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Politik

Silvestergewalt: Polizisten im Visier

Kay-Alexander Scholz | Friedel Taube
2. Januar 2020

Vielerorts verlief die Silvesternacht gewaltsam. Oft werden genau die zu Opfern, die eigentlich andere schützen sollen. Besonders der Fall eines Polizisten aus Leipzig, dem fast das Ohr weggesprengt wurde, schockiert.

Neujahr - Leipzig Connewitz Polizist verletzt
Bild: picture-alliance/dpa/S. Willnow

Es sei für eine Gesellschaft beschämend, "wenn nach solchen Gewaltvorfällen zügig wieder zur Tagesordnung übergegangen wird", schrieb die größte Gewerkschaft der Polizei (GdP) in einer Stellungnahme zur Bilanz der Silvesternacht in Deutschland. "Das Schlimmste, was passieren kann, ist Gleichgültigkeit", warnte der Vize-Chef der GdP, Jörg Radek. Bereits vor einem Jahr hatte es an Silvester Gewalt gegen Polizisten und danach eine kurze Debatte darüber gegeben. 

Was war passiert? In mehreren Städten wurden in der Silvesternacht 2019/20 Polizisten angegriffen und verletzt - teilweise massiv und brutal. Besonders ein Fall in Leipzig, Bundesland Sachsen, machte zum Jahresauftakt Schlagzeilen: Mehrere Menschen hätten im Stadtbezirk Connewitz Steine, Flaschen und Feuerwerkskörper nach Polizisten geworfen, heißt es nach Berichten der Polizei. In Connewitz leben viele Menschen, die der linksextremen Szene zugeordnet werden.

Einem 38-jährigen Polizisten sei der Helm vom Kopf gerissen worden, bevor er attackiert wurde. Bei dem Angriff sei ihm fast das Ohr abgetrennt worden, der Polizist habe das Bewusstsein verloren und habe operiert werden müssen. Ein "bewusster und gezielter Angriff auf Menschenleben" sei das, sagte Sachsens Innenminister Roland Wöller von der CDU.

In Leipzig-Connewitz gab es Auseinandersetzungen zwischen gewaltbereiten Linksextremisten und der PolizeiBild: picture-alliance/dpa/S. Willnow

Weiterer Hotspot: Berlin

Auch in Berichten der Berliner Polizei finden sich Schilderungen über Gewalt gegen Polizisten: "Unmittelbar nach Verlassen des Funkwagens wurden die Polizisten aus mehreren Richtungen mit Feuerwerkskörpern beworfen beziehungsweise beschossen. Gegen eine Gruppe mit rund 50 Personen setzten die Einsatzkräfte ihr Reizstoffsprühgerät ein".

Die Berliner Polizei hat auf Twitter ausführlich über ihre Einsätze berichtet und einen neuen Trend dokumentiert: Schreckschusswaffen, die umgangssprachlich auch Gaspistolen heißen. "Mehrere Jugendliche mit Schreckschusswaffen schießen auf alles", hieß es in einem Tweet.

In Berlin waren in der Silvesternacht 2000 zusätzliche Polizisten im EinsatzBild: picture-alliance/dpa/C. Gateau

Auch auf Polizisten sei "geschossen" worden. Diese Waffen sehen meist aus wie "echte" Waffen. Ihr Besitz ist erlaubt. Allerdings muss man einen Waffenschein bei sich tragen - und geschossen werden darf nur in Notsituationen.

"Respektlosigkeit nimmt zu"

Die Übergriffe zu Silvester nehmen insgesamt zwar zu, seien aber nicht neu, sagt Thilo Cablitz, Pressesprecher der Berliner Polizei, der DW: "Als ich selbst vor zwölf Jahren in der Silvesternacht auf Streife war, wurde auch aus einem Gebäude mit Pyrotechnik geworfen, und als die Einsatzkräfte ins Haus wollten, wurde mit Fliesenpaketen auf die Polizisten geworfen. Bestandteil unserer Silvestereinsätze war das schon länger."

Allerdings könne man über die vergangenen Jahre eine zunehmende Respektlosigkeit und Verrohung gegenüber Polizisten beobachten: "Und die Verrohung von 364 Tagen, die setzt sich dann auch am 365.Tag des Jahres fort", so Cablitz.

