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Simone Biles - einfach mal zurückschrauben

Sarah Wiertz in Tokio
3. August 2021

Große Erleichterung bei der besten Turnerin der Welt: Trotz "Twisties" gewinnt Simone Biles bei den Olympischen Spielen in Tokio Bronze am Schwebebalken - weil sie mit weniger zufrieden ist.

Tokio 2020 - Olympia - Turnerin Simone Biles
Bild: Laurence Griffiths/Getty Images

Sie ist zurückgekehrt - an den Ort, der für Simone Biles für einen prägenden Einschnitt in ihrem Leben steht: das Ariake Gymnastic Centre hier in Tokio. An diesem Ort brach sie zusammen, zog sich zurück und stand wieder auf. Hier erlebte die derzeit beste Turnerin der Welt eine ihr bisher unbekannte sportliche Schwäche - aber auch eine bis dato unbekannte Stärke.

"Es hat mir die Welt bedeutet, da wieder rauszugehen", erzählt Biles nach dem Gewinn der Bronzemedaille am Schwebebalken gegenüber den wartenden Journalisten im Pressebereich. "Ich habe keine Medaille erwartet. Ich habe das nur für mich gemacht."

Was sind "Twisties"?

Um überhaupt am Schwebebalken-Wettkampf teilzunehmen zu können, hat Biles getrickst. Die 24-Jährige wich von ihrer einstudierten Turnübung ab und verzichtete ganz auf ein Element, das am Schwebebalken nicht zwingend notwendig ist: die Schraube. Dadurch verringerte sich zwar der Schwierigkeitsgrad ihrer Kür. Das konnte sie jedoch durch eine exakte Ausführung ausgleichen.

Seit einer Woche wissen nicht nur Turnfans, was "Twisties" sind. Beim sogenannten "Schrauben-Tick" arbeiten Kopf und Körper nicht mehr zusammen, das Gefühl für Raum und Zeit geht verloren. Auch in anderen Sportarten treten solche mentalen Blockaden auf. So ist unter Golfern der "Yips" gefürchtet, ein unkontrollierbares Zucken beim Putten. Das ist allerdings nicht annähernd so gefährlich wie die geschilderte Blockade beim Turnen.  

Bei Biles traten die "twisties" bei ihrem ersten olympischen Wettkampf in Tokio vor genau einer Woche auf. Nach dem ersten von vier Durchgängen im Team-Mehrkampf stieg die US-Turnerin, die in Rio viermal Gold gewonnen hatte, aus. Anschließen verzichtete sie auf vier weitere Wettkämpfe: den Einzel-Mehrkampf sowie die Finals am Boden, im Sprung und am Stufenbarren.

Was ist der Triple-Double?

Die Blockaden seien weiterhin da, sagt Biles: "Jedes Mal, wenn ich die Leute im Training oder im Wettkampf eine Doppelschraube turnen sehe, wird mir speiübel und ich frage mich, wie sie das machen."

Dabei sind gerade Schrauben normalerweise ihr Ding. Vor zwei Jahren zeigte sie erstmals den Triple-Double am Boden: einen Doppelsalto gehockt, mit integrierter Dreifachschraube. Dieser Übungsteil ist so schwierig, dass für ihn der Buchstabe "J" als Bewertung eingeführt und damit die Schwierigkeitsskala des Internationalen Turnverbands FIG nach oben erweitert wurde. "Biles II" wurde das Element getauft. "Biles I" gab es schon vorher, einen Doppelsalto rückwärts gestreckt, mit halber Schraube und "blinder", also nicht kontrollierter Landung. 

Simone Biles am Schwebebalken: Saltos ja, aber keine SchraubenBild: Mike Blake/REUTERS

Am Schwebebalken hatte Biles eigentlich einen Doppelsalto gehockt mit integrierter Dreifachschraube geplant. Sie ist die einzige Frau, die ihn turnt. Dass Biles nun kurzerhand ihre Kür vereinfachte und trotzdem auf den dritten Platz turnte, spricht für ihr außergewöhnliches Talent.

Was war der Auslöser für die "Twisties"?

"Ich habe mein ganzes Leben trainiert. Ich bin körperlich topfit. Trotzdem passiert etwas, was ich einfach nicht kontrollieren kann", beschreibt Biles dieses ohnmächtige Gefühl. Was der Auslöser dafür war, darüber rätselt sie noch immer.

Nach der Vorrunde im Mannschaftsmehrkampf, in der die Russinnen besser waren, habe das US-Team unter Druck gestanden. Irgendwie sei jeder ausgeflippt, erinnert sich Biles. Beim Finale, bei der ersten Disziplin, dem Sprung, ging Biles auf Nummer sicher. Sie wählte den "Amanar",  eine Radwende mit gestrecktem Doppelsalto und zweieinhalbfacher Drehung, benannt nach einer früheren dreimaligen Olympiasiegerin aus Rumänien. Dieser Sprung ist der einfachste in Biles' Repertoire.

Trotzdem landete sie unsicher - und konnte es selbst kaum begreifen: Sie hatte eine Längsachsendrehung weniger geturnt als geplant. "Da war es passiert, die Verbindung zwischen Kopf und Körper war gerissen", sagt Simone Biles. "Ich weiß nicht weshalb, was schief gelaufen ist."

Meist verschwinden die "Twisties" nach einer gewissen Zeit wieder, sie können jedoch auch immer wieder auftauchen. Biles will jetzt erst mal zur Ruhe kommen. "Ich fühle eine große Erleichterung. Ich möchte jetzt nur nach Hause, Zeit für mich selbst haben und das akzeptieren, was hier passiert ist." 

Einfach mal etwas zurückschrauben - das tut ihr offensichtlich gut.

Sarah Wiertz Teamleiterin Sport Online
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