Silvesterparty in der Favela
31. Dezember 2012Das Silvesterfest wird in Rio de Janeiro fast so ausgelassen gefeiert wie der Karneval. Über eine Million Menschen pilgern zum Jahreswechsel an den Strand der Copacabana, ganz in Weiß gekleidet, bestaunen das riesige Feuerwerk, werfen Blumen ins Meer und sind in bester Party-Laune. Der Menschentrubel und die unweit der Bucht geankerten Kreuzfahrtschiffe bilden die perfekte Neujahrskulisse für reiche Touristen und die Brasilianer. Die verfolgen das Spektakel von den Dachterrassen der Fünfsterne-Hotels entlang der Avenida Atlantica oder den Balkonen der Luxuswohnungen.
Eintrittspreise von 2500 Euro
Für viele Partys werden zum Jahreswechsel in Rio de Janeiro Eintrittspreise verlangt - und die haben es in sich: Umgerechnet 2500 Euro kostet beispielsweise das dreitägige Silvester-Paket im Windsor Hotel Atlantica. Wer auf dem Zuckerhut ins neue Jahr starten will, der bekommt ein Ticket für etwa 300 Euro. Der Blick über die Stadt und den Strand der Copacabana ist vielen zum Silvesterabend ganz offensichtlich einiges wert. Doch die traditionellen Adressen für Silvesterpartys in Rio haben Konkurrenz bekommen.
Seit die Polizei einen Teil der Armenviertel von Rio de Janeiro im Vorfeld der Olympischen Spiele von 2016 aus Sicherheitsgründen kontrolliert, haben sich auch diese Orte der Stadt buchstäblich zu Silvester-Knallern entwickelt. Viele Favelas liegen an den steilen Berghängen Rios und bieten damit eine Aussicht, wie sie nicht einmal ein 30 Stockwerke hohes Hotel vorzuweisen hätte. Das haben auch die Veranstalter von Silvester-Partys erkannt - mittlerweile verlangen sie auch in den Favelas bis zu 500 Euro Eintrittsgeld.
Beste Aussicht aus den Bergen
Rodrigo Braz Viera lebt in Pavão-Pavãozinho. Die Favela grenzt direkt an die Copacabana und liegt an einem der nächstgelegenen Berge zum Meer. Hier veranstaltet der 31-jährige Fremdenführer zum dritten Mal seine "New Year's Eve Favela Party". "Mit solchen Festen in der Favela kommen auch die Leute zu uns rauf, die vorher Vorurteile oder sogar Angst hatten. Dadurch können sie sich besser vorstellen, dass die Favelas Teil der Stadt sind, wie andere Viertel auch", sagt er über seine Motivation, eine solche Party zu veranstalten. Doch die Mehrheit seiner Gäste sind Ausländer. Touristen, auf der Suche nach einer ganz besonderen Silvester-Erfahrung. "Die wollen etwas anderes als das Übliche: eine informelle Atmosphäre, Ausgelassenheit und Kontakt zur lokalen Bevölkerung. Sie wollen sehen, wie die Menschen hier oben feiern, die meisten Brasilianer also, und natürlich sind sie fasziniert vom Blick auf die Stadt und vom Feuerwerk."
Sicherheit in den Favelas lockt Touristen
Seit die Polizei in Rio de Janeiro nach einem festgelegten Plan gegen Drogenkommandos vorgeht, die zuvor die Favelas beherrscht haben, sind die Silvester-Partys dort in Mode gekommen. "Das liegt natürlich vor allem an der Sicherheit", sagt Rodrigo. "Als hier noch ein Drogenkommando das Sagen hatte, konnte außer den Bewohnern ja keiner einfach so in die Favelas gehen. Jetzt kann jeder kommen." Pavão-Pavãozinho gehörte zu den ersten Vierteln, die - so der Fachbegriff - "pazifiziert" wurden.
Auch bei deutschen Touristen sind die Favela-Partys beliebt. Eine Besucherin schrieb nach der letzten Feier in Rodrigos virtuelles Gästebuch: "Silvester 2011 war mal wieder eines der Erlebnisse in meinem Leben, die ich nie vergessen werde! Es war etwas Neues, Unbekanntes, ein kleines Abenteuer für Gringos in einer Favela."
Mehr menschliche Wärme und Lebensfreude
Für Rodrigo ist genau das der Grund, warum vor allem Ausländer Silvester gerne in einem der Armenviertel feiern wollen: "Die Leute finden hier zum einen mehr Lebensfreude und menschliche Wärme, zum anderen gilt es noch immer als mutig und waghalsig, eine Favela zu besuchen."
Die Zeiten der kostengünstigen Straßenpartys sind daher auch vorbei. Bei Rodrigo kostet die Teilnahme an seiner "Favela-Party" umgerechnet 100 Euro, dafür gibt es Musik vom DJ und Getränke unter freiem Himmel auf der Terrasse.
Oft muss man noch tiefer ins Portemonnaie greifen. Dona Azelina, die ebenfalls in Pavão-Pavãozinho wohnt, verlangt sogar über 400 Euro für den Silvesterabend. Allerdings fordert sie die hohen Preise nicht von jedem: "Cariocas", also alle, die gebürtig aus Rio de Janeiro stammen, zahlen nur die Hälfte. Insgesamt hat Dona Azelina Platz für 60 Gäste - je 30 für Auswärtige und für Einheimische. "Das soll der Integration dienen", sagt sie.
Am günstigsten, ja sogar gratis, ist die Silvesterparty in Rio nach wie vor für alle, die - als Teil der Neujahrskulisse - dicht gedrängt am Strand der Copacabana feiern.