In Berlin gingen in der Silvesternacht auch zahlreiche Autos in Flammen aufBild: picture-alliance/dpa/W. Steinberg

Und mehr noch, sie könne sich an Silvester durchaus verstärken: "Zu Silvester feiern rund vier Millionen Menschen in der Stadt - und zwar alle gleichzeitig! Durch Alkohol und gruppendynamische Prozesse kann sich die Respektlosigkeit gegenüber Polizisten potenzieren," erklärt der Pressesprecher der Berliner Polizei. Wer die Täter sind, ist oft schlecht auszumachen, da viele gerade im Trubel der Silvesternacht unerkannt flüchten können.

"Meistens handelt es sich um junge Erwachsene. Oft stammen sie aus bildungsfernen Schichten", so Cablitz. Dass es sich verstärkt um Menschen mit Migrationshintergrund handele, kann er dezidiert nicht bestätigen. "Das wäre auch sehr fraglich, das an einer Ethnie festzumachen. Vom kriminologischen Aspekt her macht es mehr Sinn, sich die Sozialisation der Täter anzuschauen."

Statistik: Gewalt auf Polizisten steigt

Die Silvester-Ereignisse bestätigen einen Trend in Deutschland: Die Gewalt gegen Polizisten nimmt zu. Die aktuelle Polizeiliche Kriminalstatistik vom April 2019 vermeldete dahingehend einen eklatanten Anstieg von Gewalttaten - plus 39,9 Prozent im Vergleich zum Vorjahr.

Dazu zählen aber jetzt auch neue Straftatbestände, seit der Schutz von Polizisten durch den Bundestag 2017 deutlich verstärkt wurde. Nun drohen bei Gewalt gegen Polizisten wie zum Beispiel bei den Vorfällen in der Leipziger Silvesternacht bis zu fünf Jahre Haft. 

Auch Bundesinnenminister Seehofer verurteilte die Gewalt gegen Polizisten aufs SchärfsteBild: picture-alliance/AA/A. Hosbas

Am zweiten Tag des neuen Jahres meldete sich auch Bundesinnenminister Horst Seehofer zu Wort. "Wir müssen geschlossen hinter unseren Polizisten stehen," forderte Seehofer. Ein starker Staat sei nur mit starker Polizei möglich. Bezogen auf Leipzig sagte er: "Diese Tat zeigt: Menschenverachtende Gewalt geht auch von Linksextremisten aus." 

Diskussion über Linksextremismus

Die Polizei-Gewerkschaft GdP warnte davor, die Vorfälle politisch zu instrumentalisieren. Die "agressiven linken Gruppen" handelten "blauäugig", so ihr Vize-Chef Radek. Jeder Stein gegen Polizisten sei eine "Steilvorlage" für rechtsnationale Gruppierungen, "um weitere Zustimmung aus der Mitte der Gesellschaft zu bekommen". In der Tat werden die Ereignisse auf Twitter auch in AfD-Accounts diskutiert, eine offizielle Stellungnahme allerdings gab es noch keine.

Jörg Radek, stellvertretender Bundesvorsitzender der Gewerkschaft der Polizei (GdP)Bild: picture-alliance/dpa/A. Burgi

Dafür wird die Diskussion jetzt aus der CDU in Richtung Linkspartei geführt. "Wir brauchen eine - über alle Parteigrenzen hinweg - klare Verurteilung des Linksextremismus", forderte der stellvertretende Unionsfraktionsvorsitzende im Bundestag, Thorsten Frei. Leider tue sich die Linkspartei damit aber schwer.

"Solange beispielsweise in Berlin die militante linke Szene vom Senat verharmlost wird, ihr Handeln gänzlich folgenlos bleibt und politisch teilweise verharmlost wird, da es ja die 'Richtigen' träfe, werden wir noch lange mit brennenden Autos und Häusern zu kämpfen haben," so Frei. Von Politikern der Linkspartei hatte es Beschwerden über die Einsatzstrategie der Polizei gegeben: Sie habe die Feiernden gezielt provoziert.

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