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Gesellschaft

Simbabwe: Schwieriger Weg der Aufarbeitung

Martina Schwikowski
29. November 2020

Immer wieder tauchen in Simbabwe Massengräber auf. Viele Tötungen von Zivilisten liegen Jahre zurück, aber die Wunden sind nicht verheilt. Die große Hürde: die Regierung, sagen Experten.

Simbabwe Massaker
Aliness Ndlovu hat überlebt - damals, als die Fünfte Brigade in Matabeleland umgingBild: Zinyange Auntony/AFP/Getty Images

Das Trauma ist noch da. Auch in der dritten Generation: "Wenn das Trauern mit seinen Ritualen versagt bleibt, geht das nicht einfach weg", sagt Jenni Williams. Sie ist Menschenrechtsaktivistin in Bulawayo im Südwesten Simbabwes. "Es gibt hier für Opfer von Massakern und deren Angehörige weder Todes- noch Geburtsurkunden. Viele Leben stehen praktisch still", sagt sie im DW-Interview. Vergebung für die Verbrechen an Tausenden von Menschen vor fast 40 Jahren könne nicht stattfinden. "Die Regierung muss erst eingestehen, dass sie damals Soldaten nach Matabeleland geschickt hat, um zu töten."

Wunden sind noch nicht verheilt

Dort, in den Hügeln und Savannen der Region um die Stadt Bulawayo, hat Mitte der 1980er Jahre "Gukurahundi" gewütet. Das Wort stammt aus der Sprache des Shona-Volkes in Simbabwes Norden und bedeutet: "Der frühe Regen wäscht die Spreu weg vor dem Frühling". Dieser Ausdruck steht für eine Reihe von Massakern an dem Volk der im Süden lebenden Ndebele.

In Bulawayo halten Viele ihrem Helden von einst, Joshua Nkomo, die Treue - und nicht der Regierungspartei ZANU-PFBild: Zinyange Auntony/AFP/Getty Images

Der damalige simbabwische Premier und spätere Präsident Robert Mugabe hatte 1983 als Führer der Afrikanischen Nationalunion (ZANU) die berüchtigte "Fünfte Brigade" nach Matabeleland gesandt. Sein Vorwand war, gegen angeblich dort lebende Dissidenten vorzugehen. Sie waren Anhänger der Afrikanischen Volksunion von Simbabwe (ZAPU) unter Leitung von Joshua Nkomo, ein Ndebele. Und somit Mugabes politische Gegner.

Tote in Bergbauschächten versteckt

Die Massaker gehören zu den dunkelsten Zeiten in der Geschichte des Landes seit seiner Unabhängigkeit 1980 - mehr als 20.000 Menschen kamen Schätzungen zufolge ums Leben.

Robert Mugabe - hier im Juli 1984 - war im Ausland hoch angesehen, bevor sich sein Ruf eines ruchlosen Gewaltherrschers festigteBild: Alexander Joe/AFP/Getty Images

Immer wieder werden in Simbabwe Massengräber aus unterschiedlichen Jahren der Gewalt gefunden. Das Militär der Mugabe-Partei tötete bei der gewaltsamen Übernahme der Diamantenfelder im Marange-Distrikt Ende 2008 mehr als 200 Menschen. Drei Jahre danach, 2011, waren bei Mount Darwin 100 Kilometer nördlich der Hauptstadt Harare 1000 Tote in alten Bergwerkschächten entdeckt worden - laut Mugabes Regierung ehemalige Kämpfer des Befreiungskrieges aus den siebziger Jahren. Aber die Opposition vermutet, viele seien ihre verschleppten Anhänger seit Beginn der Terrorkampagne des Staates, die sich in mehreren Wellen seit dem Jahr 2000 gegen ihre Partei "Movement for Democratic Change (MDC)" richtete.

