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De Beauvoir und "Das andere Geschlecht"

Paula Rösler
4. März 2022

Die Bundeskunsthalle in Bonn nimmt Simone de Beauvoirs "Das andere Geschlecht" unter die Lupe. Das Buch sei heute aktueller denn je, sagt die deutsche Feministin Alice Schwarzer.

Ein Foto von Simone de Beauvoir in der Ausstellung über ihr Werk "Das andere Geschlecht".
Simone de Beauvoir (1908–1986) gilt als Ikone der FrauenbewegungBild: Pierre Boulat/Agentur Focus

Knapp 1000 Seiten umfasst das wohl berühmteste Buch von Simone de Beauvoir, "Das andere Geschlecht" (französisches Original: "Le deuxième sexe"). Im Jahr 1949 veröffentlicht, wurde die sozialwissenschaftliche Studie im Laufe der Zeit in mehr als 40 Sprachen übersetzt und gilt heute als Standardwerk des modernen Feminismus. Simone de Beauvoir analysiert darin die Situation der Frauen in der westlichen Welt und behandelt tabuisierte Themen wie sexuelle Initiation, lesbische Liebe und Abtreibung.

Eine Ausstellung in der Bundeskunsthalle in Bonn widmet sich nun dem Werk. Die Schau beleuchtet seine Entstehung im Paris der Nachkriegszeit und hinterfragt, warum "Das andere Geschlecht" bis heute kaum an Brisanz verloren hat. De Beauvoirs Thesen seien bahnbrechend gewesen, sagt die Intendantin der Bundeskunsthalle, Eva Kraus. Es habe viel Mut gefordert, diese unbeugsam zu vertreten. "Dafür verdient sie noch immer viel Respekt, dadurch wurde sie zum Vorbild, das bleibt sie bis heute - auch für mich", so Kraus.

De Beauvoir: "Diese Welt ist eine Männerwelt"

Das wohl berühmteste Zitat aus "Das andere Geschlecht" lautet: "Man kommt nicht als Frau zur Welt, man wird es." Mit ihrer Analyse rückte de Beauvoir erstmals die Kategorie "Geschlecht" in den Fokus und unterschied dabei konsequent zwischen biologischem Geschlecht und kultureller oder sozialer Prägung. "Diese Welt ist eine Männerwelt, meine Jugend wurde mit Mythen gespeist, die von Männern erfunden worden waren, und ich hatte keineswegs so darauf reagiert, als wenn ich ein Junge gewesen wäre", schrieb sie später in ihrer Autobiografie "Der Lauf der Dinge" (1966).  

Simone de Beauvoir an ihrem Schreibtisch in ParisBild: akg-images/Denise Bellon

Der erste Band "Les faits et les mythes" ("Fakten und Mythen") erschien im Juni 1949 und wurde bereits in der ersten Woche 22.000 Mal verkauft. Die Veröffentlichung löste eine hitzige Debatte aus. De Beauvoirs Thesen riefen zahlreiche, meist männliche Kritiker auf den Plan. Albert Camus fand, der französische Mann würde lächerlich gemacht. Und der Sexualwissenschaftler Alfred Kinsey warf de Beauvoir einen Mangel an wissenschaftlich relevanten Daten vor. Der Vatikan, die Sowjetunion und Spanien setzten das Werk auf den Index der verbotenen Bücher.

Die Rolle der Frau in Zeiten von Corona

"Simone de Beauvoir ist heute aktueller denn je", sagt Alice Schwarzer, Freundin de Beauvoirs und Gründerin der feministischen Zeitschrift Emma, bei der Ausstellungseröffnung. Sie sei schockiert über das Ausmaß der Propaganda, dem Mädchen und junge Frauen in sozialen Netzwerken heute in Bezug auf Körperpolitik ausgeliefert seien. "Für de Beauvoir wäre das ein Material ohnegleichen, wenn sie heute hier wäre", so Schwarzer. Aber nicht nur das Frauenbild, das mitunter in sozialen Netzwerken präsentiert wird, macht de Beauvoirs feministischen Klassiker auch 70 Jahre nach Veröffentlichung noch lesenswert.

Zahlreiche gesellschaftliche Debatten verschaffen dem Werk eine Renaissance. Da ist zum einen das Recht auf Abtreibung, für das de Beauvoir schon demonstriert hatte und über das in Deutschland im Rahmen des Paragrafen 219a bis heute heftig debattiert wird. Da sind aber auch die Zahlen und Fakten, die deutlich machen, dass Frauen und Mütter in Zeiten der Corona-Pandemie unfreiwillig in alte Rollenbilder zurückgedrängt worden sind. Die Frauen tragen die Lasten der Pandemie - was hätte wohl Simone de Beauvoir dazu gesagt?

Simone de Beauvoir und Sylvie Le Bon bei einer Demonstration für das Abtreibungsrecht in Paris 1972Bild: JULIENNE/SIPA

Frauen im Patriarchat 

Und es sind die Versuche, Frauen, die trotz aller Widrigkeiten hohe Ämter bekleiden, zu verunglimpfen und klein zu halten. Eine Dokumentation über Deutschlands ehemalige Bundeskanzlerin Angela Merkel des deutsch-französischen TV-Senders Arte hat jüngst gezeigt, wie sich Angela Merkel im männerdominierten Politikbetrieb behauptet hat. Deutschlands Außenministerin Annalena Baerbock wurden immer wieder Kompetenz und Erfahrung abgesprochen. Jetzt appellierte sie bei der UN-Vollversammlung in New York an die Weltgemeinschaft und warb für eine Resolution gegen Russland.

Auch Simone de Beauvoir habe sich stets behaupten müssen, sagt Alice Schwarzer. "Sie hatte sich eine schroffe Art angewöhnt, man muss wissen, dass sie über Jahrzehnte im Feuer stand." Sie sei als Frau sehr angegriffen und diffamiert worden. Aber niemand habe das Frausein und das Mannsein in einer patriarchalen Welt so umfassend und so konsequent analysiert wie de Beauvoir, so Schwarzer.

Im Zweifel lieber radikal

"Ich habe de Beauvoir immer dafür bewundert, dass sie im Zweifel eher zu radikal war, als das Gegenteil", erzählt Schwarzer. Die Radikalität von Simone de Beauvoir sei heutzutage aber selten geworden. Schwarzer betont, dass der Fortschritt nicht automatisch gegeben sei, dass immer wieder für seinen Erhalt und Weiterentwicklung gekämpft werden müsse.

Alice Schwarzer in der Ausstellung "Das andere Geschlecht"Bild: Oliver Berg/dpa/picture alliance

Die Ausstellung "Simone de Beauvoir und 'Das andere Geschlecht'" läuft vom 04. März 2022 bis zum 16. Oktober 2022 in der Bundeskunsthalle in Bonn.

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