabe.

Kersten Knipp Politikredakteur mit Schwerpunkt Naher Osten und Nordafrika
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