Aufarbeitung: Regierung ist einzige Hürde

"Die einzige Hürde bei der Aufarbeitung ist die Regierung", sagt Zenzele Ndebele im DW-Interview. Der Präsident spielte ja eine Hauptrolle bei den Verbrechen, er ist nicht aufrichtig." Der Filmemacher recherchiert seit vielen Jahren zu den Morden in Matabeleland. Simbabwes heutiger Präsident Emmerson Mnangagwa, Nachfolger von Robert Mugabe, gehörte war damals als Sicherheitsminister mitverantwortlich für die Gukurahundi-Operation. 2018 hat er eine Friedens- und Versöhnungskommission ins Leben gerufen. Sie soll helfen, frühere Menschenrechtsvergehen aufzuarbeiten. "Die Kommission hat wenig gebracht, sie ist unterfinanziert", sagt Ndebele.

Präsident Emmerson Mnangagwa war als damaliger Sicherheitsminister selbst in "Gukurahundi" involviertBild: Zinyange Auntony/AFP/Getty Images

Die Aktivistin Jenni Williams ist jedoch überzeugt, die Verhandlungen mit Mnangagwa sind auf dem richtigen Weg: "Der Präsident kam nach Bulawayo und hörte uns zu. Er hat auch Entwicklungshilfe - ein Wasserprojekt am Sambesi-Fluss - für unsere trockene Region zugesagt." Williams arbeitet im Matabeleland-Kollektiv, ein Zusammenschluss von zivilen Gruppen. Ein sozialer Dialog, der auch die Dorfältesten einbezieht, habe begonnen. Sie beraten über den sensiblen Vorgang, tote Verwandte auszugraben, zu identifizieren und würdevoll zu beerdigen. Die Regierung soll die Wahrheit ans Licht bringen, fordert sie und gibt zu: "Es geht nur langsam voran."

Dubiose Methoden bei der Exhumierung

Zu langsam, findet Keith Silika. Der Simbabwer beschäftigt sich als forensischer Archäologe an der Staffordshire Universität im fernen Großbritannien mit den Massengräbern. Für seine Doktorarbeit hat er mehr als 60 Zeugen interviewt. "Es wäre von Vorteil für den Präsidenten, eine Entschuldigung für die Taten zu liefern", sagt Silika im DW-Interview. Massaker, politische Gewalt und Diamanten-Konflikte hätten zu geheimen Massengräbern im ganzen Land geführt.

Isaiah Nkomo weiß auch nach 38 Jahren nicht, wo sein Bruer Simimba begraben wurdeBild: Jerome Delay/AP Photo/picture alliance

Silika kritisiert das Gesetz, das der Friedenskommission zugrunde liegt. Es sei nur fünf Seiten lang. Wünsche der Opferfamilien kämen darin nicht vor. Auch seien dubiose Methoden bei Exhumierungen zum Beispiel in Mashonaland angewandt worden. "Es waren untrainierte Leute am Werk, Anhänger der Regierungspartei. Es gibt keine Unterlagen dazu, niemand kann die Identifizierung nachvollziehen. Das dient zur Verschleierung von Kriegsverbrechen."

Wenig Protest: Ermüdung bei den Opfern

Oftmals gebe es keinen großen Aufschrei in der Bevölkerung, wenn wieder ein Massengrab gefunden werde, sagt Silika. "Ermüdung bei den Opfern und die tiefsitzende Angst in der Gesellschaft lähmen auch den Protest und den Willen, die Regierung damit zu konfrontieren."

Das Sitezi-Militärcamp im Südwesten Simbabwes war einer der Stützpunkte, von dem die Armee damals zuschlugBild: Jerome Delay/AP Photo/picture alliance

Silika selbst trat 1983 in den Polizeidienst in Simbabwe ein. Einige seiner Ausbilder waren bei der Operation Gukurahundi dabei. "Vom Ausmaß der Gewalttaten hatte ich keine Ahnung. Erst als ich 2005 in den britischen Polizeidienst wechselte, hatte ich Zugriff auf akkurate Informationen." Der Schock über die jahrzehntelang, systematische Gewalt in seiner Heimat brachte ihn dazu, Kriminologie zu studieren. Seine Ermittlungen sollen zur Gerechtigkeit beitragen: "Ich will Angehörigen helfen, ihre Toten zu beerdigen und ihr Trauma beenden zu können."

Mitarbeit: Cai Nebe

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